Entscheidungsstichwort (Thema)
fristlose Kündigung wegen Strafanzeige gegenüber Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
Zeigt ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber bei der Strafverfolgungsbehörde an, kann die darin liegende Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte nur dann zu einer kündigungsrelevanten Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten führen, wenn sich die Anzeige als unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers (oder seiner Repräsentanten) erweist
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2, § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Siegen (Urteil vom 22.03.2011; Aktenzeichen 1 Ca 1345/10) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 22.03.2011 – 1 Ca 1345/10 – wird unter Klarstellung des Urteilsausspruchs in Ziffer 1. wie folgt zurückgewiesen:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 09.06.2009 nicht sein Ende gefunden hat.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers.
Der 63-jährige verheiratete Kläger ist seit September 1992 als Meister im Werkzeugbau/Kunststoff bei der Beklagten, die mit etwa 1400/1500 Arbeitnehmern F1 für Lager-, Betriebs-, Büroeinrichtungen, Abfalltechnik und Recycling betreibt, zu einem monatlichen Bruttoentgelt von zuletzt 4.669,83 EUR beschäftigt.
Der Kläger genießt tariflichen Sonderkündigungsschutz vor ordentlichen Kündigungen.
Seit 2003 versuchte die Beklagte mehrfach, das Arbeitsverhältnis zu dem Kläger durch Kündigung zu beenden. Die Parteien führten seither insgesamt 6 Kündigungsschutzverfahren, die rechtskräftig abgeschlossen sind und in denen der Kläger jeweils erfolgreich war.
Mit Schreiben vom 13.02.2009 beantragte der Kläger bei der Staatsanwaltschaft Siegen die Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Geschäftsführer sowie weitere Mitarbeiter der Beklagten im Hinblick auf Vorwürfe des Prozessbetrugs und der Urkundenfälschung. Für die weiteren Einzelheiten des Schreibens vom 13.02.2009 wird verwiesen auf Blatt 61 – 63 d. A.
Die Staatsanwaltschaft Siegen teilte dem Kläger unter dem 24.02.2009 schriftlich mit, sie habe das Verfahren eingestellt.
Mit Schriftsatz vom 06.03.2009 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Beschwerde ein gegen die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft. Wegen der Einzelheiten der Beschwerdeschrift wird auf Blatt 71 – 73 d. A. verwiesen.
Die Beklagte erhielt am 28.05.2009 Einsicht in die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte.
Mit Schreiben vom 03.06.2009 (Bl. 79 – 82 d. A.) hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zur beabsichtigten fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Der Betriebsrat nahm mit Schreiben vom 08.06.2009 (Bl. 5 d. A.) Stellung und äußerte darin „größtmögliche Bedenken gegen diese fristlose Kündigung”.
Mit Schreiben vom 09.06.2009 (Bl. 4 d. A.) kündigte die Beklagte das Anstellungsverhältnis „außerordentlich aus wichtigem Grund zum heutigen Tag”.
Die Staatsanwaltschaft Siegen stellte das durch den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren am 12.10.2009 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein.
Nachdem der Kündigungsrechtsstreit um die sechste Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers, in dem es um den im Rahmen einer Strafanzeige von dem Kläger gegenüber der Beklagten erhobenen Vorwurf eines prozessbetrügerischen Sachvortrags sowie einer Urkundenfälschung ging, durch Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 30.09.2010 (17 Sa 261/10) abgeschlossen war, erstattete die Vorsitzende der 17. Kammer über den V1 des Landesarbeitsgerichts Hamm bei der Staatsanwaltschaft Siegen Strafanzeige gegen die Beklagte wegen versuchten Prozessbetrugs.
Mit seiner beim Arbeitsgericht am 17.06.2009 eingereichten Klage hat sich der Kläger gegen die außerordentliche Kündigung vom 09.06.2009 gewandt. Darüber hinaus hat er die Zahlung verschiedener Zinsansprüche aus titulierten Entgeltansprüchen von der Beklagten gefordert.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund vom 09.06.2009 noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung zum sofortigen Zeitpunkt sein Ende findet,
- die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen über den 09.06.2009 hinaus als Meister weiter zu beschäftigen bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens,
- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.118,42 EUR netto nebst 5 % über dem Basiszinssatz liegender Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die ausgesprochene Kündigung als wirksam verteidigt. Aufgrund der von dem Kläger erstatteten Strafanzeige und der anschließenden Durchführung des Beschwerdeverfahrens sei ihr eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zumutbar.
Mit Urteil vom 22.03.2011 hat das Arbeitsgericht u. a. der Feststellungsklage ...