Entscheidungsstichwort (Thema)

Stiefkind. Stiefmutter. Stiefeltern. Pflegekind. Haushalt. Definition: Stiefkind

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Kind, das mit beiden leiblichen Eltern in einem Haushalt zusammenlebt, kann iS des § 2 Abs. 1 S 1 Nr. 1 BKGG kein Stiefkind eines dritten Erwachsenen sein.

 

Normenkette

BKGG § 2 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 25.08.1992; Aktenzeichen L 3 Kg 8/92)

SG Stade (Entscheidung vom 06.01.1992; Aktenzeichen S 8 Kg 18/91)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. August 1992 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt Kindergeld für ein Kind ihres Ehemannes mit einer anderen Frau.

Die Klägerin ist als Lehrerin Beamtin des beklagten Landes. Sie führt zusammen mit ihrem Ehemann (dem Beigeladenen zu 1) und der Beigeladenen zu 2) einen gemeinsamen Haushalt. Das beklagte Land zahlt ihr Kindergeld für ihren Sohn O. (geboren 1968, Student) sowie für vier mit im Haushalt lebende Kinder (geboren 1984, 1986, 1987 und 1988) ihres Ehemannes mit der Beigeladenen zu 2), die als „Stiefkinder” berücksichtigt wurden. Für diese hat die Beigeladene zu 2) das Sorgerecht.

Den Antrag der Klägerin, ihr – im erklärten Einverständnis der Beigeladenen zu 1) und 2) – auch für die 1990 geborene N., das fünfte Kind ihres Ehemannes mit der Beigeladenen zu 2), Kindergeld zu gewähren, lehnte das beklagte Land jedoch ab: Das Stiefkind N. sei nicht in den Haushalt der Klägerin aufgenommen, da die leibliche Mutter darin lebe und ihr Kind betreue. Auch für die vier übrigen Stiefkinder seien die Kindergeld-Voraussetzungen nicht erfüllt; einer Einstellung der entsprechenden Zahlungen stünden jedoch verfahrensrechtliche Regelungen entgegen (Bescheid vom 7. Januar 1991 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 1991; die im Bescheid vom 7. Januar 1991 gleichzeitig getroffene Entscheidung, die Bewilligung kinderbezogener Anteile im Ortszuschlag für die vier „Stiefkinder” der Klägerin nach § 48 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz zurückzunehmen, wurde mit der Erteilung des Widerspruchsbescheides ausgesetzt).

Das Sozialgericht (SG) hat das beklagte Land verurteilt, der Klägerin Kindergeld für das Stiefkind N. zu gewähren. Auf einen entsprechenden Antrag der Klägerin hat es ferner festgestellt, auch die anderen Stiefkinder seien weiterhin kindergeldrechtlich bei der Klägerin zu berücksichtigen. N. sei in den Haushalt der Klägerin und ihres Ehemannes aufgenommen; die Klägerin lebe mit N. zusammen, versorge das Kind materiell und betreue es in nicht unwesentlichem Maße.

Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. N. sei zwar ein Stiefkind der Klägerin (Hinweis auf BSG Urteil vom 14. Juli 1977, BSGE 44, 147, 148 f), jedoch nicht in ihren Haushalt aufgenommen. Dem stehe entgegen, daß die Beigeladene zu 2) als leibliche Mutter dem Haushalt der Stiefmutter als gleichberechtigter Partner angehöre und im Rahmen ihres Personensorgerechts eigene Erziehungs- und Betreuungsleistungen für ihr Kind erbringe. Es handele sich um einen gemeinsamen Haushalt von drei erwachsenen Personen, in dem jeder seine anteilmäßigen materiellen und immateriellen Zuwendungen für die Kinder erbringe. Damit fehle es an dem erforderlichen Ausscheiden des Stiefkindes N. aus dem Haushalt der Beigeladenen zu 2) und einem Überwechseln in einen anderen Haushalt, der den Stiefeltern, dh der Klägerin und ihrem Ehemann, allein zugeordnet werden könnte.

Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Klägerin, Sie rügt die Verletzung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Als Haushaltsaufnahme reiche aus, wenn dem Kind, neben der Zuwendung von Fürsorge, Wohnung und ein nicht unerheblicher materieller Unterhalt gewährt werde. Die Intensität des Kontaktes zwischen leiblicher Mutter und ihrem Kind sei in diesem Falle unerheblich.

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 6. Januar 1992 zurückzuweisen.

