BAG, Urteil v. 22.6.2022, 4 AZR 495/21
Bei aufeinander aufbauenden Entgeltgruppen ist ein wertender Vergleich zu der Ausgangsentgeltgruppe vorzunehmen. Umstände, die für die Erfüllung einer tariflichen Anforderung einer Entgeltgruppe berücksichtigt worden sind, können dabei grundsätzlich nicht mehrmals für die Erfüllung eines Heraushebungsmerkmals einer höheren Entgeltgruppe herangezogen werden- sie sind vielmehr "verbraucht".
Sachverhalt
Die Klägerin ist seit dem Jahr 1998 bei dem beklagten Land beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet u. a. der BAT und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen für den Bereich der TdL Anwendung. Seit dem Jahr 2005 sind der Klägerin Tätigkeiten einer Fallmanagerin in einem Jobcenter übertragen. Hierbei betreut sie diejenigen Leistungsberechtigten, bei denen bestimmte Vermittlungshemmnisse bestehen, wie z. B. mangelhafte Deutschkenntnisse oder Erkrankungen, die einer Vermittlung entgegenstehen. Sie identifiziert zunächst diese Vermittlungshindernisse und verweist anschließend die Leistungsberechtigten mit dem Ziel, die Vermittlungshindernisse zu vermindern oder zu beseitigen, an andere Stellen, bspw. eine Schuldnerberatung, eine Suchtberatung oder einen berufspsychologischen Service. In diesem Zusammenhang schließt sie mit den Leistungsberechtigten sog. Eingliederungsvereinbarungen, deren Einhaltung sie überprüft und bei Verstößen ggf. Sanktionen ergreift. Danach werden im Erfolgsfall die Leistungsberechtigten an eine Arbeitsvermittlung verwiesen oder es erfolgt die Feststellung, dass aktuell keine Erwerbsfähigkeit vorliegt.
Die Klägerin wurde zum 1.11.2010 aus der Vergütungsgruppe IVb BAT in die Entgeltgruppe 9 TV-L übergeleitet und zuletzt nach der Entgeltgruppe 9b Stufe 6 TV-L vergütet. Sie klagt nun auf Eingruppierung in die Entgeltgruppe 11 Stufe 6 TV-L.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das BAG urteilte zunächst, dass es sich bei der gesamten durch die Klägerin auszuübenden Tätigkeit um einen einheitlichen Arbeitsvorgang handele; denn bei der Bearbeitung von Fällen durch Fallmanager/innen im Jobcenter sei regelmäßig nicht jeder einzelne Fall als ein Arbeitsvorgang anzusehen, sondern erst die Befassung mit allen Fällen erfülle den Rechtsbegriff des Arbeitsvorgangs, da alle in diesem Zusammenhang anfallenden Tätigkeiten einem Arbeitsergebnis dienten.
Weiter führte das BAG aus, dass die Tätigkeit der Klägerin gründliche, umfassende Fachkenntnisse und selbstständige Leistungen der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1a BAT (entspricht Entgeltgruppe 9b TVöD/TV-L) erfordere; denn für ihre auszuübende Tätigkeit sei ein Fachwissen erforderlich, welches als Grundlage für analysierende, zur Entscheidung von Zweifelsfällen notwendige Denkvorgänge diene. Zudem seien neben der Kenntnis der Vorschriften aus verschiedenen Büchern des Sozialgesetzbuches und der aktuellen sozialgerichtlichen Rechtsprechung auch weitere umfangreiche Fachkenntnisse, z. B. über arbeitsmarktrechtliche Förderungsinstrumente, in den Bereichen Konflikt-/Zeitmanagement und Kommunikation sowie Grundkenntnisse der sozialen Diagnostik notwendig. Ebenfalls sei das Tatbestandsmerkmale "selbstständige Leistung" erfüllt, da der Klägerin Ermessens-, Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume bei der Erarbeitung des Arbeitsergebnisses zustünden. Nach Auffassung des Gerichts hebe sich die Tätigkeit auch als besonders verantwortungsvoll i. S. d. Vergütungsgruppe IVb Fallgruppe 1a BAT (entspricht Entgeltgruppe 9b 1 Fallgruppe TV-L bzw. 9c TVöD) heraus, da die Klägerin insbesondere Entscheidungen über Leistungen zur Beseitigung von Vermittlungshindernissen zu treffen habe, die für die Leistungsberechtigten Auswirkungen von erheblicher Tragweite hätten.
Das Vorliegen des Tatbestandmerkmals "besondere Schwierigkeit und Bedeutung" i. S. d. Vergütungsgruppe IVa Fallgruppe 1a BAT (entspricht Entgeltgruppe 10 TVöD/TV-L) konnte dagegen auf der Grundlage des schriftsätzlichen Vorbringens der Klägerin nicht festgestellt werden. Das BAG führte hierzu aus, dass bei sog. Aufbaufallgruppen zunächst zu prüfen sei, ob die Anforderungen der Ausgangsfallgruppe erfüllt seien, und anschließend, ob die Merkmale der darauf aufbauenden höheren Fallgruppen vorlägen. Es sei dabei durch einen wertenden Vergleich festzustellen, ob auch die Tätigkeitsmerkmale mit hierauf aufbauenden Heraushebungs- oder Qualifikationsmerkmalen erfüllt seien. Dabei hänge die Entscheidung, ob die übertragenen Aufgaben die Voraussetzungen einer Entgeltgruppe erfüllen, nicht von der Rechtsauffassung der Parteien ab; denn die Frage der korrekten tariflichen Eingruppierung sei eine Rechtsfrage, die sich der Disposition der Parteien entziehe. Im vorliegenden Fall habe sich aus dem Vortrag der Klägerin keine Umstände die Rückschlüsse ergeben, dass das Tatbestandmerkmals "besondere Schwierigkeit und Bedeutung" erfüllt sei. In Eingruppierungsrechtsstreitigkeiten, so das Gericht weiter, obliege der klagenden Partei nach allgemeinen zivilprozessualen ...