Entscheidungsstichwort (Thema)
Anschaffung i.S. des § 10e Abs. 6 EStG
Leitsatz (amtlich)
Unter Anschaffung i.S. des § 10e Abs.6 EStG ist nur der entgeltliche Erwerb zu verstehen (Änderung der Rechtsprechung; Abweichung von dem BFH-Urteil vom 11.März 1992 X R 113/89, BFHE 167, 396, BStBl II 1992, 886).
Orientierungssatz
Ausführungen zum Begriff "Anschaffung", insbesondere bei unentgeltlichen Erwerben (Einzelrechtsnachfolge, Gesamtrechtsnachfolge) sowie zur abgabenrechtlichen Stellung des Gesamtrechtsnachfolgers und dessen Berechtigung zum Vorkostenabzug, soweit der Erblasser abzugsberechtigt wäre (vgl. umfangreiche BFH-Rechtsprechung und Literatur).
Normenkette
EStG § 10e Abs. 6; AO 1977 § 45
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 1987 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Mutter der Klägerin war Eigentümerin eines Zweifamilienhauses. Eine Wohnung bewohnte die Mutter, die andere bewohnten die Kläger. Im August 1987 starb die Mutter; Alleinerbin wurde die Klägerin. Sie ließ noch im Jahr 1987 die Wohnung der Mutter renovieren und die Küche entfernen. Auf den 1.Januar 1988 bewertete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) das Grundstück als Einfamilienhaus. Die Kläger nutzten ab 1988 das gesamte Einfamilienhaus zu eigenen Wohnzwecken.
In der Einkommensteuererklärung 1987 für die verstorbene Mutter, die von der Klägerin als Rechtsnachfolgerin unterschrieben war, wurde für die von der Mutter bewohnte Wohnung und für die den Klägern unentgeltlich überlassene Wohnung der Wegfall der Nutzungswertbesteuerung unwiderruflich beantragt.
In ihrer eigenen Einkommensteuererklärung für 1987 beantragten die Kläger, die Renovierungskosten in Höhe von 13 660 DM für die frühere Wohnung der Mutter nach § 10e Abs.6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wie Sonderausgaben abzuziehen. Das FA lehnte den Abzug ab, weil die Aufwendungen nicht mit der Anschaffung einer Wohnung zusammenhingen. Einspruch und Klage waren erfolglos.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung von § 10e Abs.6 EStG.
Sie beantragen sinngemäß, das finanzgerichtliche Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Einkommensteuerbescheid 1987 ersatzlos aufzuheben, hilfsweise, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht (FG) zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Es vertritt die Auffassung, unter Anschaffung i.S. von § 10e Abs.6 EStG sei nur ein entgeltlicher Erwerb zu verstehen. Daher seien weder der Einzelrechtsnachfolger noch der Gesamtrechtsnachfolger berechtigt, Vorkosten nach § 10e Abs.6 EStG abzuziehen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Soweit die Kläger sich darauf berufen, der in der Einkommensteuererklärung 1987 für die verstorbene Mutter erklärte Verzicht auf die Nutzungswertbesteuerung gelte der Klägerin gegenüber nicht, ist ihr Vortrag dahin auszulegen, daß sie den Abzug der Renovierungskosten als Werbungskosten im Rahmen der Einkünfteermittlung aus Vermietung und Verpachtung begehren. Im Streitfall kommt jedoch eine Besteuerung des Nutzungswerts der eigengenutzten Wohnung nach § 21 Abs.2 EStG nicht mehr in Betracht, weil die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihrer Mutter in der für die Mutter abgegebenen Einkommensteuererklärung 1987 den Wegfall der Nutzungswertbesteuerung unwiderruflich beantragt hat (§ 52 Abs.21 Satz 3 EStG). Da somit keine Einkünfte in Form eines anzusetzenden Nutzungswerts mehr erzielt werden, entfällt auch ein Werbungskostenabzug.
2. Die Voraussetzungen für einen Abzug der geltend gemachten Aufwendungen nach § 10e Abs.6 EStG liegen ebenfalls nicht vor.
a) Nach § 10e Abs.6 Satz 1 EStG kann der Steuerpflichtige Aufwendungen wie Sonderausgaben abziehen, die bis zum Beginn der erstmaligen Nutzung einer Wohnung i.S. des Absatzes 1 zu eigenen Wohnzwecken entstehen, unmittelbar mit der Herstellung oder Anschaffung des Gebäudes oder der Eigentumswohnung oder der Anschaffung des dazugehörenden Grund und Bodens zusammenhängen, nicht zu den Herstellungskosten oder Anschaffungskosten der Wohnung oder zu den Anschaffungskosten des Grund und Bodens gehören und im Fall der Vermietung oder Verpachtung der Wohnung als Werbungskosten berücksichtigt werden könnten.
b) Die Renovierungskosten sind im Streitfall nicht nach dieser Vorschrift abziehbar, weil sie nicht mit der Anschaffung des Gebäudes zusammenhängen.