Das beklagte Land beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die zu 3) beigeladene Kindergeldkasse schließt sich diesem Antrag an. Sie trägt vor, die Klägerin habe N. nicht in ihren Haushalt aufgenommen; die Kinder der Beigeladenen zu 1) und 2) lebten in einem gemeinsamen Haushalt ihrer leiblichen Eltern mit dem Ehepartner des Vaters. Dieser könne aber nicht der Klägerin zugeordnet werden.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kindergeld für N. Diese ist weder ihr Stiefkind iS des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKGG (hierzu im folgenden unter 1) noch ihr Pflegekind iS des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKGG (hierzu im folgenden unter 2). Ein Anspruch auf Kindergeld für N. folgt auch nicht aus der Bindungswirkung der Kindergeldbewilligungen für die übrigen Kinder ihres Ehemannes mit der Beigeladenen zu 2), die das beklagte Land als Stiefkinder der Klägerin angesehen hat (hierzu im folgenden unter 3).

(1)

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKGG werden als Kinder für die Gewährung von Kindergeld auch „Stiefkinder, die der Berechtigte in seinen Haushalt aufgenommen hat” berücksichtigt. Das Kind N. ist kein Stiefkind der Klägerin, so daß die vom LSG in den Vordergrund gestellte Frage der Haushaltsaufnahme dahingestellt bleiben kann.

Zum Begriff des Stiefkindes, das im Sozialrecht häufig (mittelbar) Begünstigter ist, hat sich das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 14. Juli 1977 (BSGE 44, 147 = SozR 2200 § 1262 Nr. 10) eingehend geäußert. Für die Frage, ob ein außereheliches Kind des Ehepartners („Ehebruchskind”) als Stiefkind im Sinne der Regelung des Kinderzuschusses (§ 1262 Abs. 2 Nr. 2 RVO aF) anzusehen ist, hat es sich damals an der weiten Definition orientiert, Stiefkind sei „Sohn oder Tochter des Ehepartners”. Dabei ließ es sich vom Sinnzusammenhang sowie dem Zweck der Vorschrift leiten.

Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß auch das Kind N. bereits deshalb als Stiefkind der Klägerin iS des § 2 Abs. 1 Nr. 1 BKGG anzusehen wäre, weil es eine Tochter ihres Ehepartners, des Beigeladenen zu 1), ist. Eine gesetzliche Begriffsbestimmung des „Stiefkindes” fehlt. Die deshalb in vielfältigen Variationen aufzufindenden Definitionen setzen jedoch sämtlich – gleichsam als ungeschriebenes (negatives) Tatbestandsmerkmal – als selbstverständlich voraus, daß das Stiefkind auf einen natürlichen Elternteil verzichten muß (insoweit bezeichnend zB Feil, RdJB 1971, 257 und 285 einerseits. 260 andererseits). Der Begriff „Stiefkind” ist dadurch gekennzeichnet, daß das Kind nicht mit beiden leiblichen Elternteilen in einem Haushalt zusammenlebt.

Deutlich wird diese Bedeutung des Wortes „Stiefkind” dadurch, daß die hiermit allgemein verbundenen – vor allem psychologischen – Probleme insoweit Ausfluß einer veränderten Lebensform sind, als das Kind nicht (mehr) mit seinen beiden leiblichen Eltern zusammenlebt. So wird aus psychologischer Sicht hervorgehoben, die Stieffamilie sei jene Familienform, die „entstanden ist, nachdem eine frühere Familienform durch Tod, Scheidung oder Aufgabe der Alleinerziehung eines außerehelichen Kindes aufgelöst bzw aufgegeben worden ist” (Balloff, RdJB 1991, 444, 445). Hiermit stimmt überein, daß der Wortteil „Stief” etymologisch aus einem Wortstamm herzuleiten ist, der „abgestutzt, beraubt, verwaist” bedeutet (Der Große Duden, Bd. 7, Etymologie. 1963, Stichwort „Stief…”).

Dem Stiefkind muß also in seiner gegenwärtigen Familie (zumindest) ein leiblicher Elternteil fehlen. Ob ausnahmsweise ein Nebeneinander von leiblicher Mutter und Stiefmutter im gemeinsamen Haushalt mit dem (Stief-) Kind dann vorstellbar ist, wenn die leibliche Mutter ihren Betreuungs- und Erziehungspflichten schlechthin nicht nachkommt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn so liegen die Verhältnisse nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des LSG nicht. Vielmehr führt die Beigeladene zu 2) zusammen mit der Klägerin und deren Ehemann einen gemeinsamen Haushalt, wobei die Eheleute im wesentlichen die materiellen Aufwendungen für die Haushaltsführung erbringen. Dagegen versorgt die Beigeladene zu 2) den Haushalt und betreut N. sowie ihre anderen darin lebenden Kinder, für die ihr das Sorgerecht zusteht und für die sie nach der jeweiligen Geburt Erziehungsgeld erhalten hat.

