Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung des Artikels 10 der Richtlinie 92/85/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz. Zulassung von Ausnahmen vom Verbot der Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen. Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Beurteilung der Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen
Normenkette
Richtlinie Nr. 92/85/EWG Art. 10; Richtlinie Nr. 89/391/EWG Art. 16 Abs. 1
Beteiligte
Maria Luisa Jiménez Melgar |
Ayuntamiento de Los Barrios |
Tenor
1. Artikel 10 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) entfaltet unmittelbare Wirkung und ist dahin auszulegen, dass er, wenn ein Mitgliedstaat innerhalb der in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Frist keine Umsetzungsmaßnahmen getroffen hat, dem Einzelnen Rechte verleiht, die dieser vor einem nationalen Gericht gegenüber den öffentlichen Stellen dieses Staates geltend machen kann.
2. Artikel 10 Nummer 1 der Richtlinie 92/85 verpflichtet mit der Zulassung von Ausnahmen vom Verbot der Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen innicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle[n], die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind, die Mitgliedstaaten nicht, die Gründe für eine Kündigung dieser Arbeitnehmerinnen im Einzelnen aufzuführen.
3. Zwar gilt das Kündigungsverbot nach Artikel 10 der Richtlinie 92/85 sowohl für unbefristete als auch für befristete Arbeitsverträge, doch kann die Nichterneuerung eines solchen Vertrages zum Zeitpunkt seiner regulären Beendigung nicht als eine nach dieser Vorschrift verbotene Kündigung angesehen werden. Soweit jedoch die Nichterneuerung eines befristeten Arbeitsvertrags ihren Grund in der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin hat, stellt sie eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, die gegen die Artikel 2 Absatz 1 und 3 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen verstößt.
4. Artikel 10 Nummer 1 der Richtlinie 92/85, wonach einer schwangeren Arbeitnehmerin, einer Wöchnerin oder einer stillenden Arbeitnehmerin in Ausnahmefällen gekündigt werden kann, wobei gegebenenfalls die zuständige Behörde ihre Zustimmung erteilen muss, ist dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, die Einschaltung einer nationalen Behörde vorzusehen, die, nachdem sie festgestellt hat, dass ein Ausnahmefall vorliegt, der die Kündigung einer solchen Arbeitnehmerin rechtfertigen kann, vor der entsprechenden Entscheidung des Arbeitgebers ihre Zustimmung erteilt.
Gründe
1.
Der Juzgado de lo Social Único Algeciras hat mit Beschluss vom 10. November 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 17. November 1999, gemäß Artikel 234 EG vier Fragen nach der Auslegung des Artikels 10 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 348, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Jiménez Melgar und ihrem früheren Arbeitgeber, dem Ayuntamiento de Los Barrios (Gemeinde Los Barrios, im Folgenden: die Gemeinde), wegen der Nichterneuerung ihres befristeten Arbeitsvertrags.
Rechtlicher Rahmen
Die Gemeinschaftsregelung
3.
Die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) sieht in ihrem Artikel 3 Absatz 1 vor:
Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung beinhaltet, dass bei den Bedingungen des Zugangs – einschließlich der Auswahlkriterien – zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen – unabhängig vom Tätigkeitsbereich oder Wirtschaftszweig – und zu allen Stufen der beruflichen Rangordnung keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erfolgt.
4.
Artikel 5 Absatz 1 dieser Richtlinie lautet:
Die Anwendung des Grund...