LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 5.12.2023, 5 Sa 3/23
Eine Verletzung des allgemeinen Bewerbungsverfahrensanspruchs – wie hier durch die Feststellung einer Fristversäumnis – kann zwar zu einer Benachteiligung des Bewerbers führen. Eine solche Benachteiligung weist jedoch nicht zwangsläufig einen Zusammenhang mit einer Schwerbehinderung auf, sondern trifft alle Bewerber gleichermaßen.
Sachverhalt
Der Kläger ist im Jahr 1987 geboren. Nach seinem Abitur hatte er den Grundwehrdienst absolviert und ist dann zur Bundespolizei gegangen. Im Jahr 2011 hat er die Laufbahnprüfung des gehobenen Polizeivollzugsdienstes mit der Note "befriedigend" bestanden. Er erwarb zudem den akademischen Grad "Diplom-Verwaltungswirt (FH)". Nachdem er bis Mai 2012 als Polizeikommissar am Flughafen tätig war, machte er noch einen Master of Public Administration und war danach in verschiedenen Behörden als Sachbearbeiter bzw. Leiter tätig. Ab Februar 2018 arbeitete er in wechselnden Aufgabenbereichen bei einem privaten Sicherheitsunternehmen.
Am 7.4.2020 hatte das beklagte Amt über das Portal "Interamt.de" einen zum 1.9.2020 zu besetzenden Dienstposten "Amtsleitung für Zentrale Dienste und Finanzen (m/w/d)" mit einer Vergütung nach Entgeltgruppe 11 TVöD-VKA ausgeschrieben. Die Bewerbungsfrist lief bis Freitag, 8.5.2020. Der Kläger bewarb sich auf diese Stelle, allerdings erst mit E-Mail vom 1.5.2020. Zu diesem Zeitpunkt bestand bei ihm eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 50. Seine 56 Seiten umfassende Bewerbung druckte der leitende Verwaltungsbeamte aus und vermerkte darauf handschriftlich "verfristet!". Er wies die Personalleiterin an, dem Kläger eine Absage zu erteilen. Eine Schwerbehindertenvertretung existiert bei dem Beklagten nicht.
Der Kläger erhob Klage. Er verlangte von dem Beklagten eine Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG i. H. v. 11.568 EUR mit der Begründung, der Beklagte habe ihn wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das LAG urteilte, dass der Kläger nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt worden sei.
Das Gericht führte aus, dass ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, zwar regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung begründe. Das gelte insbesondere auch für einen Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX geregelte Pflicht zur Einladung eines schwerbehinderten oder diesem gleichgestellten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch. Der Arbeitgeber könne jedoch die Vermutung widerlegen, wenn er nachweisen kann, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aufgrund von Umständen unterblieben sei, die weder einen Bezug zur Behinderung aufwiesen noch die fehlende fachliche Eignung des Bewerbers bzw. der Bewerberin berührten.
Im vorliegenden Fall sah das Gericht als alleinige Ursache für den Ausschluss aus dem weiteren Bewerbungsverfahren allein die Verfristung der Bewerbung. Eine Verletzung des allgemeinen Bewerbungsverfahrensanspruchs führe zwar auch zu einer Benachteiligung des Bewerbers. Eine solche Benachteiligung weise jedoch nicht zwangsläufig einen Zusammenhang mit einer Schwerbehinderung auf, welche einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG auslöse, sondern gewähre ggf. die Möglichkeit, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine endgültige Besetzung der Stelle zeitweise zu verhindern. Auch wenn die beim Beklagten "gelebte Praxis" ggf. rechtswidrig sein mag, betreffe sie alle Bewerber/innen gleichermaßen, und zwar unabhängig von einer Schwerbehinderung, dem Geschlecht, der ethnischen Herkunft, der Religion etc.