Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit. Drei-Stufen-Prüfung der betrieblichen Gründe i.S.d. § 8 TzBfG
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 8 Abs. 1 TzBfG hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit, soweit dem betriebliche Gründe nicht entgegenstehen. § 8 TzBfG enthält keine Vorgaben hinsichtlich des Umfangs der Vertragsänderung und knüpft den Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit nicht an ein Mindestmaß der Arbeitszeitreduzierung an.
2. Für die Prüfung der einer Arbeitszeitverringerung entgegenstehenden betrieblichen Gründe sind drei Schritte erforderlich: Es muss der vom Arbeitgeber als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung ein betriebliches Organisationskonzept zugrunde liegen. Zweitens ist zu prüfen, ob die aus diesem Organisationskonzept folgende Arbeitszeitregelung dem Arbeitszeitverlangen des Arbeitnehmers tatsächlich entgegensteht. Drittens ist dann das Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Gründe im Sinne einer Interessenabwägung zu prüfen.
Normenkette
TzBfG § 8
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 13.10.2020; Aktenzeichen 9 Ca 136/20) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 13. Oktober 2020 (9 Ca 136/20) teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Verringerung der Arbeitszeit des Klägers auf 37, 5 Stunden pro Woche ab dem 21. März 2020 mit einer arbeitstäglichen Verteilung der Arbeitszeit von Montag bis Freitag, jeweils von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr, zuzustimmen.
Der Kläger trägt 20 Hundertstel der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die Beklagte 80 Hundertstel sowie die Kosten der Berufung.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Verringerung der Arbeitszeit und deren Verteilung auf die Tage Montag bis Freitag jeweils von 8.00 bis 16.00 Uhr.
Die Beklagte ist ein Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs, das am Standort S. ca. 520 Busfahrerinnen und Busfahrer und insgesamt an allen ihren Standorten mehr als 2000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt. Die Beklagte führt im Rahmen des H. V. Buslinienverkehr an 365 Tagen im Jahr und 24 Stunden am Tag durch. Neben der Beklagten sind im H.-Gebiet auch andere Verkehrsunternehmen tätig, die zusammen mit der Beklagten nach einem einheitlichen Fahrplan, der zum Winter und zum Sommer eines jeden Jahres wechselt, mit einheitlichen Tarifen jeweils bestimmte Buslinien des gesamten Streckennetzes des HVV bedienen.
Für die jeweiligen Fahrpläne werden von der Beklagten für die von ihr im Streckennetz des HVV zu erbringenden Fahrdienste jeweils Dienstpläne erstellt. Diese Dienstpläne stehen für die Geltungsdauer des Sommer- bzw. des Winterfahrplans grundsätzlich fest. Die Dienstpläne tragen jeweils sog. Plannummern und weisen jeweils aus, welche Buslinie um welche Uhrzeit von welchem Stellplatz aus von welcher Bushaltestelle zu welcher Endhaltestelle fährt. Diese Dienstpläne haben zunächst keinen Bezug zu einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Beklagten im Fahrdienst.
Für die Verteilung der Dienstpläne auf die einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Fahrdienst wurde im Jahr 1990 ein betriebliches Organisationskonzept entwickelt, welches seither Anwendung findet und welches das System "3/1-4/1" umsetzt und den Arbeitnehmern grundsätzlich zwei freie Wochenenden im Monat zur Verfügung stellt. Dieses Konzept sieht in einem Zeitraum vom 1. Januar eines Jahres bis zum 31. Dezember eines Jahres über einen Rhythmus von neun Wochen an sieben Tagen in der Woche (montags bis sonntags), beginnend ab der 1. Woche über die 2., 3., 4., 5., 6., 7., 8. Woche bis zur 9. Woche fest vor, dass drei Arbeitstagen ein freier Tag nachfolgt, diesem wiederum vier Arbeitstage und ein freier Tag folgen, diesem wiederum drei Arbeitstage und ein freier Tag nachfolgen, diesem wiederum vier Arbeitstage und ein freier Tag nachfolgen etc.
Die Beklagte legt die erforderliche Kapazität an Arbeitskräften und Arbeitszeit danach fest, dass alle Busfahrerinnen und Busfahrer grundsätzlich an allen sieben Tagen in der Woche zu arbeiten haben. In diesem sich über neun Wochen erstreckenden Rhythmus von entsprechenden Arbeitstagen und entsprechenden freien Tagen sind überdies zusätzliche freie Tage (F-Tage) eingestellt, um die jährliche Gesamtzahl an freien Tagen und die beiden freien Wochenenden im Monat zu erreichen. Mit diesem 9-Wochen-Rhythmnus mit dem System "3/1-4/1" und dem grundsätzlich freien 2. Wochenende wurden ferner sog. "Freizeitgruppen" eingeführt, und zwar für jede Woche der neuen Wochen eine Freizeitgruppe, mithin neun Freizeitgruppen. Dies bedeutet, dass die 1. Freizeitgruppe in der ersten Woche des 9-Wochen-Rhythmus und diesen bis zur 9. Woche "abarbeitet", im Anschluss daran erneut den 9-Wochen-Rhythmus beginnt und diesen bis zur 9. Woche "abarbeitet" etc., dies jeweils bis zum Ende des Jahres wiederholend. Entsprechend beginnt die 2. Freizeitgruppe in der 2. Woche des 9-Wochen-Rhy...