Entscheidungsstichwort (Thema)
Kurzarbeitergeldanspruch. gekündigtes Arbeitsverhältnis. Arbeitnehmerkündigung
Leitsatz (amtlich)
An der persönlichen Voraussetzung des nicht gekündigten Arbeitsverhältnisses fehlt es für das Kurzarbeitergeld auch bei einer Kündigung des Arbeitnehmers.
Normenkette
SGB III § 172 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 31. Januar 2002 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld (Kug) für die Monate Juni und Juli 1999 des Arbeitnehmers Donald H.… , der sein Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 11. Juni 1999 zum 31. August 1999 gekündigt hatte.
Die Klägerin stellt Spritzgusserzeugnisse her. Sie wurde im Juni 1999 als Nachfolgerin eines insolvent gewordenen Unternehmens gegründet. Der Betrieb arbeitet in vier Abteilungen mit insgesamt 32 Arbeitnehmern. Von der Kurzarbeit waren die Abteilungen spanabhebende Bearbeitung und Werkbank betroffen.
Die Klägerin zeigte im Juni 1999 Arbeitsausfall an und fügte eine mit dem beigeladenen Betriebsrat beschlossene Betriebsvereinbarung vom 17. Juni 1999 bei. Mit Anerkennungsbescheid vom 15. Juli 1999 stellte die beklagte Bundesanstalt (BA) die betrieblichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Kug in der Abteilung Werkbank für die Zeit vom 1. Juni bis 31. August 1999 fest. Tatsächlich war die Kurzarbeit ab 1. August 1999 beendet. Nach der Schlussprüfung bewilligte die BA das Kug für die Monate Juni und Juli 1999 endgültig, lehnte aber Kug für den Arbeitnehmer Donald H.… in Höhe von 862,60 DM ab, weil dieser mit Schreiben vom 11. Juni 1999 sein Arbeitsverhältnis gekündigt habe und sämtliche Ausfalltage nach Zugang der Kündigung angefallen seien. Den Widerspruch der Klägerin wies die BA mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2000 zurück, weil die Bewilligung von Kug ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis voraussetze.
Das Sozialgericht (SG) hat der dagegen gerichteten Klage stattgegeben und die BA verurteilt, weitere 862,60 DM Kug zu zahlen, weil die Eigenkündigung eines Arbeitnehmers der Kug-Zahlung nicht entgegenstehe (Urteil vom 17. Januar 2001). Der Nichtzulassungsbeschwerde der BA hat das SG abgeholfen (Beschluss vom 8. Mai 2001).
Auf die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 31. Januar 2002). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Anspruch auf Kug sei weiterhin davon abhängig, dass das Beschäftigungsverhältnis nach dem Arbeitsausfall fortgeführt werde. Die Regelung, wonach die BA Arbeitnehmern eines gekündigten Arbeitsverhältnisses im Wege des Ermessens Kug zugestehen könne, habe der Gesetzgeber des SGB III gestrichen. Das entspreche der Funktion des Kug als einer Leistung der Arbeitslosenversicherung zur Erhaltung von Arbeitsplätzen. Die Zielsetzung des Gesetzgebers, Kug auch dann nicht zu gewähren, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis gekündigt habe, ergebe sich auch aus den Materialien.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 172 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III). Die Revision führt aus, das LSG sei von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Auch § 65 Abs 1 Satz 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) habe auf der Annahme beruht, dass der Arbeitgeber Anlass zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben habe. Kug sei nach dieser Vorschrift nur gewährt worden, solange der Arbeitnehmer keine andere angemessene Arbeit habe aufnehmen können. Hieraus sei zu entnehmen, dass die Vorschrift nur Arbeitgeberkündigungen betroffen habe. Arbeitnehmer kündigten selbst in Krisenzeiten nicht aus freien Stücken, ohne bereits ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen zu sein oder ein neues Arbeitsverhältnis kurzfristig zu begründen. Der Zweck des Kug – die Erhaltung von Arbeitsplätzen – könne nur aus Arbeitgebersicht gesehen werden, denn in Krisenzeiten werde regelmäßig der Arbeitgeber zu dem Instrument der Personalkostenreduzierung greifen. Der Argumentation des LSG sei entgegenzuhalten, dass es dem Arbeitgeber freistehe, nach einer Arbeitnehmerkündigung den Arbeitsplatz durch eine Neueinstellung zu erhalten. Auch der Hinweis auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach der gesellschaftspolitische Wert des Kug darin bestehe, die den