BAG, Urteil vom 18.2.2021, 6 AZR 205/20
Leitsätze (amtlich)
1. Einschlägige Berufserfahrung i. S. v. § 16 Abs. 2 TV-L setzt voraus, dass der Beschäftigte aufgrund einer gleichwertigen Tätigkeit im früheren Arbeitsverhältnis nach der Einstellung seine neue Tätigkeit vollumfänglich ohne nennenswerte Einarbeitungszeit aufnehmen kann.
2. Bei Lehrkräften kann einschlägige Berufserfahrung auch an einer Privatschule erworben werden.
Sachverhalt
Die Klägerin, Gymnasiallehrerin für die Fächer Deutsch und Englisch mit der Zusatzausbildung für das Fach Deutsch als Zweitsprache, war von August 2010 bis Juli 2012 bei dem beklagten Land als "Studienrätin z.A." an einer Gesamtschule beschäftigt und danach vom 1.8.2012 bis zum 31.7.2015 Gymnasiallehrerin an der Deutschen Schule in Shanghai (China). Ab dem 1.8.2015 bis zum 31.3.2017 war sie als Lehrerin an der ISR gGmbH (ISR) in N angestellt, einer privat betriebenen, staatlich anerkannten Ergänzungsschule. Laut ihres Zeugnisses umfasste ihr Aufgabengebiet Deutschunterricht und Literaturunterricht auf muttersprachlichem Niveau nach Kernlehrplan NRW für das Gymnasium der 5. bis zur 9. Klasse, Deutsch als Fremdsprache für die 5. und 6. Klasse, sie hatte Förderunterricht und Hausaufgabenbetreuung für Schüler der 5. und 6. Klasse angeboten und war zudem Klassenlehrerin für die 6. Klasse gewesen.
Vom 5.5.2017 bis zum 14.7.2017 war sie bei dem beklagten Land befristet als Lehrkraft am Städtischen Gymnasium in W beschäftigt, danach – ebenfalls befristet – beim beklagten Land vom 30.8.2017 bis zum 28.8.2018 am Städtischen R-Gymnasium in D. Der TV-L fand Anwendung.
Für ihre Tätigkeit am Städtischen R-Gymnasium in D wurde die Klägerin zunächst nach EG 13 Stufe 1, und nach Anerkennung der Tätigkeit am Gymnasium in W als einschlägige Berufserfahrung nach Stufe 2 TV-L vergütet. Sie beantragte jedoch die Zuordnung zur Stufe 3 mit Wirkung ab dem 30.8.2017. Sie vertrat die Auffassung, sie habe sowohl an der Deutschen Schule in Shanghai als auch an der ISR einschlägige Berufserfahrung erworben, welche bei der Stufenzuordnung berücksichtigt werden müsse. Es sei hierbei irrelevant, dass sie an der ISR lediglich in der Sekundarstufe I unterrichtet habe; denn für die Anerkennung einschlägiger Berufserfahrung sei nicht der Einsatz in bestimmten Jahrgangsstufen entscheidend, sondern die Qualifikation als Gymnasiallehrkraft in Verbindung mit der Unterrichtserteilung an einem Gymnasium. Das beklagte Land brachte dagegen vor, die Klägerin habe an der ISR in der Sekundarstufe I keine einschlägige Berufserfahrung für die Sekundarstufe II gesammelt. Auch sei der Unterricht an der Ergänzungsschule ISR nicht als gleichwertig mit dem Unterricht an einer staatlichen Schule anzusehen. Die Tätigkeit in Shanghai liege zudem mehr als 6 Monate vor dem Beginn des vorliegenden Arbeitsverhältnisses zurück.
Die Entscheidung
Die Klage hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Das Gericht entschied, dass die Klägerin während der Dauer ihres Arbeitsverhältnisses mit der ISR keine einschlägige Berufserfahrung i. S. d. § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L erworben habe, sodass sie bei Einstellung in den Dienst des beklagten Landes nicht der Stufe 3 der EG 13 TV-L zugeordnet gewesen sei.
Es führte hierzu aus, dass nach der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L einschlägige Berufserfahrung eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogen entsprechenden Tätigkeit sei; d. h. der Beschäftigte müsse in der früheren Tätigkeit einen Kenntnis- und Fähigkeitszuwachs erworben haben, der für die nach der Einstellung konkret auszuübende Tätigkeit erforderlich und prägend sei. Die frühere Tätigkeit müsse somit im Wesentlichen unverändert fortgesetzt werden oder zumindest gleichartig sein. Hierbei, so das BAG, gehe das Entgeltsystem des TV-L davon aus, dass es keine entgeltgruppenübergreifende Berufserfahrung gebe. Somit erfüllten frühere Tätigkeiten, die nur eine niedrigere Eingruppierung angehörten, nicht das Merkmal der einschlägigen Berufserfahrung. Und auch eine vorherige höherwertige Tätigkeit sei nicht generell mit einschlägiger Berufserfahrung gleichzusetzen. Voraussetzung sei, dass die in früheren Arbeitsverhältnissen erworbene Berufserfahrung den Beschäftigten in die Lage versetzten, ohne nennenswerte Einarbeitungszeit die Tätigkeit beim neuen Arbeitgeber auszuüben, d. h. die Vorbeschäftigung qualitativ im Wesentlichen die gesamte inhaltliche Breite der aktuellen Beschäftigung abdecke und deshalb einschlägig sei.
Zwar komme es hierbei nicht auf die Gleichwertigkeit der Schule an, weil § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L nur auf die durch eine bestimmte Tätigkeit erworbene Berufserfahrung abstelle. Somit könne auch an einer Ergänzungsschule, die einer gesonderten staatlichen Aufsicht unterstellt sei, einschlägige Berufserfahrung im tariflichen Sinn gesammelt werden. Letztlich entscheidend sei die Gesamtbetrachtung der fraglichen Lehrtätigkeit.
Des Weiteren sei es ohne Belang, dass bezogen auf die Eingruppierung der Klägerin es keine...