LAG Köln, Beschluss vom 6.10.2023, 9 TaBV 14/23
Der Grundsatz der Chancengleichheit bei der Betriebsratswahl ist dann verletzt, wenn einzelne Wahlbewerber sich selbst Vorrechte gegenüber Mitbewerbern (hier: WhatsApp- Nachricht in eine Broadcast-Gruppe) herausnehmen. Insbesondere Mitglieder des Wahlvorstands haben das Gebot der Chancengleichheit der Wahlbewerber zu beachten und zu sichern.
Sachverhalt
Die Antragsteller sind wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs für Flughafensicherheitskontrollen. Am 23.5.2022 fand eine Betriebsratswahl statt, für welche insgesamt 37 Kandidatinnen und Kandidaten auf 5 Vorschlagslisten kandidierten. Der Wahlvorstandsvorsitzender war Herr D. Dieser war gleichzeitig auch der Listenführer der Vorschlagsliste Nr. 2. Am Vortag der Betriebsratswahl hatte Herr D. eine WhatsApp-Nachricht in eine Broadcast-Gruppe geschickt, in der ca. 80 % der Arbeitnehmer Mitglied sind. In dieser Nachricht setzte er sich kritisch mit der Wahlwerbung der anderen Listen auseinander.
Die Antragsteller hatten u. a. deshalb die Ansicht vertreten, dass die Betriebsratswahl unwirksam sei. Die WhatsApp-Nachricht des Herrn D. habe den Grundsatz der Chancengleichheit verletzt, u. a. weil die Handynummern Herrn D. in seiner Funktion als Dienstplaner bekannt geworden seien.
Die Entscheidung
Das LAG Köln entschied, dass die Betriebsratswahl unwirksam ist. Der Wahlvorstandsvorsitzende habe mit seiner WhatsApp-Nachricht vom 22.5.2023 gegen den Grundsatz der Chancengleichheit verstoßen.
Das LAG führte aus, dass der Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber ein wesentlicher Grundsatz des Wahlrechts i. S. d. § 19 Abs. 1 BetrVG sei und der Integrität einer demokratischen Wahl diene, so dass seine Verletzung geeignet sei, eine Wahlanfechtung zu rechtfertigen (s. auch BAG, Beschluss vom 6.12.2000 – 7 ABR 34/99). Hiernach soll jeder Wahlbewerber die gleichen Möglichkeiten im Wahlkampf und im Wahlverfahren und damit die gleiche Chance im Wettbewerb um die Wählerstimmen haben. Dieser Grundsatz werde jedoch dann verletzt, wenn einzelne Wahlbewerber sich selbst Vorrechte gegenüber Mitbewerbern herausnehmen. Insbesondere Mitglieder des Wahlvorstands haben das Gebot der Chancengleichheit der Wahlbewerber zu beachten und zu sichern und sind verpflichtet, Wahlvorschläge und konkurrierende Bewerber gleich zu behandeln.
Im vorliegenden Fall hatte Herr D. als Wahlbewerber und Vorsitzender des Wahlvorstands mit seiner WhatsApp-Nachricht Wahlwerbung für seine Liste gemacht, ohne dass andere Wahlbewerber die Möglichkeit gehabt hätten, für ihre Kandidatur in vergleichbarer Weise zu werben. Da die WhatsApp-Nachricht auch zu Werbezwecken versandt worden war und Vorwürfe gegen die weiteren Listen enthielt, handelte sich hier unstrittig um Wahlwerbung. Auch wenn dies grundsätzlich nicht zu beanstanden sei und sogar bei Betriebsratswahlen nicht nur durch Art. 5 Abs. 1 GG, sondern für Koalitionen auch durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt sei, sei die Nutzung der Broadcastliste zu Wahlzwecken unzulässig.
Und dies lag hier vor. Herr D. hatte eine Broadcastliste zur Werbung für seine Liste genutzt, die anderen Wahlbewerbern nicht zur Verfügung stand. Es sei hierbei nach Auffassung des LAG irrelevant, ob er Zugang zu Mitarbeiterdaten hatte oder ob er die Telefonnummern freiwillig von den Arbeitnehmern erhalten hatte; denn Herr D. war zumindest teilweise auf Grund seiner betrieblichen Stellung als Disponent für die Tagesdienstplanung an die privaten Handynummern gelangt. Entscheidend sei hier, dass andere Wahlbewerber keine vergleichbare Stellung im Betrieb hatten, um an solche Kontaktdaten gelangen zu können.