LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.1.2022, 1 Sa 21/21
Leitsätze (amtlich)
Ein Beschäftigter einer KFZ-Zulassungsstelle, der zeitlich überwiegend im Außendienst die von der Zulassungsstelle verfügten Betriebsuntersagungen vollstreckt, die Ermittlung von Fahrzeughaltern vornimmt und Fahrzeuge auf sichtbare Mängel überprüft, ohne selbst ordnungsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, erfüllt nicht das Tätigkeitsmerkmal der "selbstständigen Leistungen" im Sinne der Entgeltgruppen 9a, 8 und 7 TVöD/VKA (Abgrenzung zur Eingruppierung von gemeindlichen Vollzugs- und Ordnungsbediensteten BAG 21.3.2012 – 4 AZR 266/10 und von kommunalen Vollstreckungsbediensteten zuletzt LAG Sachsen-Anhalt 3.3.2021 – 5 Sa 616/18 E).
Sachverhalt
Der Kläger ist seit Juni 2002 beim beklagten Landkreis beschäftigt. Er ist im Fachbereich für Sicherheit und Ordnung dem Sachgebiet "Zulassungsstelle" zugeordnet und seit 1.3.2004 im Vollstreckungsdienst tätig. Hier wurde er seitdem als Vollzugsdienstmitarbeiter vor allem im Außendienst eingesetzt. Gemäß einer Stellen- und Aufgabenbeschreibung nimmt er mit einem Zeitanteil von 20 % Aufgaben im Innendienst, einem Zeitanteil von 70 % Aufgaben im Außendienst und mit einem Zeitanteil von 10 % sonstige Aufgaben wahr. Zu seinen Aufgaben gehörten u. a. im Innendienst: Halterdatenermittlung, auch durch Kontakt mit Einwohnermeldeämtern, Arbeitgebern und anderen Institutionen; Dokumentation von Ermittlungsergebnissen und Erstellen von Tätigkeitsnachweisen; Tourenplanung inklusive Ermessen über die Art des Eingriffs (wie z. B. Anfahren beim Arbeitgeber o. ä.); Erstellung von Kostenrechnungen; Anzeigenerstattung aufgrund verschiedener Delikte wie Mängel, Fahren ohne Versicherung oder Kennzeichenmissbrauch im Nachgang zum Außendienst; im Außendienst u. a.: Entstempelungen von Fahrzeugen nach Betriebsuntersagung; Außerbetriebssetzung von Fahrzeugen; Ermittlung von neuen Adressen bei Haltern z. B. durch Nachbarschaftsbefragung, BMA, Polizei; Kontrolle von Fahrzeugen auf offene, sichtbare Mängel und ggf. Anzeigeerstattungen im Nachgang; Selbstständige Entscheidung über Maßnahmen wie die Öffnung von Fahrzeugen, Garagen oder das Betreten von Grundstücken ggf. unter Mithilfe des Polizeivollzugsdienstes; Sonstiges wie z. B. Sonderaufgaben wie z. B. Tausch von Fahrzeugpapieren und Fehlerbehebungen; Unterstützung anderer Sachgebiete.
Der Kläger war eingruppiert in EG 6. Er verlangte nun die Eingruppierung in die EG 9a mit der Begründung, er habe im Rahmen des einheitlichen Arbeitsvorgangs "Außendienst" selbstständige Entscheidungen zu treffen; denn hier führe er polizeiliche Aufgaben im Sinn von § 31 PolG durch. Zudem sei die Durchführung von Zwangsmaßnahmen in einer polizeiähnlichen Uniform in der Mehrzahl der Fälle konfliktträchtig. Er stehe daher unter einem hohen Druck. Auch seien ihm weitgehend Handlungsspielräume eingeräumt. Bei Gefahr im Verzug müsse er unverzüglich die notwendigen Maßnahmen einleiten. Des Weiteren sei er im Rahmen einer Betriebsuntersagung berechtigt, das Besitztum des Halters zu betreten und zu durchsuchen. Er sei berechtigt, die Vollstreckung zur Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen durchzuführen und entscheide hierbei nach eigenem Ermessen. Außerdem habe er eigenständige Ermittlungstätigkeiten für die Bußgeldstelle des Gewerbeaufsichtsamts zu erledigen, etwa durch Nachbarschaftsbefragungen. Seine Aufgabe überschneide sich mit den Aufgaben des gemeindlichen Vollzugsdienstes. Für seine Tätigkeit benötige er gründliche und vielseitige Fachkenntnisse und erfülle zudem das Tätigkeitsmerkmal der selbstständigen Leistungen.
Dagegen brachte der Beklagte vor, der Kläger habe keine Ermessensspielräume; denn er habe klare Arbeitsaufträge zu erledigen und Verwaltungsakte zu vollstrecken. Insbesondere habe er nicht die Funktion eines gemeindlichen Vollzugsbediensteten inne.
Die Entscheidung
Die Klage auf Eingruppierung in die EG 9a, hilfsweise EG 7 oder 8 hatte keinen Erfolg, da nach Auffassung des Gerichts keine selbstständigen Leistungen im Tarifsinne vorlagen.
Das LAG führte hierzu aus, dass selbstständige Leistungen ein den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbstständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative erfordern; eine leichte geistige Arbeit könne diese Anforderung nicht erfüllen. Das Merkmal "selbstständige Leistungen" dürfe nicht mit dem Begriff "selbstständig arbeiten" verwechselt werden, worunter eine Tätigkeit ohne direkte Aufsicht oder Leitung zu verstehen sei. Eine selbstständige Leistung sei dann anzunehmen, wenn eine Gedankenarbeit erbracht werde, die im Rahmen der für die Entgeltgruppe vorausgesetzten Fachkenntnisse hinsichtlich des einzuschlagenden Weges, insbesondere hinsichtlich des zu findenden Ergebnisses, eine eigene Beurteilung und eine eigene Entschließung erfordere. Kennzeichnend für selbstständige Leistungen im tariflichen Sinn sei ein wie auch immer gearteter Ermessens-, Entscheidungs-, Gestaltungs- und Beurteilungsspielr...