Arbeitnehmer belastende Unsicherheit seiner beruflichen Existenz zu vermindern, zeige, dass die Regelung allein Arbeitgeberkündigungen betreffe. Dies werde auch durch die Materialien zu § 172 SGB III bestätigt. Danach könne das Ziel des Kug, das Beschäftigungsverhältnis aufrechtzuerhalten, bei Kündigung und gleichzustellendem Aufhebungsvertrag nicht verwirklicht werden. Deshalb sei die mit dem Kug verbundene Befreiung des Betriebes von Entgeltzahlungspflichten nicht gerechtfertigt. Mit dieser Begründung sei es nicht zu vereinbaren, wenn es einseitig in der Hand des Arbeitnehmers liege, durch eine Eigenkündigung darüber zu entscheiden, ob der Arbeitgeber von seiner Entgeltzahlungspflicht teilweise befreit werde. Es könne auch nicht Zweck des Kug sein, Arbeitnehmer an einen Not leidenden Betrieb zu binden und damit ihre grundgesetzliche Berufsausübungsfreiheit einzuschränken.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 31. Januar 2002 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 17. Januar 2001 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Gekündigte Arbeitsverhältnisse könnten durch die Bewilligung von Kug nicht mehr stabilisiert werden. Der Sinn und Zweck dieser Leistung sei in solchen Fällen nicht mehr zu erreichen.
Der beigeladene Betriebsrat der Klägerin hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet, denn das LSG hat ohne Rechtsverletzung entschieden, dass dem früheren Arbeitnehmer Donald H.… für die Monate Juni und Juli 1999 Kug in Höhe von 862,60 DM nicht zustand.
Die arbeitnehmerbezogenen persönlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Kug sind – unter anderen hier nicht zu erörternden Voraussetzungen – nur erfüllt, wenn das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt oder durch Aufhebungsvertrag aufgelöst ist (§ 172 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung ≪SGB III≫). Diese Voraussetzung betrifft entgegen der Ansicht der Revision nicht nur Fälle der Lösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber. Der Wortlaut der Vorschrift legt ein solches Verständnis nahe, weil er die negative Voraussetzung des § 172 Abs 1 Nr 2 SGB III nicht ausdrücklich auf Lösungen des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber beschränkt. Zwar wäre der Wortlaut für eine teleologische Reduktion offen, deuteten Rechtsentwicklung, Entstehungsgeschichte der Vorschrift und Zweck des Kug nicht in die gegenteilige Richtung:
Nach dem bis zum In-Kraft-Treten des SGB III geltenden § 65 Abs 1 Nr 1 AFG gehörte zu den persönlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Kug, dass das Arbeitsverhältnis nach Beginn des Arbeitsausfalls ungekündigt fortgesetzt wird. Allerdings sah § 65 Abs 1 Satz 3 AFG vor, gekündigten Arbeitnehmern könne die BA im Wege des Ermessens Kug bewilligen, solange sie keine andere angemessene Arbeit aufnehmen können. Die Möglichkeit, das Kug auch gekündigten Arbeitnehmern zu bewilligen, ist nach den persönlichen Voraussetzungen des Anspruchs nach § 172 SGB III nicht mehr vorgesehen. Aus den Materialien ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Bewilligung von Kug an Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis gekündigt ist, ersatzlos gestrichen hat. Dabei ist er davon ausgegangen, dass bei Kündigung und Aufhebungsvertrag die mit dem Kug verfolgte arbeitsmarktpolitische Zielsetzung der Erhaltung des konkreten Beschäftigungsverhältnisses nicht zu verwirklichen ist. Er hat dabei die weitere Folge gesehen, dass der Betrieb in diesen Fällen nicht mehr durch Kug von Entgeltzahlungspflichten an gekündigte Arbeitnehmer befreit wird (BT-Drucks 13/4941 S 184 f). Die wirtschaftliche Folge der Entlastung des Arbeitgebers ist ein Reflex der für Arbeitnehmer begründeten Versicherungsleistung Kug. Ein eigenes Recht des Arbeitgebers begründet das Gesetz nicht. Vielmehr nimmt der Arbeitgeber verfahrensrechtlich als Prozessstandschafter Rechte seiner Arbeitnehmer wahr. Auf diese Rechtsentwicklung, die Zielsetzung des Gesetzgebers und das sich daraus ergebende Verständnis des § 172 Abs 1 Nr 2 SGB III hat das LSG zutreffend hingewiesen. Diese Entscheidung des Gesetzgebers steht nicht zur Disposition von Verwaltung und Gerichten (Art 20 Abs 3 Grundgesetz; § 31 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil ≪SGB I≫).
