Führung agiler Organisationen steht im Vordergrund
"Die Reise in die Agile Welt", "Aufbruch" oder "Auf dem Weg zur agilen Organisation": Zahlreiche Titel im Programmheft zur Agile HR Conference klingen erstmal ähnlich. Auch wenn diese Reise-Metaphern zuweilen etwas abgedroschen wirken mögen: Die Erkenntnis, dass die Welt von heute (und erst recht von morgen) in ihrer Komplexität keine eindeutigen und vor allem keine endgültigen Lösungen mehr zulässt, lässt sich nur schwer in (wenige) Worte fassen. In der Regel will man aber bei einer Reise schon gerne irgendwann ankommen. Ankommen zum Beispiel am 8. Mai 2019 in Köln in den Balloni Hallen, wo die Konferenz stattfand.
Die Beratungsgesellschaft HR Pioneers richtet die Konferenz zum insgesamt achten Mal aus. Die Besucher und Gastgeber treffen sich für zwei Tage in den Balloni Hallen in Köln-Ehrenfeld, um sich über aktuelle Praxisbeispiele auszutauschen. Während an der Decke bunte Riesen-Ballons hin- und herpendeln, unterhalten sich die Besucher, trinken Kaffee und essen Kuchen – zumindest wenn es das straff getaktete Programm auf drei Bühnen und in einem Workshop-Raum zulässt.
Scrum Tunes: ein Song zur Konferenz
In den Workshops (die als "Special Track" betitelt sind) können die Besucher beispielsweise verschiedene Methoden an kleinen Projekten ausprobieren oder aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse diskutieren. Eine Gruppe nutzt Scrum um einen kleinen Song zur Konferenz zu entwickeln und eine Performance zu erarbeiten. Dabei kommen die Teilnehmer schnell ins Gespräch, knüpfen erste Kontakte und erzählen von eigenen Erfahrungen. Trotzdem entscheiden sich die meisten Besucher für einen der Vorträge die aus der Praxis verschiedener Unternehmen berichten.
Praxiserfahrung zeigt Bedeutung von Führungsrollen
Die Vorträge thematisieren Erfahrungen zu agilen Methoden und Strukturen, die verschiedene kleine, große, junge und tradierte Unternehmen in ihren Transformationsprozessen gemacht haben. Berichtet wird nicht nur aus Sicht von HR, auch Entwickler und Marketeers sind als Referenten geladen. In den Sessions wird schnell klar: Die Bedeutung von Führung in der agilen Organisation beschäftigt zur Zeit viele Praktiker. Damit verschiebt sich der Fokus weg von der Rolle des HR und agiler Methoden. Die agile Organisation selbst gerät in den Blick.
Wie sollen Unternehmen künftig aufgebaut sein, um in der zunehmenden Komplexität einen Mehrwert generieren zu können? Wie müssen dabei auch Führungsfunktionen neu organisiert werden? Eine Erkenntnis vorab: Führung darf nicht mehr an einzelnen Personen hängen, sondern sollte nach Funktionen aufgeteilt und als Teamarbeit verstanden werden.
Laterale Führung bei Otto
Ein griffiges Beispiel dazu stellte Andreas Däfler von Otto vor: Mit der Einstellung des Otto-Katalogs war klar, dass sich das Marketing neu aufstellen muss. Agile Methoden wurden eingeführt und die Struktur im Sinne einer agilen Organisation neu erfunden. Führungsaufgaben wurden in diesem Wandel vier verschiedenen Rollen zugeteilt: Product Leads haben die komplette Produktverantwortung, die Rolle des Agile Masters entspricht der des Scrum Masters als Ermöglicher von agilen Arbeitsweisen. Strategic Leads gestalten die Strategie auf fachlicher Ebene und People Leads sind für die Mitarbeiterentwicklung, die Veränderungs- und Lernbereitschaft zuständig. Dieses Modell für laterale Führung und crossfunktionale Produktverantwortung sei bei Otto zentral für den Erfolg im Wandel gewesen.