Was unter einer Anschaffung im Sinne des Einkommensteuerrechts zu verstehen ist, ist umstritten. Einheitlich definiert werden die Anschaffungskosten. Das sind nach der Legaldefinition des § 255 Abs.1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB), die auch im Steuerrecht zu beachten ist und ihrerseits auf das Steuerrecht zurückgeht, Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24.Februar 1987 IX R 114/82, BFHE 149, 233, 238, BStBl II 1987, 810). Eine Anschaffung ist danach jedenfalls dann anzunehmen, wenn ein Wirtschaftsgut im Austausch mit einer Gegenleistung --also entgeltlich-- erworben wird. In der Literatur wird jedoch zum Teil die Auffassung vertreten, Entgeltlichkeit sei kein Begriffsmerkmal der Anschaffung. Zwar werde eine Anschaffung "durch die Gegenleistung definiert"; eine Anschaffung sei aber auch gegeben, wenn die Gegenleistung Null betrage (Autenrieth, Steuerliche Vierteljahresschrift 1989, 82, 87). Herrmann/Heuer/Raupach (Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 6 EStG Rz.274) halten die Begrenzung des Begriffs Anschaffung auf entgeltliche Erwerbe ebenfalls für unzutreffend, weil dann mangels Anschaffung auch keine Anschaffungskosten unterstellt und keine Absetzungen für Abnutzung (AfA) vorgenommen werden könnten, wo dies geboten erscheine (z.B. in § 7 Abs.2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung --EStDV--).
Auch in der Rechtsprechung des BFH zum Einkommensteuerrecht wird der Begriff Anschaffung nicht einheitlich bestimmt (vgl. die Beispiele im Senatsurteil vom 11.März 1992 X R 113/89, BFHE 167, 396, BStBl II 1992, 886); er ist jeweils aus seinem Sinnzusammenhang heraus und nach dem Zweck der Vorschrift auszulegen (BFH-Urteil vom 1.Oktober 1975 I R 198/73, BFHE 117, 231, BStBl II 1976, 113 betr. gesellschaftsrechtliche Vorgänge; Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 6 EStG Rz.274).
Im Urteil in BFHE 167, 396, BStBl II 1992, 886 hatte der Senat den unentgeltlichen Erwerb eines Gebäudes im Wege der Einzelrechtsnachfolge als Anschaffung i.S. von § 10e Abs.6 EStG beurteilt. Zur Begründung hatte er angeführt, der im Einkommensteuerrecht nicht einheitlich definierte Begriff umfasse nach dem Sprachgebrauch auch den unentgeltlichen Erwerb. Anhaltspunkte dafür, daß nach dem Plan des Gesetzgebers mit der in § 10e Abs.6 EStG gewählten Formulierung --unmittelbarer Zusammenhang mit der Anschaffung des Gebäudes-- Vorkosten für eine unentgeltlich erworbene Wohnung ausgeschlossen sein sollten, seien nicht ersichtlich. Vielmehr entspreche es dem Gesetzeszweck (Förderung des Wohnens in der eigenen Wohnung), Vorkosten auch bei unentgeltlichem Erwerb zum Abzug zuzulassen.
Im Unterschied zu dem in BFHE 167, 396, BStBl II 1992, 886 entschiedenen Fall ist die Klägerin nicht im Wege der Einzelrechtsnachfolge, sondern im Wege der Gesamtrechtsnachfolge Eigentümerin des Gebäudes geworden. Kennzeichnend für die Einzelrechtsnachfolge ist, daß das Eigentum aufgrund eines Rechtsgeschäfts übertragen wird. Im Erbfall geht das Vermögen des Erblassers (Erbschaft) dagegen als Ganzes auf den Erben über (Gesamtrechtsnachfolge, § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--), unbeschadet des Rechts, die Erbschaft auszuschlagen (Anfall der Erbschaft, § 1942 BGB). Der Anfall der Erbschaft vollzieht sich kraft Gesetzes ohne "Wissen und Willen" des Erben; auf die Annahme durch den Erben oder auf den Antritt der Erbschaft kommt es nicht an (Palandt/Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 52.Aufl., § 1922 Rz.4, § 1942 Rz.1). Einer Übertragung der einzelnen Gegenstände in der für die Einzelrechtsnachfolge erforderlichen Form bedarf es nicht. Ein Übergang des Eigentums, der sich nicht auf ein Rechtsgeschäft gründet, sondern wie im Erbfall ohne Zutun des Erben vollzieht, kann aber auch bei weitester Auslegung nicht mehr unter den Begriff Anschaffung subsumiert werden.
Die Beurteilung des unentgeltlichen Erwerbs im Wege der Einzelrechtsnachfolge als Anschaffung i.S. von § 10e Abs.6 EStG (BFHE 167, 396, BStBl II 1992, 886) hätte zur Folge, daß gleichartige Lebenssachverhalte --Erwerbe von Grundstückseigentum ohne Gegenleistung-- unterschiedlich begünstigt würden. Es ist kein Grund erkennbar, der es rechtfertigen könnte, vor Bezug einer Wohnung entstandene Aufwendungen zum Abzug zuzulassen, wenn der Steuerpflichtige das Gebäude geschenkt bekommt, hingegen nicht, wenn er es erbt. Der Senat hält daher an seiner ursprünglichen Wertung des mehrdeutigen Begriffs Anschaffung in § 10e Abs.6 EStG nicht mehr fest und versteht ihn nunmehr als entgeltlichen Erwerb.
