Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsanspruch trotz Arbeitsunfähigkeit. Rechtmäßiges Berufen des Arbeitgebers auf Verfall von Urlaubsansprüchen. Vermutung der Kausalität für Verfall von Urlaub bei Arbeitsunfähigkeit von einundfünfzig Monaten

 

Leitsatz (amtlich)

Bleibt ein Arbeitnehmer auch bis nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt, ist es dem Arbeitgeber, der seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, den Arbeitnehmer von dem Bestehen von Urlaubsansprüchen und deren Befristung in Kenntnis zu setzen, nicht verwehrt, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen. Ist der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig, sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal (im Anschluss an BAG, EuGH-Vorlage vom 07. Juli 2020, 9 AZR 401/19 (A), NZA 2020, 1541-1547, Rn. 19 - 27)

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 3; RL 203/88/EG Art. 7 Abs. 1; GRC Art. 32 Abs. 2; ArbGG § 69 Abs. 2; BUrlG § 7 Abs. 1-2; ZPO § 97 Abs. 1, § 148

 

Verfahrensgang

ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 25.06.2021; Aktenzeichen 4 Ca 2312/20)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 25.06.2021 - 4 Ca 2312/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Urlaubsabgeltung für die Kalenderjahre 2016 und 2017.

Der am 30.10."0000" geborene Kläger stand seit dem 01.08.1992 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Er erzielte zuletzt einen Stundenlohn von 12,49 €.

Aufgrund einer schweren Nervenschädigung an der linken Hand erlitt der Kläger eine Verkrümmung mehrerer Finger. Ab dem 04.01.2010 wurde seine Arbeitsunfähigkeit attestiert.

Am 03.09.2010 stellte die Beklagte als Versicherungsnehmerin einer am 01.07.1996 zum Zwecke der betrieblichen Altersversorgung in Form einer Direktversicherung bei der KARLSRUHER Versicherung und einer darin enthaltenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zugunsten des Klägers den Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit. Diese erhielt der Kläger in der Folgezeit.

Nach Aussteuerung durch die Krankenkasse am 03.07.2011 erhielt der Kläger für die Dauer von 12 Monaten Arbeitslosengeld I gemäß § 145 SGB III. Mit Wirkung ab dem 14.01.2013 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bund dem Kläger eine Weiterbildung für den Beruf als Fachkraft für Gebäudewirtschaft als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Weiterbildungsmaßnahme endete am 11.07.2014. Während der Maßnahme erhielt der Kläger Übergangsgeld nach dem SGB VI. Mit Wirkung ab dem 05.05.2014 war der Kläger in der Rehabilitationsberatung der Deutschen Rentenversicherung. In der Folgezeit leistete der Kläger verschiedene Praktika und absolvierte in der Zeit vom 01.11.2016 bis zum 30.09.2017 einen beruflichen Integrationslehrgang der Stadt A, in dessen Verlauf er u. a. ein Praktikum bei den A Behindertenwerkstätten in der Zeit vom 01.04. bis zum 30.09.2017 durchführte. Mit Wirkung ab dem 01.10.2017 erhielt der Kläger zunächst dort eine befristete Beschäftigung bis zum 30.09.2018 und sodann mit Wirkung ab dem 01.10.2020 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bei der A Werkstätten gGmbH.

Aufgrund eines Gesprächs am 23.01.2018, nachdem der Kläger sein Arbeitsverhältnis bei den A Werkstätten begonnen hatte, erteilte die Beklagte dem Kläger eine Bescheinigung, dass dieser am 10.04.2014 aus dem Unternehmen ausgeschieden sei (Schreiben der Beklagten vom 31.01.2018, Bl. 61 d. A.). Im Zuge dieses Gesprächs hatte der Kläger die Bescheinigung der KARLSRUHER Versicherung, in welchem diese nachfragte, ab welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten beendet wurde, vorgelegt.

Mit Schreiben vom 26.09.2019 verlangte der Kläger die Abgeltung von je 30 Tagen Urlaub je Kalenderjahr für die Jahre 2016 und 2017 (Bl. 8 ff. d. A.). Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 02.10.2019 ab.

Eine zunächst am 09.12.2020 erhobene Klage auf Feststellung der Urlaubsansprüche für die Jahre 2016 und 2017 stellte er nach erfolgter fristloser Eigenkündigung vom 25.02.2021 am 15.03.2021 auf eine bezifferte Zahlungsklage um.

Der Kläger hat behauptet, durchgehend arbeitsunfähig gewesen zu sein. Er habe zu keinem Zeitpunkt die Beklagte aufgefordert, ihm eine Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 10.04.2014 zu bescheinigen. Weder er noch die Beklagte hätten eine wirksame Willenserklärung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem 25.02.2021 abgegeben. Bezogen auf die Urlaubsjahre 2016 und 2017 sei die Beklagte ihrer Hinweisobliegenheit nicht nachgekommen. Selbst wenn sie über die Urlaubnahme am "schwarzen Brett" in dem Betrieb informiert hätte, hätte er mangels Anwesenheit dies unstreitig nicht wahrnehmen können. Hierzu hätte die Beklagte jedenfalls im Gespräch am 23.01.2018 Gelegenheit gehabt. Da dem Urlaubsanspruch aus den Jahren 2016 und...

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