Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigungsanspruch eines Bewerbers wegen vermuteter Altersdiskriminierung in einer Stellenanzeige
Leitsatz (amtlich)
Bietet der Arbeitgeber in einer Stellenanzeige eine "zukunftsorientierte, kreative Mitarbeit in einem jungen, hochmotivierten Team", so liegt hierin eine Tatsache, die eine Benachteiligung des nicht eingestellten 61-jährigen Bewerbers wegen des Alters nach § 22 AGG vermuten lässt.
Normenkette
AGG §§ 1, 3, 7, 11, 15, 22
Verfahrensgang
ArbG Würzburg (Entscheidung vom 05.12.2019; Aktenzeichen 4 Ca 748/19) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 05.12.2019, Az. 4 Ca 748/19, werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Streit der Parteien betrifft eine behauptete Diskriminierung und daraus folgende Ersatzansprüche.
Der 61-jährige Kläger ist Diplomkaufmann und seit 1996 im SAP-Bereich tätig. Er verfügt über diverse Zertifizierungen und Ausbildungen in dieser Richtung (Blatt 20 ff.). Die Beklagte ist ein Unternehmen des Nahrungsmittelgroßhandels.
Im März 2019 schaltete die Beklagte online eine Stellenanzeige (Blatt 13 - 18 der Akten), mit der sie einen "Mitarbeiter SAP-Anwendungsbetreuung (m/w/d)" suchte. Der Eintritt sollte ab sofort erfolgen. Bezüglich des Karrierelevels war "Berufseinsteiger" angegeben. Im Begleittext fand sich unter der Überschrift "Wir bieten Ihnen" folgender Text:
"Zukunftsorientierte, kreative Mitarbeit in einem jungen, hoch motivierten Team in einem sehr interessanten und abwechslungsreichen Themenumfeld ..." Gefordert war zudem die Vorlage von "aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen (wie Lebenslauf und vollständigen Zeugnissen)".
Am 08.03.2019 bewarb sich der Kläger über das Online-Portal der Beklagten auf diese Stelle (Blatt 20 ff der Akten). Als Anlagen lud er jedenfalls seinen Lebenslauf (Blatt 21 - 32 der Akten) sowie diverse Zertifikate (Blatt 33 - 38 der Akten) hoch. Ob auch Arbeitszeugnisse hochgeladen wurden, ist streitig.
Mit E-Mail vom 18.03.2019 lehnte die Beklagte die Bewerbung des Klägers nach Durchsicht seiner Unterlagen im Rahmen einer Vorauswahl ab mit der Begründung, sich für andere Bewerber entschieden zu haben, die das spezielle Anforderungsprofil noch besser erfüllten (Blatt 39 der Akten). Zeitgleich hatte sich der Kläger auf zwei weitere Stellen bei der Firma E... beworben und hat hier ebenfalls Absagen erhalten.
Mit Schreiben vom 16.05.2019 machten die Klägervertreter gegenüber der Beklagten Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche wegen einer behaupteten Diskriminierung des Klägers wegen seines Alters geltend (Blatt 40 - 43 der Akten). Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 31.05.2019 ab. Am 13.06.2019 ging die Klage auf Feststellung eines Schadensersatzes (Antrag zu 1), Zahlung einer Entschädigung nicht unter 26.000,- € (Antrag zu 2) und Erteilung einer Auskunft über das Gehalt des tatsächlich eingestellten Mitarbeiters (Antrag zu 3) beim Arbeitsgericht ein.
Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens teilte die Beklagte mit, dass der eingestellte Bewerber ein Tarifgehalt von 2.449,- €, eine Zulage von 764,- €, einen Besitzstandsbetrag von 15,- € sowie tarifliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld erhalte. Der Antrag auf Auskunft wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht nicht mehr aufrechterhalten.
Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien sowie der genauen Antragstellung wird auf den Tatbestand im Urteil des Arbeitsgerichts verwiesen.
Das Arbeitsgericht verurteilte die Beklagte auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 6.710,98 € und wies die Klage im Übrigen ab.
Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Der auf Schadenersatz gerichtete Feststellungsantrag sei unzulässig. Die Klagebegründung sowie die weiteren Schriftsätze hätten sich ausschließlich mit der Entschädigungsproblematik des § 15 Abs. 2 AGG, nicht aber mit einem materiellen Schaden nach § 15 Abs. 1 AGG beschäftigt.
Die Klage sei hinsichtlich der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 2 Monatsgehältern begründet. Hierbei sei von dem dem eingestellten Bewerber gezahlten Entgelt nebst dem anteiligen tariflichen Urlaubs- und Weihnachtsgeld auszugehen.
Der Kläger sei Bewerber im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2, Alternative 1 AGG. Er habe eine 18-seitige Bewerbung online hochgeladen, mit der er sich und seinen beruflichen Werdegang geschildert habe und daneben eine Vielzahl von Zertifikaten beigefügt. Die Beklagte habe außer ihrer Kritik bezüglich der Bewerbung an sich (insbesondere fehlende Zeugnisse) keinerlei inhaltlichen Beitrag dazu geleistet, warum die Bewerbung des Klägers nicht ernsthaft gewesen sein soll. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob die subjektive Ernsthaftigkeit überhaupt ein Tatbestandsmerkmal für eine Bewerbung im Sinne des AGG sei oder nicht.
Das Entschädigungsverlangen des Klägers sei auch form- und fristgerecht ge...