Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 345
Werden Zahlungen an einen Arbeitnehmer dafür geleistet, dass er nach einer Kündigung für eine bestimmte Zeit keine oder keine der bisherigen Tätigkeit entsprechende Arbeit aufnehmen darf (Karenzentschädigung, etwa für Konkurrenz- und Wettbewerbsverbote), gibt es keinen Arbeitsort. Das Besteuerungsrecht richtet sich daher grundsätzlich nach dem Ort der Ansässigkeit (§ 49 EStG Rz. 245).
Allerdings schlägt Abschn. 2.6 OECD-MK zu Art. 15 OECD-MA für Zahlungen für die Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine andere Regelung vor. Danach sollen Zahlungen, die der Arbeitnehmer bei einer Kündigung für die Zeit der Kündigungsfrist erhält, auch dann dem Tätigkeitsstaat, nicht dem Ansässigkeitsstaat, zugeordnet werden, wenn er während dieser Periode von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt worden ist. Im deutschen Recht war dies bis zur Neuregelung jedoch nicht umgesetzt worden. Wenn einer der beiden beteiligten Staaten dieser Ansicht folgt, der andere aber nicht, besteht die Gefahr der Doppelbesteuerung oder der Doppel-Freistellung. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. f) EStG bestimmt daher, dass Zahlungen für Zeiten der widerruflichen oder unwiderruflichen Arbeitsfreistellung im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu den inländischen und damit der beschr. Stpfl. unterliegenden Einkünften gehören, soweit ohne Freistellung die Arbeit während der Freistellungsperiode im Inland ausgeübt worden wäre (§ 49 EStG Rz. 286a).
Durch das gleiche Gesetz ist § 50d EStG um einen entsprechenden Abs. 15 ab Vz 2024 ergänzt worden. Die Vorschrift enthält eine gesetzliche Auslegungsregel für DBA, wonach Art. 15 OECD-MA bzw. die entsprechenden Regelungen in den jeweiligen DBA so auszulegen sind, dass in den genannten Fällen das Besteuerungsrecht dem fiktiven Tätigkeitsstaat zugeordnet wird. Als Auslegungsregel enthält die Vorschrift kein Treaty Override. Die Vorschrift ist für Fälle des Bestehens eines DBA vorrangig vor § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. f) EStG.
Rz. 346
§ 50d Abs. 15 EStG betrifft Arbeitslohn, der für eine Arbeitsfreistellung im Zusammenhang mit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt wird. Tatbestandsvoraussetzung ist, dass die Zahlung für eine "Freistellung" geleistet wird. Erforderlich ist also, dass die Zahlung im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses gezahlt wird, aufgrund dessen der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, von dieser Verpflichtung aber freigestellt worden ist. Endet das Arbeitsverhältnis auf Grund der Kündigung, liegt ab diesem Zeitpunkt keine "Freistellung" mehr vor. Daraus folgt, dass Zahlungen, die für Zeiten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geleistet werden, etwa für ein Wettbewerbsverbot, oder sonstige Karenzentschädigungen nicht unter die Regelung fallen. Vielmehr erfolgt die Besteuerung für diese Zahlungen für Zeiten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit nach Beendigung der Verpflichtung zur Arbeit im Ansässigkeitsstaat des früheren Arbeitnehmers. § 50d Abs. 15 EStG folgt damit Abschn. 2.6 OECD-MK zu Art. 15 OECD-MA.
Rz. 347
Ob die Arbeitsfreistellung widerruflich oder unwiderruflich ist, hat keine Bedeutung. Es ist auch ohne Bedeutung, wie lange die Freistellung dauert. Als Rechtsfolge wird das einschlägige DBA so ausgelegt, dass die Vergütung als für eine Tätigkeit gezahlt gilt, die in dem Staat ausgeübt wird, in dem die Tätigkeit ohne die Freistellung ausgeübt worden wäre. Im Ergebnis wird also ein fiktiver Tätigkeitsort für die Nichttätigkeit bestimmt. Entsprechend § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. f) EStG liegen also inländische Einkünfte vor, wenn dieser fiktive Tätigkeitsort Deutschland ist. Die Vorschrift gilt aber auch für den umgekehrten Fall, dass der freigestellte Arbeitnehmer in Deutschland ansässig ist und der fiktive Arbeitsort im Ausland liegt. Dann sind die Freistellungsentschädigungen im Inland vorbehaltlich des Abs. 15 S. 3 freizustellen.
Rz. 348
§ 50d Abs. 15 S. 2 EStG enthält einen Vorbehalt für eine ausdrückliche Regelung in dem einschlägigen DBA. Danach gilt die Annahme eines fiktiven Arbeitsortes nicht, wenn das DBA in eine gesonderte, ausdrücklich diese Fälle betreffende abweichende Regelung enthält. Damit soll ein Konflikt mit dem DBA und ein Treaty Override vermieden werden. Die Ausnahme ist aber sehr eng. Dadurch, dass eine gesonderte und ausdrückliche anderweitige Regelung erforderlich ist, ist es ausgeschlossen, durch Auslegung des jeweiligen DBA zu einer abweichenden Auffassung zu kommen. Das gilt auch dann, wenn sich aus den Materialien und sonstigen Umständen ergeben sollte, dass das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat zustehen soll. Da für den jeweils anderen Staat die bindende Auslegungsregel des § 50d Abs. 15 S. 1 EStG nicht gilt, ist eine abweichende Auslegung dieses Staates und damit eine Doppelbesteuerung nicht ausgeschlossen. Diese kann nur durch ein Verständigungsverfahren vermieden werden. Eine doppelte Freistellung wird durch § 50d Abs. 15 S. 3 EStG vermieden (Rz. 349)
Rz...