25 Jahre HR-Journalismus: Standortbestimmung

Das Personalmagazin feiert sein 25-jähriges Bestehen. Auf den ersten Blick spiegelt sich darin Kontinuität wider, doch das täuscht: Die Medien­branche war einer Disruption ausgesetzt, und auch HR hat sich grundlegend verändert. Ein persönlicher Rückblick mit 20 Beobachtungen zu HR und dem Journalismus – der zugleich ein Ausblick sein kann.

Als die "Haufe Mediengruppe", wie die Haufe Group damals hieß, vor 25 Jahren das Personalmagazin gründete, war die Digitalisierung in den meisten Unternehmen in vollem Gange. Die Lohn- und Gehaltsabrechnungen waren längst automatisiert, HR-Standard-Software auf dem Vormarsch. Das "World Wide Web" war acht Jahre alt, das E-Recruiting in den Startlöchern. Der Print-Stellenmarkt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war das führende Medium für die Besetzung von Führungspositionen, die aufkommenden Jobbörsen im Internet pulverisierten die Stellenmärkte der Printmedien und brachten diese in mächtige wirtschaftliche Schwierigkeiten.

Eine Heimat bei Haufe für den HR-Journalismus

Haufe begann früh mit der Digitalisierung. Das Loseblattwerk "Haufe Personalbüro", das in keiner Personalabteilung fehlte, gab es bereits in digitaler Form als "Haufe Personal Office". Die monatliche Zeitschrift Personalmagazin sollte eine "Ergänzung" zu den digitalen Angeboten werden – aus heutiger Sicht eine weitsichtige Entscheidung der damaligen Verlagsleitung, Der "HR-Journalismus" bekam damit eine Heimat bei Haufe. Was als Printmedium begann, ist heute eine Medienmarke mit multimedialem Angebot. Unser Anspruch war und ist es, Contentprodukte  frühzeitig auf die Veränderungen der Mediennutzung anzupassen. Die Redaktion erstellt heute nicht nur das meistverkaufte HR-Printmedium (verkaufte Auflage 26.430), sie betreibt mit der haufe.de/personal auch das reichweitenstärkste Onlineportal (2 Mio. Visits im Monat), einen Linkedin-Kanal mit über 50.000 Followern und produziert mit "personalmagazin neues lernen" ein multimediales Schwestermedium inklusive Podcast.

In der Redaktion haben wir über die Jahre eine Balance zwischen Erneuerung und Kontinuität hinbekommen. Daniela Furkel, Katharina Schmitt, Brigitte Pelka und Frank Bollinger waren an der Gründung des Magazins beteiligt und sind derzeit noch oder wieder Teil des Teams, ich selbst kam später dazu, war zuvor bei der "Personalwirtschaft" tätig und habe das Personalmagazin in unterschiedlichen Rollen begleitet. Anbei meine persönlichen Beobachtungen aus 25 Jahren HR-Journalismus, ohne Anspruch auf Systematik oder Vollständigkeit.

Beobachtung 1: Der Mensch im Mittelpunkt

Das ist der Satz, den ich am häufigsten gehört habe. Darin drückt sich bis heute das Selbstverständnis der meisten HR-Fachleute aus. Der Hinweis des Organisationssoziologen Oswald Neuberger, der bereits 1990 den Satz "Der Mensch ist Mittel. Punkt" formulierte, wurde und wird beiseitegeschoben. Während die Unternehmen nach dem Shareholder- oder Stakeholder-Ansatz gesteuert werden, liebt HR die sozialromantische Vorstellung "Der Mensch steht im Mittelpunkt". Jede Profession hat eine kleine Lebenslüge, sie sieht sich und ihr Thema stets als Mittelpunkt des Geschehens.

Beobachtung 2: Krisen als Sternstunden von HR

Fünf große Krisen hatte Deutschland in den letzten 25 Jahren zu bewältigen: Überwindung der Massenarbeitslosigkeit mit der großen Arbeitsmarktreform (2002), die Euro- und Finanzkrise (2009), die Flüchtlingskrise (2015), die Coronapandemie (2020) und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine (2022). Jede dieser Krisen hatte enorme Auswirkungen auf die Arbeitswelt, HR-Verantwortliche waren nicht nur intern als "Krisenmanager" gefordert, sie beteiligten sich auch an der gesellschaftlichen Bewältigung der Krisen. 

