Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Erstattung einer haltlosen Strafanzeige gegen den Arbeitgeber. Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich fehlenden Tatsachenbezugs der Strafanzeige
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Erstattung einer völlig haltlosen, jeglichen Tatsachenbezugs entbehrenden Strafanzeige einer Arbeitnehmerin gegen den Arbeitgeber (hier: wegen unzulässiger Überwachung) kann die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund rechtfertigen.
2. Zwar trifft im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich den Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Haltlosigkeit der erhobenen Vorwürfe. Wegen der Schwierigkeit des Beweises negativer Tatsachen ist es jedoch Sache des Arbeitnehmers, im Rahmen einer sekundären Darlegungslast konkrete Anhaltspunkte für die von ihm erhobenen Behauptungen darzulegen.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2, § 626; ZPO § 138 Abs. 2-3
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 27.08.2021; Aktenzeichen 1 Ca 1749/20) |
Tenor
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung und einer vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.
Die 1988 geborene Klägerin war aufgrund Arbeitsvertrags vom 09. Januar 2019 (Bl. 5 - 11 d. A.) seit dem 01. März 2019 bei der Beklagten als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer.
Die Klägerin äußerte gegenüber Mitarbeitern der Beklagten wiederholt, erstmals im März 2020, die Befürchtung, man wolle ihr kündigen, u.a. anlässlich der Einstellung einer Mitarbeiterin für den Vertriebsinnendienst (Frau K. vom 15. April bis 05. August 2020) und eines Controllers (Herr S. seit 01. Mai 2020). Darüber hinaus äußerte die Klägerin mehrfach gegenüber dem Vorstand der Beklagten, Herrn Dr. M. und dem Finanzleiter der Beklagten, Herrn X., dass sie sich von Seiten der Beklagten beobachtet fühle und glaube, dass eine Software eingesetzt werde, um sie zu überwachen. Entsprechende Befürchtungen äußerte die Klägerin gegenüber dem Finanzleiter Herrn X. am 06. Oktober 2020 und im Personalentwicklungsgespräch vom 20. Oktober 2020, woraufhin dieser ihr gegenüber jeweils versicherte, dass es weder eine Beobachtung ihrer Person von Seiten der Beklagten noch eine entsprechende Überwachungssoftware geben würde. Als die Klägerin am 29. Oktober 2020 Herrn X. erneut darauf ansprach, sich weiterhin überwacht zu fühlen, forderte dieser sie unter Zurückweisung ihrer Vermutungen eindringlich auf, diese Vorwürfe künftig zu unterlassen, insbesondere auch nicht gegenüber Dritte zu erheben.
Am Freitag, 06. November 2020, ging gegen 10:30 Uhr bei der Beklagten ein Anruf der Polizei ein, der zu Herrn X. durchgestellt wurde. Der Polizeibeamte berichtete, dass die Klägerin eine Anzeige gegen die Beklagte aufgeben wolle wegen offensichtlich ungerechtfertigter Überwachung ihrer Person durch die Beklagte. Auf entsprechende Bitte des Polizeibeamten gab Herr X. die Telefonnummer der ehemaligen Mitarbeiterin, Frau K., weiter. In dem Telefongespräch mit dem Polizeibeamten wies Herr X. darauf hin, dass die durch die Klägerin geäußerten Behauptungen jeder Grundlage entbehrten. An diesem Tag (06. November 2020), an dem die Klägerin von der Polizei zur Anhörung eingeladen worden war, unterzeichnete die Klägerin die zuvor von ihr bereits online am 28. Oktober 2020 erstattete Strafanzeige gegen die Beklagte. In der Folgezeit setzte sich die Polizei auch mit Frau K. in Verbindung, um sie nach den von der Klägerin behaupteten Anschuldigungen die Beklagte betreffend zu befragen, die diese nicht bestätigen konnte. Das aufgrund der Strafanzeige der Klägerin eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde durch die Staatsanwaltschaft L-Stadt mangels hinreichenden Tatverdachts inzwischen eingestellt.
Die Beklagte kündigte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 11. November 2020 (Bl. 13 d. A.), der Klägerin am 12. November 2020 zugegangen, fristlos und mit Schreiben vom 19. November 2020 (Bl. 14 d. A.) vorsorglich ordentlich zum "30. Januar 2021". Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 20. November 2020 beim Arbeitsgericht Ludwigshafen eingegangenen Kündigungsschutzklage.
Wegen des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 27. August 2021 - 1 Ca 1749/20 - Bezug genommen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die mit Schreiben der Beklagten vom 11. November 2020 ausgesprochene Kündigung weder fristlos aufgelöst wurde noch durch die mit Schreiben vom 19. November 2020 ausgesprochene Kündigung ordentlich zum 30. Januar 2021 aufgelöst wird,
- für ...