Gegen die vom Senat aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKGG hergeleitete Auslegung sprechen keine anderen Erwägungen. Weder stehen ihr Begriffsbestimmungen aus anderen Rechtsgebieten noch die Entstehungsgeschichte der Norm entgegen. „Stiefkinder, die der Berechtigte in seinen Haushalt aufgenommen hat”, sind seit dem Inkrafttreten des BKGG im Jahre 1964 als Kinder im Sinne dieses Gesetzes zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 der damaligen Fassung), ohne daß der Begriff „Stiefkind” im Gesetzgebungsverfahren näher erläutert wurde. Im durch das BKGG abgelösten Kindergeldgesetz (KGG), in Kraft seit 1955, galten zunächst „eheliche Stiefkinder” als Kinder im Sinne dieses Gesetzes (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KGG), ab 1957 dann „Stiefkinder, die in den Haushalt des Stiefvaters oder der Stiefmutter aufgenommen sind”. Dabei wurde in den Gesetzgebungsverfahren niemals der – atypische – Fall erörtert, ob ein Kind Stiefkind einer dritten Person sein könne, wenn es mit seinen beiden leiblichen Eltern zusammen in einem Haushalt wohne (vgl. die Materialien zum KGG: BT-Drucks II/708 S 2; zum Änderungsgesetz von 1957: BT-Drucks II/3490 S 10; zum BKGG: BT-Drucks IV/818 S 12 f und IV/1961 S 2).

Auch Sinn und Zweck der Kindergeldgewährung für Stiefkinder verlangen keine Lösung im Sinne der Klägerin. Das Kindergeld dient, wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat, dem sozialpolitischen Zweck des Familienlastenausgleichs. Diejenigen, die dem Kind eine Heimstatt bieten und sich um sein persönliches Wohl sowie um seine Erziehung kümmern, sollen für die damit verbundenen finanziellen, mindestens aber persönlichen Opfer einen Ausgleich von der Gesellschaft erhalten (BSG Urteil vom 7. August 1991, BSGE 69, 191, 195 = SozR 3-5870 § 2 Nr. 16 mwN). Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, daß neben den leiblichen Eltern (kindergeldberechtigt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BKGG) auch eine dritte Person kindergeldberechtigt sein muß, die als Ehepartner des Vaters oder der Mutter mit beiden zusammen in einem Haushalt lebt und das Kind mitbetreut.

(2)

N. ist auch kein Pflegekind der Klägerin. Insoweit fordert § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKGG ausdrücklich, daß zwischen dem Pflegekind und seinen Eltern „ein Obhuts- und Pflegeverhältnis … nicht mehr besteht” (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKGG idF des 12. BKGG-ÄndG vom 30. Juni 1989 ≪BGBl I 1294; 1990, 150≫; hierzu BSG Urteil vom 28. November 1990, SozR 3-1200 § 56 Nr. 2 S 7 sowie BSG Urteil vom 6. August 1992, SozR 3-5870 § 2 Nr. 19). Diese Voraussetzung ist nach den oben angeführten Feststellungen des LSG nicht erfüllt.

(3)

Die Klägerin kann schließlich nicht aus dem Umstand, daß das beklagte Land ihr bereits für vier „Stiefkinder” Kindergeld gewährt, einen Anspruch auf Kindergeld auch für das fünfte „Stiefkind” herleiten. Denn für mehrere Kinder besteht kein einheitlicher Kindergeldanspruch, der sich durch das Hinzutreten weiterer Kinder – etwa nach § 48 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X) – erhöhen bzw durch deren Wegfall vermindern könnte. Vielmehr steht dem Kindergeldberechtigten für jedes einzelne berücksichtigungsfähige Kind ein getrennter Kindergeldanspruch zu (so bereits der Senat im Urteil vom 22. August 1990, BSGE 67, 194, 195 f = SozR 3-5870 § 27 Nr. 1). Dann aber ist bei einem Antrag auf Kindergeld für ein weiteres Kind jeweils gesondert zu prüfen, ob die Leistungsvoraussetzungen vorliegen. Eine Bindung an frühere Kindergeldbewilligungen besteht insoweit nicht.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 927566

NJW 1994, 1366

Breith. 1994, 481

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