Geringqualifizierte arbeiten oft für Niedriglohn
Die gute Nachricht zuerst: Geringqualifizierte sind heute vermehrt in Beschäftigung. Allerdings macht sich Arbeit für sie nicht immer gut bezahlt, ermittelte eine Langzeitstudie der Bertelsmann-Stiftung, für die ein Wissenschaftler-Team um Professor Werner Eichhorst vom IZA und INES Berlin die Situation Geringqualifizierter am deutschen Arbeitsmarkt untersuchte. Seit den 1990er Jahren ist der Anteil Geringqualifizierter, die im Niedriglohnsektor arbeiten, erheblich gestiegen: in Westdeutschland von 18 (1995) auf 31 Prozent (2016), in den neuen Ländern im selben Zeitraum von 64 auf 80 Prozent.
In Schweden arbeiten nur fünf Prozent der Geringqualifizierten als Niedriglöhner
Insgesamt arbeitet hierzulande rund die Hälfte der Geringqualifizierten als Niedriglohnempfänger. Die Studie führt den hohen Anteil der Niedriglöhne in Deutschland unter anderem auf eine starke Zunahme von Zeitarbeit und befristeten Jobs sowie geringfügiger Beschäftigung zurück.
Bei den europäischen Nachbarn Großbritannien (33 Prozent), Dänemark (25 Prozent), Frankreich (18 Prozent) und Schweden (fünf Prozent) erhalten deutlich weniger Geringqualifizierte einen Niedriglohn. In den Nachbarländern sind jedoch die Grundkompetenzen Geringqualifizierter, wie Lese- und Mathematikverständnis, besser ausgeprägt.
Mögliche Stellschrauben für Deutschland
Beim Vergleich mit den europäischen Nachbarländern sind stets länderspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen, dennoch zeigt die Studie, an welchen Stellschrauben auch Deutschland drehen könnte: Während in Schweden und Dänemark Geringqualifizierte weitaus häufiger als in Deutschland an Weiterbildungen teilnehmen, hat Großbritannien mit seinem hoch flexiblen Arbeitsmarkt über Jahre sukzessive den Mindestlohn angehoben. Frankreich setzt auf einen noch höheren Mindestlohn, allerdings um den Preis massiver staatlicher Lohnsubventionen.
Mehr Weiterbildungen für Geringqualifizierte
„Mehr Gleichheit bei den Kompetenzen erlaubt mehr Gleichheit bei den Löhnen“, folgern die Studienautoren. Ein steigendes Kompetenzniveau würde es ermöglichen, den gesetzlichen Mindestlohn weiter anzuheben, um so die Einkommenssituation Geringqualifizierter zu verbessern. Für Deutschland ist vor diesem Hintergrund die kürzlich beschlossene Nationale Weiterbildungsstrategie ein wichtiger Schritt. Dieses sieht unter anderem vor, informelle Kompetenzen besser anzuerkennen und Geringqualifizierte zu formalen Abschlüssen, auch durch Teilqualifikationen, zu führen. Ein wesentliches Dilemma hierbei ist, dass Weiterbildung meist an unbefristete Vollzeitstellen gekoppelt ist: Geringqualifizierte, die häufig in atypischen Beschäftigungsverhältnissen sind, fallen dabei durch das Raster.
Frauen erhalten häufiger einen Niedriglohn
In Deutschland gilt als Niedriglohn ein Verdienst von weniger als 2.203 Euro brutto im Monat. Laut dem Bundesarbeitsministerium arbeiten hierzulande 19,3 Prozent der Vollzeitbeschäftigten für einen solchen Lohn. Dabei klafft zwischen West- und Ostdeutschland eine große Lücke, aber auch zwischen Frauen und Männern und unterschiedlichen Altersgruppen: In Westdeutschland beträgt der Anteil der Niedriglöhner 16,5 Prozent, in Ostdeutschland 32,1 Prozent, bei Frauen 26,5 Prozent und bei Männern 19,3 Prozent. In der Altersgruppe unter 25 Jahren erhalten 40,6 Prozent der Arbeitnehmer einen Niedriglohn.
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