BAG, Urteil vom 13.12.2023, 4 AZR 317/22 (sowie Parallelentscheidung 4 AZR 316/22)
Leitsatz (amtlich)
Eine "eingehende fachliche Einarbeitung" i. S. d. Entgeltgruppe 3 TVöD/VKA ist erforderlich, wenn zur Ausübung der Tätigkeit fachbezogene Kenntnisse und Fertigkeiten benötigt werden, die – ohne eine Vor- oder Ausbildung vorauszusetzen – vom Arbeitgeber i. d. R. binnen eines Zeitraums von 6 Wochen vermittelt werden können. Qualifikationen wie diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten, die im Rahmen der Vollzeitschulpflicht vermittelt werden und daher von einem Beschäftigten im Regelfall außerhalb des Arbeitsverhältnisses und unabhängig von diesem erworben werden, sind keine Vor- oder Ausbildung im Tarifsinn.
Sachverhalt
Der Kläger ist bei der Beklagten, die einen internationalen Verkehrsflughafen betreibt, seit dem 22.6.2015 als "Service Agent" (Fluggastbetreuer) beschäftigt. Er ist in die EG 2 eingruppiert. Zu seinen Tätigkeiten gehören Hilfeleistungen für behinderte Flugreisende und Flugreisende mit beschränkter Mobilität während ihres Aufenthalts am Flughafen bis zur Übergabe der Betreuung und Begleitung an das Boden- bzw. Kabinenpersonal der den Flug durchführenden Fluggesellschaft.
Ursprünglich erfolgte die Einarbeitung neuer Beschäftigter in einer 34-tägigen "Einweisungsphase". Diese Zeit enthielt auch 8 Tage theoretische Schulung und 6 Tage praktische Einweisung. Da sich die Beklagte entschloss, die Einweisungsphase nach einem neuen Konzept vorzunehmen, erfolgte seit Januar 2022 die Einarbeitungsphase im Rahmen eines Pilotprojekts an nur noch 16 bis 20 Tagen (davon 4 Tage theoretische Einweisung, 3 Tage praktische Einweisung und 8 bis 12 Tage begleitetes Arbeiten). Diesem neuen Konzept hatte der Betriebsrat der Beklagten seine Zustimmung verweigert.
Der Kläger, der die Auffassung vertrat, aus der 34-tägigen Einweisungsphase ergebe sich eine "eingehende fachliche Einarbeitung" i. S. d. EG 3, begehrte deshalb eine entsprechende Eingruppierung.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das Gericht entschied, dass die Tätigkeiten des Klägers eine "fachliche Einarbeitung" i. S. d. Entgeltgruppe 2 erfordere und damit die tarifliche Anforderung einer "einfachen Tätigkeit" erfülle. Eine Heraushebung aus der EG 2 sei hingegen nicht ersichtlich. Das BAG führte aus, dass eine eingehende fachliche Einarbeitung fachbezogene Kenntnisse und Fähigkeiten erfordere, die – ohne eine Vor- oder Ausbildung vorauszusetzen – vom Arbeitgeber i. d. R. binnen eines Zeitraums von 6 Wochen vermittelt werden können. Es komme für die Ermittlung der erforderlichen Einarbeitung darauf an, welche Einarbeitungszeit objektiv bei Beschäftigten ohne Vor- oder Ausbildung erforderlich sei, um die Tätigkeit auszuüben. Für die Eingruppierung komme es nicht darauf an, dass subjektiv und im Einzelfall eine längere Einarbeitung erforderlich sei. Würden für die Tätigkeit Kenntnisse und Fertigkeiten benötigt, die die Arbeitgeberin nicht als allgemeine Bildung voraussetzen könne, sei der Zeitraum, der für deren Erwerb erforderlich sei, der Einarbeitungszeit hinzuzurechnen – und zwar auch dann, wenn diese Kenntnisse und Fertigkeiten nicht von der Arbeitgeberin vermittelt, sondern von ihr vorausgesetzt würden. Zudem bedeute der Umstand, dass weder in der EG 2 noch der EG 3 eine Vor- oder Ausbildung vorausgesetzt werde, nicht, dass vom jeweiligen Arbeitgeber überhaupt keine Kenntnisse und Fertigkeiten vorausgesetzt werden dürften. Qualifikationen, die im Regelfall von jedermann außerhalb des Arbeitsverhältnisses und unabhängig von diesem erworben würden, seien daher keine Vor- und Ausbildung im Tarifsinn. Dies seien z. B. Kenntnisse und Fertigkeiten, die im Rahmen der Vollzeitschulpflicht vermittelt würden, z. B. Sprachkenntnisse auf schulischem Niveau sowie interkulturelle und interpersonelle Kompetenzen, die zum Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen gehörten.
Für den vorliegenden Fall stellte das BAG fest, dass die "Einweisungsphase" deutlich kürzer als 6 Wochen sei; denn die theoretischen Schulungen umfassten weniger als die Hälfte der Einweisungszeit. Unerheblich sei, dass der Kläger selbst einige Tage länger eingearbeitet worden sei. Auch könne daraus nicht allgemeingültig darauf geschlossen werden, dass die Beklagte die Einarbeitungszeit für die Tätigkeit der Service Agents zu kurz bemessen habe.
Anmerkung:
Mit diesem Urteil hat das BAG seine bisherige Rechtsprechung bestätigt.
Hiernach enthält das Merkmal der eingehenden fachliche Einarbeitung ein zeitliches und ein qualitatives Element. Das Merkmal "eingehend" bezieht sich auf die Intensität und Tiefe der erforderlichen Belehrung und das Merkmal "fachlich" auf ihren sachlichen Gegenstand. Die Einarbeitung muss sich deshalb über einen längeren Zeitraum erstrecken, der die Dauer eines Monats deutlich überschreitet (s. u. a. LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 31.5.2022, 5 Sa 258/21; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 21.3.2023, 2 TaBV 20/22). Das BAG hat nun die konsequente Rechtsprechung best...