Entwicklung von individuellen, prototypischen Lösungen
André Häusling von HR Pioneers betont in seinem Vortrag ebenfalls, dass Führungsrollen neu verhandelt und aufgeteilt werden müssen. Darüber hinaus distanziert er sich von der Vorstellung, Musterlösungen anbieten zu können. Agile Organisationsstrukturen müssten stehts am Einzelfall entworfen werden. Ein Modell stellt Häusling dennoch vor: das zur "iterativ-inkrementellen" Entwicklung solcher individuellen Konzepte und prototypischer Lösungen. Beginnend mit einer Ist-Analyse spielen dabei vorhandene Modelle und Vorbilder erfolgreicher Unternehmen eine große Rolle, aber eben nie als endgültige, optimale Lösung, sondern eher als Pool für Inspiration zum Ausprobieren und Entwickeln eigener Ansätze.
Wie kann ein schnell wachsendes Unternehmen künftig organisiert werden?
Auch der Mobilitätsanbieter Flixmobility befindet sich im Wandel. Kerstin Rothermel, Vice President People & Organization, hebt dabei eine Besonderheit hervor: Das Unternehmen hat in den letzten Jahren einen fast unglaublichen Mitarbeiterwachstum erlebt und kämpft nun um eine Organisationsstruktur, die der Vision entspricht und mit dem Wachstum einhergehende Probleme auffangen kann. Dabei stellt sich unter anderem die Frage, welches Führungsverständnis für die außergewöhnlich junge Belegschaft angemessen ist. Rothermel meint, dies sei neben der Generationenfrage eben auch eine Frage der beruflichen Sozialisation, da ein Großteil der Mitarbeiter direkt nach dem Studienabschluss bei Flixmobility angefangen und somit ihren Berufseinstieg in dem schnell wachsenden Unternehmen erlebt hat.
Ein neues Bildungsverständnis beginnt in der Schule
Wie muss unser Unternehmen aufgebaut sein, damit du Lust hast, bei uns mitzumachen? Jamila Tressel von "Schule im Aufbruch" wird das häufig gefragt. Tressel macht gerade ihr Abitur und hat an der Evangelischen Schule Berlin Zentrum eine selbstorganisierte Lernkultur erlebt, die für viele als Vorbild gilt. Schon im vergangenen Jahr stellte sie ihre Vision einer selbstorganisierten Bildung auf der Agile HR Conference vor. Wegen der positiven Resonanz wurde sie wieder eingeladen. Die Notwendigkeit eines neuen Lernens für agile Haltungen und Einstellungen zeigt sich in der breiten Unterstützung der Initiative: Tressel coacht auch Unternehmen, die Initiative "Schule im Aufbruch" arbeitet mit zahlreichen Kooperationspartnern. Beispielsweise gehöre die Deutsche Bahn zu den ersten, die zusammen mit "Schule im Aufbruch" einen Kulturwandel vorangetrieben habe.
HR-Organisation als Netzwerk
Die Konferenz bietet mit diesen vielseitigen Praxisbeispielen einen breiten Einblick in aktuelle Themen. Etwas kurz kommt dabei zuweilen die wissenschaftliche Perspektive. Deshalb tut es gut, mit dem Vortrag von Stephan Fischer, Studiendekan für HR-Management an der Hochschule Pforzheim, einen fundierten Einblick in Theorie und Forschung zu bekommen. Dabei stellt Fischer erst einmal klar: die bestehenden, auch die aktuellen, Organisationsmodelle erfüllen nicht alle Notwendigkeiten der Gestaltung von Unternehmen als agile Netzwerke. Somit wird den Lösungen "von der Stange" zum wiederholten mal eine Absage erteilt. Fischer hat zusammen mit Wolfgang Fassnacht von SAP dennoch einen Vorschlag vorgestellt, wie die HR-Organisation den neuen Herausforderungen begegnen und so eine Netzwerkorganisation ermöglichen kann. Dabei legt Fischer stets Wert darauf, dass Professionalität unabdinglich ist.
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