Beobachtung 3: Die Profis der Nation

Die größte Arbeitsmarktreform der Nachkriegszeit, die unter den Begriffen "Agenda 2010" und "Hartz-Gesetze" in die Geschichtsbücher einging, trug die Handschrift von HR. Die 15-köpfige "Hartz-Kommission", zu der drei Personalvorstände gehörten, erarbeitete Ideen, die zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit beitrugen und den über zwei Jahrzehnte anhaltenden Wirtschaftsaufschwung beförderten. Tragisch bleibt der spätere Absturz von VW-Personalvorstand Peter Hartz wegen eines Korruptionsskandals, ansonsten wäre er heute eine Ikone von HR.

Beobachtung 4: Am Entscheidertisch sitzen

Von sehr vielen Personalverantwortlichen habe ich die Klage gehört, an zentralen Entscheidungen nicht beteiligt zu sein. In den Neunziger- und Nullerjahren war das allgegenwärtig, auch im Personalmagazin haben wir (zu viele) Geschichten dazu geschrieben. In den letzten Jahren habe ich die Klage kaum noch vernommen. Das könnte daran liegen, dass CHROs selbstbewusster geworden sind und häufiger am Entscheidertisch sitzen, möglicherweise bin ich aber auch nur gegenüber solchen Klagen immun geworden.

Beobachtung 5: Diskretes Geschäft und schwere Limousinen

Früher waren für Journalisten viele Türen verschlossen. HR sei ein "diskretes Geschäft", erläuterte mir etwa Heiko Lange, ehemaliger DGFP- und Lufthansa-Vorstand Ende der Neunzigerjahre. Personalangelegenheiten wurden gerne unter der Decke gehalten, an Awards oder Wettbewerben beteiligten sich nur wenige. Die "Personaldirektoren" fühlten sich wohl in schweren Limousinen und speisten gerne in eigenen Casinos. Diese Phase ist überwunden. Viele CHROs fahren heute Zug und kommunizieren auf Augenhöhe. Das Elitäre ist aber nicht völlig verschwunden, wie der Blick auf manche Armbanduhr oder Handtasche zeigt.

Beobachtung 6: Verbände ringen um Haltung

Mein erstes Pressegespräch bleibt ein unvergessliches Erlebnis. Die DGFP hatte die Presse zu ihrem Kongress nach Wiesbaden geladen und ich erwartete Neuigkeiten. Geschäftsführer und Vorstände schafften es, eine Stunde lang mit uns Journalistinnen und Journalisten zu sprechen, ohne zu einer aktuellen Frage Stellung zu beziehen. Das wiederholte sich in den Folgejahren. Manche von uns empfanden das als Arroganz, im Rückblick war diese Haltung ein wesentlicher Grund, warum sich neue Berufsverbände formierten. Thomas Sattelberger, Heinz Fischer und Werner Then gründeten 1999 die Selbst GmbH – die Avantgarde der damaligen Szene. Joachim Sauer hob 2009 den Bundesverband der Personalmanager aus der Taufe, der die DGFP in eine lang anhaltende Abwärtsspirale brachte, von der sie sich erst jüngst befreien konnte.

Beobachtung 7: Diversität ist ein Erfolgsfaktor

Das ist ein Glaubenssatz, zu dem sich die allermeisten HR-Fachleute bekennen, auch wir Männer. Vor 25 Jahren war HR noch in Männerhand, heute sind auch HR-Vorstandspositionen mehrheitlich mit Frauen besetzt. Ein großer Fortschritt bezüglich Diversität, allerdings wird gerne verdrängt: Es war nicht Einsicht, die den Wandel brachte, es war die Quote. Unvergesslich bleibt für mich, wie fünf Frauen die Gunst der Stunde erkannten und mit ihrer Kampagne #ichwill die Kanzlerin Angela Merkel zum Kurswechsel brachten. HR war mittendrin, Janina Kugel war eine der Heldinnen.

Beobachtung 8: New Work bringt frischen Wind

Das "Personalwesen" bekam seit den Achtzigerjahren ein unternehmerisches Selbstverständnis und versammelte viele kluge Köpfe. Die Veranstaltungen waren inhaltlich spannend, aber bieder und freudlos. Frische Luft brachte erst die New-Work-Bewegung, die in der Berliner Startup-Szene entstand und eine neue Vorstellung von Arbeit entwickelte. Das Ideal waren Freelancer, die ihre Arbeit im Café verrichten, nicht Konzernangestellte, die vor Vorgesetzten buckeln. HR verstand in den 10er-Jahren die Signale und machte die Arbeitswelt demokratischer und bunter. Der Stuhlkreis ersetzte den Kasernenton. Es war eine Kulturrevolution für die Arbeitswelt, die derzeit teilweise wieder zurückgedreht wird.

