§ 4a Abs. 4 TVG regelt das Nachzeichnungsrecht der Minderheitsgewerkschaft. Eine Gewerkschaft kann vom Arbeitgeber oder von der Vereinigung der Arbeitgeber die Nachzeichnung der Rechtsnormen eines mit ihrem Tarifvertrag kollidierenden Tarifvertrags verlangen. Der Anspruch auf Nachzeichnung beinhaltet den Abschluss eines die Rechtsnormen des kollidierenden Tarifvertrags enthaltenden Tarifvertrags, soweit sich die Geltungsbereiche und Rechtsnormen der Tarifverträge überschneiden.
Das BVerfG stellt in seiner Entscheidung (Rn. 191-194) konkrete Vorgaben für eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift auf.
Der Nachzeichnungsanspruch sei nicht davon abhängig, dass der Tarifvertrag der nachzeichnenden Gewerkschaft tatsächlich verdrängt wird, sie also im Betrieb tatsächlich eine Minderheit der Beschäftigten organisiert. Aus Gründen der Praktikabilität genüge vielmehr, dass eine Gewerkschaft potenziell einen Nachteil erleiden könnte (vgl. BT-Drucks. 18/4062, S. 14), ohne dass im Zeitpunkt der Nachzeichnung die Mehrheitsverhältnisse im Betrieb bereits abschließend geklärt sein müssen.
§ 4a Abs. 4 Satz 2 TVG sehe hinsichtlich des Umfangs des Nachzeichnungsrechts eine Nachzeichnung des angestrebten Tarifvertrags vor, "soweit sich die Geltungsbereiche und Rechtsnormen der Tarifverträge überschneiden". Dies dürfe nicht dahin verstanden werden, dass eine Nachzeichnung sich nur auf solche Gegenstände erstrecken kann, für die in dem verdrängten Tarifvertrag ausdrücklich Regelungen getroffen wurden. Bei diesem Verständnis wäre das Nachzeichnungsrecht einer Gewerkschaft nur auf den tatsächlichen Überschneidungsbereich der Tarifverträge beschränkt, während die Verdrängung im Kollisionsfall nach § 4a Abs. 2 TVG grundsätzlich umfassend auch jenseits des sachlichen Überschneidungsbereichs gelten würde.
Wörtlich heißt es in Rn. 194:
[…] Vielmehr ist § 4a Abs. 4 Satz 2 TVG zum Schutz der Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Gewerkschaft, deren Tarifvertrag im Betrieb aufgrund einer Kollision nicht anwendbar ist oder sein wird, einen Anspruch auf Nachzeichnung des verdrängenden Tarifvertrags in seiner Gesamtheit hat. So korrespondiert das Nachzeichnungsrecht zumindest mit der Reichweite der Verdrängung, kann aber auch über die Inhalte des eigenen Tarifvertrags hinausgehen. Der Verlust des selbst ausgehandelten Gesamtpaketes wird gerade durch die Option in Grenzen gehalten, sich in der Sache dem gesamten anderen Tarifvertrag anzuschließen (vgl. BT-Drucks. 18/4062, S. 9, …).
Nachzeichnungsrecht für den gesamten Mehrheitstarifvertrags
Da im Falle einer Tarifkollision der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft umfassend – auch jenseits des sachlichen Überschneidungsbereichs – verdrängt wird, hat die Minderheitsgewerkschaft das Recht, den Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft insgesamt nachzuzeichnen, sodass die von der Minderheitsgewerkschaft vertretenen Arbeitnehmer vom Gesamtpaket der tariflichen Vereinbarung der anderen Gewerkschaft profitieren. Somit besteht im Falle der Nachzeichnung Anspruch auch auf Leistungen, die im Gesamtpaket der tariflichen Vereinbarung der anderen Gewerkschaft enthalten, im Vertrag der nachzeichnenden Gewerkschaft aber nicht geregelt sind.