ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23
Leitsätze (amtlich)
1. Kündigungen, die gegen § 164 Abs. 2 SGB IX verstoßen, sind rechtsunwirksam.
2. Eine durch § 164 Abs. 2 SGB IX verbotene Diskriminierung ist indiziert, wenn der Arbeitgeber gegen seine Verpflichtung aus § 167 Abs. 1 SGB IX verstößt.
3. Arbeitgeber sind auch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verpflichtet, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen (entgegen BAG, Urteil vom 21.4.2016 – 8 AZR 402/14 –, BAGE 155, 61-69).
Sachverhalt
Der Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehindert. Seit dem 1.1.2023 ist er bei der beklagten Kommune als "Beschäftigter im Bauhof" beschäftigt und wurde hierbei zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen eingesetzt. Da er seit Ende Mai arbeitsunfähig war, kündigte ihm die Beklagte am 22.6.2023 zum 31.7.2023.
Der Kläger erhob Klage, da er u. a. die infolge seiner Arbeitsunfähigkeit erklärte Kündigung für treuwidrig hielt. Unter Berufung auf die Entscheidung des EuGH vom 10.2.2022 (C-485/20) brachte er vor, dass die Beklagte ihm vor Ausspruch der Kündigung eine leidensgerechte Beschäftigung hätte anbieten müssen. Selbst aus Sicht der einarbeitenden Vorgesetzten sei er gerade nicht für alle Aufgaben ungeeignet gewesen.
Die Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Das Gericht entschied, dass die Kündigung gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX verstieß und damit unwirksam war.
Es führte aus, dass der Arbeitgeber – entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BAG – auch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verpflichtet sei, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Dies ergebe die unionsrechtskonforme Auslegung der Norm, wonach möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten seien, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, eintreten. Dies war vorliegend nicht erfolgt. Die Beklagte hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit ihrer Ansicht nach nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und ggf. die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.