Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtsöffentlichkeit von Prozessdokumenten. Keine Bestimmung für Allgemeinheit von Schriftsätzen. Weiterleitung von Schriftsätzen an Presse. DS-GVO-Verstoß bei Weiterleitung eines Schriftsatzes mit Gesundheitsdaten. Außerordentliche Kündigung bei Missachtung der DS-GVO
Leitsatz (amtlich)
1. Die in einem gerichtlichen Verfahren von den Parteien gefertigten und zur Gerichtsakte eingereichten Schriftsätze sind zweckbestimmt. Sie sind gerichtsöffentlich, nicht aber für die Allgemeinheit oder die Betriebsöffentlichkeit bestimmt.
2. Wer solche Schriftsätze, in denen Daten, insbesondere auch besondere Kategorien personenbezogener Daten (Gesundheitsdaten), verarbeitet werden, bewusst und gewollt der Betriebsöffentlichkeit durch die Verwendung eines durch eine E-Mail zur Verfügung gestellten Links offenlegt und darüber hinaus den Adressatenkreis auffordert, die Weiterverbreitung der verlinkten E-Mail zu veranlassen, ohne dafür einen rechtfertigenden Grund zu haben, verletzt rechtswidrig und schuldhaft Persönlichkeitsrechte der in diesen Schriftsätzen namentlich benannten Personen.
3. Eine solche Verhaltensweise ist geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
Normenkette
DS-GVO Art. 9 Abs. 1-2, Art. 6 Abs. 1 Buchst. f); GG Art. 5 Abs. 1-2; GVG § 169; ZPO § 299 Abs. 1; BGB § 241 Abs. 2, § 626; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 04.08.2021; Aktenzeichen 25 Ca 1048/19) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 04.08.2021 - 25 Ca 1048/19 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zweitinstanzlich zuletzt über die Wirksamkeit einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung der Beklagten vom 18. Januar 2019 und davon abhängig über die Weiterbeschäftigung des Klägers.
Wegen des erstinstanzlichen unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien einschließlich ihrer Rechtsansichten wird, soweit vorliegend von Interesse, auf den nicht mit einem Berichtigungsantrag angegriffenen Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Bezug genommen und verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 4. August 2021 die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe unter II. 1. und 2. Bezug genommen und verwiesen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 12. August 2021 zugestellte Urteil mit beim Berufungsgericht am 1. September 2021 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und sie innerhalb der mit Verfügung vom 3. September 2021 bis zum 12. November 2021 verlängerten Begründungsfrist mit beim Landesarbeitsgericht am 12. November 2021 eingegangenem Schriftsatz ausgeführt.
Er rügt auf der Grundlage seines Begründungsschriftsatzes vom 12. November 2021, der Gegenstand der Berufungsverhandlung war und auf den Bezug genommen und verwiesen wird, näher bestimmt fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts insbesondere insoweit, als sein Verhalten keinen kündigungsrelevanten Datenschutzverstoß beinhalte. Die Datenschutzgrundverordnung finde angesichts der Haushaltsausnahme keine Anwendung, jedenfalls fehle es an einer unrechtmäßigen Verarbeitung, insbesondere von besonderen Kategorien personenbezogener Daten, Letzteres sei jedoch auch von der Ausnahmeregelung gemäß Art. 9 Abs. 2 DSGVO getragen, zumindest sei sein Verhalten nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO gerechtfertigt. Außerdem handele es sich um keinen besonders schwerwiegenden Verstoß, von einem schuldhaften Verstoß könne auch nicht ausgegangen werden, da er sich in einem Rechtsirrtum befunden habe, er habe auf die Richtigkeit seines damaligen Rechtsbeistandes vertraut. Im Übrigen liege auch kein Verstoß gegen Art. 14 DSGVO vor, jedenfalls aber führe ein Verstoß hiergegen nicht zur Rechtswidrigkeit der Datenverarbeitung. Er habe auch mitnichten die allgemeinen Persönlichkeitsrechte der durch die Veröffentlichung der Schriftsätze betroffenen Personen verletzt. In diesem Kontext sei es ihm nämlich um die Verteidigung gegen die ungerechtfertigten Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegangen und insofern könne er sich auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen. Der Vorwurf der massiven Störung des Betriebsfriedens sei bereits deswegen nicht gerechtfertigt, weil die Beklagte hierfür nichts Konkretes vorgetragen habe. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts liege hinsichtlich der behaupteten Pflichtverstöße, die der vorliegenden Kündigung und der Kündigung vom 13. Februar 2018 zu Grunde liegen, keine Gleichartigkeit vor, so dass die unwirksame Kündigung vom 13. Februar 2018 nicht in eine Abmahnung "umgedeutet" werden könne. Außerdem habe das Arbeitsgericht auch die Interessenabwägung rechtsfehlerhaft durchgeführt und die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung fehlerhaft bewertet.
Der Kläger beantragt zuletzt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 04.08.2021, Az. 25 Ca 1058/19 abzuändern und
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die seitens der Beklag...