Ja, es war schon ein Paukenschlag, als das BAG den Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben hatte. Am 27. Januar 2010 erst durch den 4. Senat, dann am 23. Juni 2010 als "reproduzierender Künstler" der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts. Einerseits höchst überraschend nach jahrzehntelanger völlig gefestigter Rechtsprechung eben dieses höchsten deutschen Arbeitsgerichts. Andererseits – ja, andererseits rechtsdogmatisch gar nicht überraschend: Denn das Bundesarbeitsgericht hat nichts anderes festgestellt, als dass in unserer Verfassung, dem Grundgesetz, von einer derartigen Verdrängung eines Tarifvertrags durch einen anderen schlicht nichts geschrieben steht. Juristisch also sozusagen kleines Einmaleins.
Auftritt: Nicht bezahltes Urlaubsgeld, das Abendland geht unter
Stellen wir uns die Geschichte zur Tarifeinheit als Schauspiel vor, so tritt zuerst eine Assistenzärztin auf. Sie wollte lediglich 1094,22 Euro Urlaubsgeld und brachte damit den Stein ins Rollen. Im anderen Fall verlangte ein Weiterbildungsarzt 628,78 Euro. Beides mit dem bekannten Ende für die Tarifeinheit.
Im ersten Teil der Aufführung steht die Debatte über die Urteile zur Tarifeinheit im Vordergrund. Die Entscheidungsgründe waren noch nicht abgesetzt, schon begann die Diskussion. Wenig wissenschaftlich wurde nahezu der Untergang des Abendlands vorhergesagt, wissenschaftlich – ob bestellt oder nicht – ließen erste Professoren-Gutachten mit Entwürfen für ein Gesetz zur Tarifeinheit nicht auf sich warten. Interessant ist, was nicht erfolgte: eine ergebnisoffene Diskussion. Hat jemand (und wenn ja: wer?) jemals untersucht, ob Tarifpluralität vielleicht auch Vorzüge haben könnte? Um nicht missverstanden zu werden: Ich selbst mag mich dazu gar nicht entscheiden. Aber die offene Diskussion hierüber, die hat mir schon gefehlt.
Streik: Pilotierende Lokführer fahren ins überlaufende Fass
Szenenwechsel in die Jahre nach 2010 bis heute: Überraschenderweise passiert – nichts. Keine neuen Gewerkschaften, die sich formieren. Aber zugegeben: Die bereits bestehenden Spartengewerkschaften fühlen sich Goliath gleich. . Dies führt soweit, dass mir letzthin ein Gewerkschafter im Scherz die Frage nach dem derzeit begehrteste Beruf gestellt hat: Pilot bei der Bahn… Während also aus den Hospitälern, von denen alles ausging, kaum Leid zu hören war und ist, sieht dies bei Bahn- und Fluggesellschaften anders aus. Die Brachialgewalt, mit der Mini-Gewerkschaften vorgehen, erschüttern die bundesdeutsche Mobilität (mich nicht – ich habe ein Auto!).
Auch hier wieder klarstellend: Ja, es ist das Recht dieser Gewerkschaften, zu streiken. Aber gerade zuletzt wurde deutlich, dass es zumindest bei der GDL gar nicht (nur) darum geht, für ihre Mitglieder zu streiken – sondern für eine Klientel, die sie erst gewinnen möchte, also für (Noch-)Nicht-Mitglieder. Wenn es etwas bedurfte, das Fass überlaufen zu lassen – es war erreicht. Nun ging es nicht mehr darum, dass sich Marburger Bund um die Ärzte und Verdi um das andere Krankenhauspersonal kümmern sollte, der VAA um Akademiker in der chemischen Industrie und die IG BCE um die anderen Tarifmitarbeiter. Nein, die GDL möchte Tarifverträge auch für Nicht-Lokführer abschließen, ohne ernsthaft in dieser Klientel verankert zu sein. Das ist eine neue Qualität. Eine Qualität, die auch de lege lata von Artikel 9 Grundgesetz nicht abgedeckt sein dürfte.
Die Umstände, Zustände und die Quadratur des Kreises
Wechseln wir kurz den Schauplatz: Im Ausland kennt man teils diese Um- oder auch Zustände. In Frankreich zum Beispiel. Irgendwie hat man dort gelernt, damit zu leben. Nicht immer komfortabel – aber dennoch. Ich bin mir aber sicher, dass diese Verhältnisse keinen Wettbewerbsvorteil bedeuten. Der soziale Frieden in Deutschland ist ein Gut, das nicht unterschätzt werden darf. Und ja, es lohnt sich, dass – wenn dieser Frieden in Gefahr gerät - der Gesetzgeber auf den Plan tritt.
In der nächsten Szene ist es dann auch soweit: Ein Referentenentwurf ist der Bundesregierung zugeleitet. Er beinhaltet einen Mechanismus, der nach dem Mehrheitsprinzip funktioniert, oder besser: funktionieren soll. Mehrheiten sind schließlich schnell änderbar, vor allem wenn mit einem besseren Tarifabschluss (ab)geworben werden kann. Vorprogrammiert freilich ist damit, dass die kleinen Gewerkschaften, oderdeutlicher: die Nicht-DGB-Gewerkschaften, gegen ein Gesetz auf die Barrikaden gehen werden. Will heißen: Sie liebäugeln unter Umständen mit einer einstweiligen Verfügung und Verfassungsbeschwerde. Ich wünsche den Referenten und der Bundesregierung sehr, dass sie mit ihrem Entwurf und dem folgenden Gesetz einen Volltreffer landen – der verfassungsrechtlich nicht angreifbar ist. Lange hat sich die Bundesregierung beraten – sicher auch aus der Erkenntnis heraus, dass es ein wenig der Quadratur des Kreises entspricht, ein verfassungsfestes Tarifgesetz zu stricken.
Ausblick: Der Anspruch auf Rechtssicherheit
Der vorerst letzte Akt: Ein Blick in die nahe Zukunft. Die Republik hofft, dass die Bahn ihren Widerstand hält und zu einem vernünftigen Tarifergebnis findet. Und das ohne und noch vor einem Tarifeinheitsgesetz. Und wenn dann das Gesetz kommt? Erleichterung, schließlich wollen wir Rechtssicherheit. Wer ist "wir"? Die Unternehmer, die Arbeitgeberverbände, die Gewerkschaften, die Arbeitnehmer. Wir haben einen Anspruch hierauf. Auch deshalb ist zu wünschen, dass das Gesetz, wird es denn – im ersten Halbjahr 2015? – verabschiedet werden, verfassungsrechtlich hält. Erleichterung?
Epilog
Ach ja, das Abendland: Es besteht noch!
Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen e.V. (BVAU), blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.