EuGH, Urteil vom 22.9.2022, C-120/21 LB

Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub unterliegt keiner allgemeinen Verjährungsfrist von 3 Jahren, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, den Urlaub rechtzeitig zu nehmen.

Sachverhalt

Die Klägerin, die von 1996 bis Juli 2017 bei der Beklagten beschäftigt war, verlangte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die von ihr zwischen 2013 und 2017 nicht genommenen 101 Tage bezahlten Jahresurlaubs eine finanzielle Vergütung. Die Beklagte lehnte dies ab, da ihrer Ansicht nach der Anspruch verjährt sei, weil die allgemeine Verjährungsfrist von 3 Jahren Anwendung finde. Das BAG, welches mit der Sache befasst war (BAG v. 29.9.2020, 9 AZR 266/20 (A)), war der Ansicht, dass die Ansprüche der Klägerin für die Jahre 2013 bis 2016 nicht nach dem BUrlG erloschen seien, weil ihr ehemaliger Arbeitgeber sie nicht in die Lage versetzt habe, ihren bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zur gebotenen Zeit zu nehmen. Bezüglich der Frage, ob die allgemeine Verjährungsfrist von 3 Jahren Anwendung finden könne, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Entscheidung

Der EuGH entschied, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU dahin auszulegen seien, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer für einen Bezugszeitraum erworben hat, nach Ablauf einer Frist von 3 Jahren verjährt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen.

Auch wenn nach Ansicht des Gerichtshofes der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran habe, nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub konfrontiert zu werden, die auf mehr als 3 Jahre vor Antragstellung erworbene Ansprüche gestützt werden, sei dieses Interesse dann nicht schutzwürdig, wenn der Arbeitgeber davon abgesehen hat, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrzunehmen; denn hier habe sich der Arbeitgeber selbst in eine Situation gebracht, in der er mit solchen Anträgen konfrontiert werde und aus der er ansonsten zulasten des Arbeitnehmers Nutzen ziehen könnte. Es sei Sache des Arbeitgebers, gegen späte Anträge wegen nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs dadurch Vorkehrungen zu treffen, dass er seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachkommt.

Die vorliegende Fallgestaltung sei insbesondere nicht mit derjenigen vergleichbar, für die der EuGH im Falle einer längeren Abwesenheit des Arbeitnehmers wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers daran anerkannt hat, sich nicht der Gefahr einer Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiträumen und den Schwierigkeiten gegenüberzusehen, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können.

Anmerkung:

Durch diese Entscheidung hat das EuGH Klarheit geschaffen, ob bzw. wann der Urlaub trotz fehlendem Hinweis des Arbeitgebers erlöscht. Da insoweit deutlich wird, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub Priorität genießt, sollten die geforderten Hinweis- und Mitwirkungspflichten nicht auf die "die leichte Schulter" genommen werden.

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