Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuordnung und Individualisierung der Wahlbewerber zur Betriebsratswahl. Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber. Verpflichtung des Wahlvorstands zur Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit der Wahlbewerber. Unzulässige Wahlwerbung des Vorsitzenden des Wahlvorstands
Leitsatz (redaktionell)
1. Bleibt die eindeutige Zuordnung und Individualisierung der Wahlbewerber zur Betriebsratswahl trotz ungenauer Listenbezeichnung möglich, liegt kein Verstoß gegen § 6 Abs. 3 WO vor, der die Wahl beeinflusst haben könnte.
2. Der Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber ist ein wesentlicher Grundsatz des Wahlrechts i.S.d. § 19 Abs. 1 BetrVG. Er dient der Integrität einer demokratischen Wahl. Seine Verletzung ist geeignet, eine Wahlanfechtung zu rechtfertigen.
3. Der Grundsatz der Chancengleichheit ist verletzt, wenn einzelne Wahlbewerber sich selbst Vorrechte gegenüber Mitbewerbern herausnehmen. Insbesondere Mitglieder des Wahlvorstands haben das Gebot der Chancengleichheit der Wahlbewerber zu beachten und zu sichern. Sie sind verpflichtet, Wahlvorschläge und konkurrierende Bewerber gleich zu behandeln.
4. Macht der Vorsitzende des Wahlvorstands, der auch Wahlbewerber ist, mit einer WhatsApp-Nachricht Wahlwerbung für seine Liste, ohne dass andere Wahlbewerber die Möglichkeit gehabt hätten, für ihre Kandidatur in vergleichbarer Weise zu werben, ist der Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber verletzt. Dies führt zur Nichtigkeit der Wahl.
Normenkette
GG Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; BetrVG §§ 19, 20 Abs. 2; WO § 6 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 26.01.2023; Aktenzeichen 11 BV 101/22) |
Tenor
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Betriebsratswahl vom 23.05.2022.
Die Antragsteller sind wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs S der Arbeitgeberin, die vom Flughafen K mit Wirkung ab dem 01.04.2022 an Stelle der bis dahin eingesetzten F GmbH den Zuschlag für Los 1 der Flughafensicherheitskontrollen erhalten hatte. In der S wurden zu diesem Zeitpunkt 170 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt.
Wahlvorstandsvorsitzender war Herr T D , der neben seiner Tätigkeit als Luftsicherheitskontrollkraft (LSKK) und Vorsitzender des bei der F GmbH gebildeten Betriebsrats auch als Disponent und Tagesdienstplaner eingesetzt ist.
Zum Betriebsrat kandidierten insgesamt 37 Kandidatinnen und Kandidaten auf fünf Vorschlagslisten. Auf der Bekanntmachung der Vorschlagslisten war bei sämtlichen 37 Wahlbewerberinnen und Wahlbewerbern unter "Art der Beschäftigung im Betrieb" vermerkt "LSKK" (Luftsicherheitskontrollkraft).
Herr D , der auch Listenführer der Vorschlagsliste Nr. 2 war, verschickte am Sonntag, dem 22.05.2022, dem Tag vor der Betriebsratswahl, eine WhatsApp- Nachricht in eine Broadcast-Gruppe, in der ca. 80 % der Arbeitnehmer Mitglied sind. In dieser Nachricht, wegen deren näheren Inhalts auf Blatt 112 bis 119 der Akte Bezug genommen wird, setzte sich Herr D kritisch mit der Wahlwerbung der anderen Listen auseinander.
Gemäß der Wahlniederschrift vom 23.05.2023 wurden 149 gültige Stimmen abgegeben. Die Vorschlagslisten erhielten dabei folgende Stimmen:
Vorschlagsliste 1 - Kennwort Geradeaus |
153 |
Vorschlagsliste 2 - Kennwort CGN Airport |
84 |
Vorschlagsliste 3 - Kennwort Neustart |
28 |
Vorschlagsliste 4 - Kennwort Die Aufrechten |
16 |
Vorschlagsliste 5 -Kennwort Bermuda |
7 |
Die zuletzt zu berücksichtigende Höchstzahl (14) fiel auf drei Wahlvorschlagslisten. Der Wahlvorstand führte daraufhin ein Losverfahren durch, um zu bestimmen, welche Wahlbewerber den achten und neunten Betriebsratssitz erhielten. Der Wahlvorstand gab das Ergebnis der Wahl nicht noch am selben Tag, sondern in einem späteren Termin bekannt.
Mit ihrer am 07.06.2023 bei dem Arbeitsgericht eingereichten Antragsschrift haben die Antragsteller die Ansicht vertreten, dass die Betriebsratswahl unwirksam sei.
Sie haben behauptet, bei den Angaben auf den Vorschlagslisten habe es sich nicht bei allen Kandidatinnen und Kandidaten um "einfache" Luftsicherheitskontrollkräfte gehandelt. So habe es sich bei den auf der Vorschlagsliste Nr. 2 mit dem Kennwort "CGN Airport" an erster und zweiter Stelle aufgeführten Wahlbewerbern tatsächlich um Objektleiter gehandelt.
Die Objektleiterin Sa , die auf Listenplatz 2 der Vorschlagsliste Nr. 2 kandidiert habe und zu diesem Zeitpunkt stellvertretende Betriebsratsvorsitzende gewesen sei, habe einen Wahlbewerber der Vorschlagsliste Nr. 5 aufgefordert, seine Bewerbung zurückzuziehen, da er im Hinblick auf die Berufstätigkeit seiner Ehefrau auf eine Dienstplanung angewiesen sei, die ihm und seiner Frau die Kinderbetreuung ermögliche. Zudem habe Frau Sa gegenüber einem Kandidaten von der Vorschlagsliste Nr. 4 geäußert, er werde seine Kandidatur auf dieser Liste an den Dienstplänen sehen; diese würden schl...