Beobachtung 9: Von Software zu HR Tech

Unter HR-Fachleuten waren Technologiethemen nie beliebt, ihre Relevanz für die Innovationskraft wurde unterschätzt. Manche mieden das Thema wie der Teufel das Weihwasser, bei HR-Journalisten war das häufig nicht anders. Mit den HR-Startups hat "HR Tech" Dynamik und Glanz bekommen. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie HR neue Technologien so schnell adaptieren konnte, obwohl HR-Verantwortliche bis heute keine Tech-Enthusiasten sind? Vielleicht ist das den Technologieanbietern zu verdanken, deren Vertriebsleute offenbar einen guten Job gemacht haben. 

Beobachtung 10: Die Wahrheit gibt es nur im Plural

Was ist der Mensch? In der HR-Community können solche Grundsatzfragen diskutiert werden, unterschiedliche Disziplinen sind hier versammelt. Für Juristen ist er ein "Rechtssubjekt", für Pädagogen ein "lernfähiges Wesen" und für Ökonomen ein "Nutzenmaximierer". Jede Disziplin hat ihre Blickrichtung, die Wahrheit entsteht in der Zusammenschau der Perspektiven. Das macht HR, aber auch unsere Redaktionsarbeit so spannend.

Beobachtung 11: Agenda Setting und Trends

Die relevanten Themen zur richtigen Zeit zu setzen, das ist unser Verständnis von Qualitätsjournalismus. 300 Titelgeschichten haben wir in 25 Jahren erstellt und immer wieder versucht, ein aktuelles Thema aus unterschiedlichen Perspektiven auszuleuchten. Häufig ist uns das gelungen, nicht immer. Unsere Geschichte zur Zeiterfassung beispielsweise kam zu früh, die Regierung hat den Gesetzentwurf bis heute nicht verabschiedet. Über die Jahre hat sich eines grundlegend verändert: Früher reichte die Titelgeschichte in der Zeitschrift aus, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Heute müssen wir ein Thema multimedial inszenieren. 

Beobachtung 12: Fachinhalte bleiben Trumpf

Über die Rückkehr ins Office wird heftig gestritten. Wir Journalistinnen und Journalisten lieben solche Debatten. Doch nach Publikation der Geschichten erfolgt oft die Ernüchterung: Meinungsstücke finden nur ein kleines Publikum, die Mehrheit unserer Leserschaft erwartet praktische Lösungen. Das zeigt der tägliche Blick auf die Seitenabrufe unseres Onlineportals. Die Leserbedürfnisse sind manchmal andere als die Vorlieben von uns Journalisten. Die Auswertung der Daten, die im Online-Journalismus zum Standard gehören, hilft uns, auf der richtigen Spur zu bleiben.

Beobachtung 13: Investigativer Journalismus

Missstände werden gelegentlich an uns herangetragen, mit der Bitte, diesen doch mal nachzugehen. Über solche Hinweise freuen wir uns, doch über ein Investigativ-Team verfügen wir nicht. Wir sind eine kleine Fachredaktion, eigentlich nicht ausgerüstet für den investigativen Journalismus. Gleichwohl ist es uns immer wieder gelungen, solche Recherchen durchzuführen, zuletzt etwa zur Rufschädigung von Cawa Younosi, zweifelhaften Methoden von zwei KI-Startups oder zu den dubiosen Machenschaften einer "Erfolgstrainerin". Für uns als Redaktion sind solche Geschichten das Salz in der Suppe unserer Arbeit. Manche sprechen vom Wächteramt des Journalismus, für mich ist das zu hoch gegriffen. 

Beobachtung 14: Ein Netzwerk mit den besten Experten

Unsere Redaktion verfasst nur einen Teil der Texte selbst, viele liefern unsere Autorinnen und Autoren aus Beratung, Wissenschaft und Praxis. Dabei arbeiten wir häufig mit den Besten ihres Fachgebiets zusammen, was ich immer als ein Privileg unserer Arbeit betrachtet habe. Dieses Netzwerk macht die Kompetenz des Personalmagazins aus und gehört zum Anspruch an Qualitätsjournalismus.  

Beobachtung 15: Wettbewerb lohnt sich

Unsere Marktwirtschaft beruht auf dem Prinzip des Wettbewerbs, der die besten Ergebnisse für Kunden hervorbringt. Als Redaktion fordert uns das täglich, das Contentgeschäft ist wettbewerbsintensiv. Es ist anstrengend, aber auch stets ein gutes Gefühl, schneller oder besser als andere zu sein. Wettbewerb hat sich aber nicht nur für uns als Marktführer gelohnt, insgesamt hat die HR-Publizistik vom Wettbewerbsprinzip profitiert, die heute attraktiver als vor 25 Jahren ist. 