Die Überschrift zu § 10e EStG deutet zwar darauf hin, daß nicht nur die Anschaffung oder Herstellung einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung, sondern allgemein das Wohnen in der eigenen Wohnung gefördert werden soll. So gesehen wäre auch die Begünstigung von Aufwendungen für die Renovierung einer unentgeltlichen Wohnung vom Gesetzeszweck umfaßt. Dem entspricht es, daß vor Bezug entstandene Aufwendungen auch dann nach § 10e Abs.6 EStG abziehbar sind, wenn der Erwerb des Eigentums selbst wegen Objektverbrauchs nicht begünstigt ist (BFHE 167, 396, BStBl II 1992, 886). Diese Regelung sei, wie das BMF in seiner Stellungnahme ausgeführt hat, offensichtlich "im Interesse der Herstellung von möglicherweise nicht mehr den Wohnbedürfnissen entsprechenden Wohnungen" geschaffen worden. Dieses "Interesse" wäre auch bei einem unentgeltlichen Erwerb gegeben. Nach der amtlichen Begründung des Gesetzes zur Neuregelung der steuerrechtlichen Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums (BTDrucks 10/3633, 10) soll andererseits die Steuervergünstigung nach § 10e EStG die Vermögensbildung durch Erwerb von Wohneigentum erleichtern. Wer Wohneigentum schafft, soll von den Aufwendungen entlastet werden, die erforderlich waren, um das Wohneigentum zu erlangen. Dieser Gesetzeszweck ist auch bei Auslegung der Regelung über den Vorkostenabzug (§ 10e Abs.6 EStG) zu berücksichtigen. Hinzu kommt, daß die Begriffe Anschaffung und Anschaffen auch in § 10e Abs.1 EStG verwendet werden. Da die Grundförderung nach § 10e Abs.1 EStG nur von tatsächlich aufgewandten Herstellungs- oder Anschaffungskosten gewährt wird --anders als nach § 7 oder § 11d EStDV werden im Rahmen des § 10e EStG fiktive Anschaffungskosten nicht begünstigt--, meint Anschaffung in Absatz 1 den entgeltlichen Erwerb. Es liegt nahe, den Begriff --auch wenn er objektiv mehrdeutig ist-- in derselben Vorschrift einheitlich auszulegen.
3. Auch in ihrer Eigenschaft als Gesamtrechtsnachfolgerin steht der Klägerin ein Abzugsbetrag nach § 10e Abs.6 EStG nicht zu.
Für die Gesamtrechtsnachfolge bestimmt § 45 der Abgabenordnung (AO 1977), daß die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger übergehen. Der BFH vertritt darüber hinaus in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, der Gesamtrechtsnachfolger trete materiell-rechtlich und verfahrensrechtlich in die abgabenrechtliche Stellung des Rechtsvorgängers ein (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 17.Mai 1972 I R 126/70, BFHE 105, 483, BStBl II 1972, 621; vom 26.März 1981 IV R 130/77, BFHE 133, 271, BStBl II 1981, 614; vom 25.August 1983 IV R 99/80, BFHE 139, 265, BStBl II 1984, 31). Auf der Grundlage dieser --vom Schrifttum (vgl. z.B. Ruppe, DStJG Bd.10 (1987), S.53 ff.; von Groll in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 10d Rz.B 195, jeweils m.w.N.) teilweise bestrittenen-- Rechtsprechung gesteht die Finanzverwaltung (BMF vom 25.Oktober 1990, BStBl I 1990, 626, Abs.49) dem Gesamtrechtsnachfolger einen Vorkostenabzug zu, soweit der Erblasser ebenfalls abzugsberechtigt wäre (gl. A. z.B. Meyer in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 10e EStG Rz.521 m.w.N.). Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob diese Rechtsauffassung zutrifft. Denn selbst wenn die Klägerin die Rechtsstellung ihrer Mutter fortführte, käme ein Abzug der Renovierungskosten nicht in Betracht, weil sie sich dann als Gesamtrechtsnachfolgerin auch die Nutzung der Wohnung zu eigenen Wohnzwecken durch den Rechtsvorgänger zurechnen lassen müßte, so daß die Renovierungskosten nicht vor Beginn der erstmaligen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken entstanden wären.
Fundstellen
Haufe-Index 64648 |
BFH/NV 1993, 31 |
BStBl II 1993, 346 |
BFHE 170, 186 |
BFHE 1993, 186 |
BB 1993, 915 |
BB 1993, 915-917 (LT) |
DB 1993, 914-916 (LT) |
DStR 1993, 562 (KT) |
DStZ 1993, 349 (KT) |
HFR 1993, 301 (LT) |
StE 1993, 218 (K) |