Die dagegen gerichteten Argumente der Revision können nicht überzeugen. Entgegen der tatsächlichen Zielsetzung des Gesetzes geht die Revision davon aus, die Zahlung des Kug bezwecke die Erhaltung des Arbeitsplatzes. Die persönlichen Voraussetzungen des § 172 SGB III und die erörterten Materialien zeigen jedoch, dass es dem Gesetzgeber um die Erhaltung des die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer ankommt.
Auch wenn nur Arbeitgeber oder Betriebsvertretung Kurzarbeit anzeigen und Kug beantragen können (§ 173 Abs 1 Satz 2 SGB III), handelt es sich bei dem Anspruch auf Kug um einen Anspruch des Arbeitnehmers (§ 169 SGB III). Deshalb kann der Einwand, es gehe nicht an, dass ein Arbeitnehmer durch eine Eigenkündigung die Leistung des Kug vereitele, nicht durchdringen. Die weiteren Ausführungen der Revision, die Regelung sei aus der Sicht der Wirtschaftspolitik und des Arbeitgebers einschränkend auszulegen, werden der Konzeption der gesetzlichen Regelungen der §§ 169 ff SGB III und der den Materialien zu entnehmenden Zielsetzung, Beschäftigungsverhältnisse zu erhalten, nicht gerecht. Bei einem gekündigten Arbeitsverhältnis soll das Entgeltrisiko nicht auf die Beklagte verlagert werden, sondern bei den Parteien des Arbeitsverhältnisses verbleiben. Ob der Arbeitgeber bei Ausfall des Kug Arbeitsentgelt zu leisten hat, ist von den jeweils geltenden tarif- und arbeitsvertraglichen Regelungen abhängig (vgl Schaub/Linck ArbR-Hdb 10. Aufl. § 47 RdNr 10), ohne dass § 172 Abs 1 SGB III auf solche Regelungen abstellt. Die Inanspruchnahme der Materialien durch die Revision verkehrt ihren Sinn und Inhalt in das Gegenteil. Es ist auch nicht zu erkennen, inwiefern die Freiheit der Berufsausübung von Arbeitnehmern beeinträchtigt sein sollte, wenn ihre Eigenkündigung als Kündigung iS des § 172 Abs 1 Nr 2 SGB III behandelt wird.
- Unabhängig von der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses kommt allenfalls ein Anspruch auf das sog strukturelle Kug in Betracht (§ 175 Abs 3 SGB III). Die Voraussetzungen für das strukturelle Kug nach § 175 Abs 1 Satz 1 SGB III, insbesondere Strukturveränderungen für den Betrieb mit einer Einschränkung und Stilllegung des Betriebs oder wesentlichen Betriebsteilen mit Personalanpassungsmaßnahmen, sind jedoch nicht ersichtlich und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.
- Da die Entscheidung des LSG nicht auf einer Gesetzesverletzung beruht, ist die Revision der Klägerin zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 SGG aF).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 884647 |
NWB 2002, 4234 |
SozR 3-4300 § 172, Nr. 1 |
ZInsO 2003, 148 |
AUR 2003, 39 |
SozSi 2003, 400 |