Beobachtung 16: Journalisten sind keine Influencer

Früher war alles besser, sagen manche Branchenkollegen: Redaktionen waren Gatekeeper, Autoren und Werbekunden waren auf uns angewiesen, um Zugang zur Öffentlichkeit zu bekommen. Die Zeit ist glücklicherweise vorbei, das Publizieren ist demokratischer geworden. Jeder und jede kann heute publizieren. Ein gutes Beispiel dafür sind Influencer, die teilweise höhere Reichweiten als wir klassische Medien erreichen. Wir als Journalisten sind keine Influencer, unsere Aufgabe bleibt es, unterschiedliche Perspektiven zusammenzustellen und nur Informationen zu publizieren, die wir vorher auf den Wahrheitsgehalt geprüft haben. Darin liegt die Coolness des Qualitätsjournalismus und es bleibt unser Gegengift gegen Fake News und Informationsbubbles. 

Beobachtung 17: Disruption der Mediennutzung

Transformation und Disruption sind für uns als Redaktion keine Fremdwörter, wir haben sie durchlebt. Wissen auf Vorrat wurde durch Wissen auf Abruf ersetzt. Die kostenlose Suchanfrage wurde zum Konkurrenten für unser Abomodell, Google & Co. haben die Werbemärkte der Verlage erobert. Das war eine Disruption, die uns zwang, unsere Geschäftsmodelle und Redaktionsarbeit anzupassen. Wir erstellen heute nicht nur Medieninhalte, sondern sorgen dafür, dass diese auf Plattformen wie Google oder Social Media gefunden werden. Die Disruption geht weiter, generative KI bringt die nächste Transformation unseres Geschäfts. Wir bleiben wach.

Beobachtung 18: Die Versuchung von Social Media

In der HR-Community hat sich Linkedin zu einem relevanten Kommunikationskanal gemausert, auch wir beteiligen uns und haben eine große  Reichweite aufgebaut. Die Versuchungen des Mediums sind groß, soziale Erwünschtheit zu bedienen und bei HR-Themen die Mitarbeiterperspektive einzunehmen. Beides verspricht Klicks und Follower, gefährdet aber unseren Markenkern: Relevanz für die Zielgruppe und Glaubwürdigkeit.

Beobachtung 19: Unabhängigkeit der Redaktion

Als Redaktion sind wir Teil der HR-Community, mit HR-Fachleuten, Beratern und Anbietern im Gespräch, die damit auch Einfluss auf unsere Köpfe und die Redaktionsarbeit nehmen. Redaktionelle Unabhängigkeit heißt für mich nicht, jeglichen Einfluss abzuwehren. Das ist gar nicht möglich. Unabhängigkeit heißt, nicht von einzelnen Marktteilnehmern abhängig zu sein, sondern nach eigenem Ermessen handeln zu können. Ökonomisch haben wir unser Geschäft auf einer Vielzahl von Werbepartnern und Abonnenten aufgebaut, wir sind nicht von Großkunden abhängig. Genauso wichtig ist es allerdings, die innere Freiheit und Distanz zu Meinungsmachern und Marktteilnehmern zu bewahren.

Beobachtung 20: Ein Lob auf die Stillen

Als Redaktion haben wir vor allem mit den Lauten in der HR-Community zu tun, die über ihre Heldentaten berichten. An die Stillen, die ebenfalls exzellente Arbeit machen, kommen wir eher selten ran, manchmal über Beraterkontakte. Das ist unser Dilemma, das sich nicht auflösen lässt. Es gibt nur einen Ausweg: Die Stillen werden zu Sprechenden, das ist unser Wunsch. Wir sind ansprechbar.

Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz werden die Publizistik und das Contentgeschäft weiter verändern. Die Zahl der News wird wachsen, neue Angebote entstehen, auch Deep Fakes nehmen zu. Wir als Redaktion haben uns vorgenommen, die neuen Möglichkeiten zu nutzen. Für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz haben wir vor einem Jahr eine Redaktionsrichtlinie erarbeitet, die wir fortentwickeln. Neue Angebote sind in Vorbereitung. Die Veränderungen haben Folgen für HR-Fachleute: Die Anforderungen an Medienkompetenz steigen, das betrifft sie selbst als Profession, aber auch den Schulungsbedarf für die Beschäftigten in den Unternehmen.

Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 9/2024. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.

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Schlagworte zum Thema:  HR-Management, Personalszene