Beschäftigung Älterer als Antwort auf den Fachkräftemangel


Weiterarbeiten trotz Rente

Im Schnitt eine Million Menschen gehen aktuell pro Jahr in Rente – doch längst nicht alle davon wollen oder können nicht mehr arbeiten. Überlegungen und Tipps, wie Arbeitgeber diese enorme Ressource an Fachkräften gewinnen oder im Unternehmen halten können.

Die Alterung der Gesellschaft reduziert die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter. So lautet eine gängige Begründung für den Fachkräftemangel. Es ist an der Zeit, dass wir in Bezug auf das "erwerbsfähige Alter" über den Tellerrand schauen. Der Grund: Erwerbstätigkeit findet auch jenseits des erwerbsfähigen Alters von 15 bis 65 Jahren statt und das mit steigender Tendenz. Die etablierte Dreiteilung Ausbildung, Arbeit und Ruhestand ist kein Ansatz mehr, die der längeren Lebenszeit gerecht wird. Die Norm, dass aus einem Vollzeitbeschäftigten ein Vollzeitrentner wird, verliert an Bedeutung.

Weiterarbeiten trotz Rente: Hintergründe und Datenlage

Das Statistische Bundesamt teilt mit, dass sich der Anteil der Erwerbs­tätigen jenseits des Renten­eintritts­alters stark erhöht hat. Im Jahr 2012 arbeiteten noch 11 Prozent der 65- bis 69-Jährigen, 2022 lag dieser Anteil bereits bei 19 Prozent. Mit anderen Worten: Über 780.000 Menschen haben 2022 jenseits des "erwerbsfähigen Alters" ihre Arbeitskraft eingesetzt. Gehen wir davon aus, dass dieser Anteil konstant bleibt und künftig im Schnitt 1.000.000 Menschen pro Jahr ihren Ruhestand beginnen, kommen jedes Jahr 190.000 neue Fachkräfte auf den "Arbeitsmarkt post Rente". Für Arbeitgeber bietet diese Veränderung die Chance, mehr Erfahrung und Arbeitskraft zu gewinnen oder zu binden.

Auf den ersten Blick treffen derzeit zwei gegensätzliche Trends aufeinander: Immer mehr Arbeitnehmende gehen vor der Altersgrenze für die Regelaltersrente in den Ruhestand. Zeitgleich steigt aber der Anteil der erwerbstätigen Rentner. Hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Ein Teil der Berufstätigen geht aus eigener Initiative - auch, weil Angebote wie die Rente ab 63 in Anspruch genommen werden. Der andere Teil verlässt den Arbeitsmarkt, weil Arbeitgeber immer noch mit großzügigen Angeboten zum frühzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben "locken". Was auf den Großteil dieser Menschen zutrifft ist die Tatsache, dass sie sich zwar mit der finanziellen Ausgestaltung ihres Ruhestands beschäftigt haben, aber kaum mit dem, was sie in ihrem "endlosen Urlaub" tun wollen. Viele stellen nach einigen Monaten als Rentner fest, dass das Leben nach dem Beruf doch nicht so erfüllend ist, wie sie es erwartet haben. Nun suchen sie nach Aufgaben, die ihrem Ruhestand mehr Sinn und Struktur geben.

Eine Option, die immer mehr ältere Menschen für sich entdecken, ist eine Erwerbstätigkeit im Ruhestand. Durch die Aufhebung der Hinzuverdienstgrenzen für vorgezogene Altersrenten zum Januar 2023 ist eine Erwerbstätigkeit nun auch für Rentner im Vorruhestand finanziell deutlich attraktiver.

Lesetipp: Im Sommer 2024 hat die Bundesregierung als Maßnahme gegen den Fachkräftemangel neue Anreize für beschäftigte Rentner auf den Gesetzesweg gebracht. Mehr zur sogenannten Wachstumsinitiative lesen Sie hier.

Strategien zur Beschäftigung von Rentnern

Noch haben wenige Unternehmen Prozesse oder gar eine Strategie, wie sie das Potenzial der Erwerbstätigen im Ruhestand nutzen können. Kommt es zu einer Beschäftigung von Rentnern, geschieht dies meist zufällig. Um die "Talente in Rente" strategisch für sich zu gewinnen, müssen Unternehmen zwei Handlungsfelder unterscheiden: das interne und das externe Potenzial.

Für das externe Potenzial gilt es zu klären, ob und wie Rentner, die während ihrer Berufstätigkeit noch nicht für das Unternehmen tätig waren, für eine Beschäftigung in Betracht kommen. Es geht hier um die Anpassung der Rekrutierungsmaßnahmen und insbesondere um die Altersgrenze(n) für neue Mitarbeitende.

Das interne Potenzial liegt in den Mitarbeitenden, die aktuell bereits für das Unternehmen tätig sind. Hier können Arbeitgeber mit zwei Maßnahmen strukturiert vorgehen: Retention und Returnship.

Retention: Rentner im Unternehmen halten

Um Mitarbeitende möglichst lange im Unternehmen zu halten, empfehlen sich Mitarbeitergespräche, die den Ruhestand thematisieren.
Diese sollten mindestens fünf bis sieben Jahre vor einem möglichen Rentenbeginn erfolgen. Im Fokus stehen Mitarbeitende, die noch unentschlossen sind, wann sie das Unternehmen verlassen werden. Zur Bindung dieser Fachkräfte müssen konkrete Maßnahmen, verbindliche Perspektiven und die nötigen Anreize für die kommenden Jahre vereinbart werden.

Sollen die eigenen Mitarbeitenden für eine Beschäftigung im Ruhestand gewonnen werden, gilt es, diese Option mit genügend Vorlauf intern zu kommunizieren. Hierzu sollte bereits drei Jahren vor Altersrentenbeginn eine strukturierte Kommunikation etabliert werden, die die Optionen und Konditionen erläutert. Idealerweise wird parallel eine Begleitung bei der Planung des Ruhestands durch ein internes Bildungsformat angeboten. Der Arbeitgeber stärkt so als Ansprechpartner für die Ruhestandsplanung zugleich seine Fürsorgepflicht.

Tipp: Wie HR gemeinsam mit den Beschäftigten eine systematische Ruhestandsplanung aufbauen kann, lesen Sie im Kapitel "Talente in Rente: systematische Ruhestandsplanung".

Viele Ruheständler entdecken die Attraktivität einer Beschäftigung erst im frühen Ruhestand. Daher ist es ratsam, das Angebot der Weiterbeschäftigung nach acht bis zehn Monaten im Ruhestand erneut an ausgeschiedene Mitarbeitende zu kommunizieren. Mit Blick auf das Erfahrungswissen, die etablierten Kontakte und die Erfahrungen im betrieblichen Kontext, sollten eigene Mitarbeitende zwingend Teil der Strategie sein. Grundlage hierfür ist eine klare Aussage der Unternehmensleitung, dass Rentner und Rentnerinnen gerne weiter beziehungsweise wieder im Betrieb arbeiten können.

Returnship: Gezieltes Recruiting von Rentnern

Für Mitarbeitende, die nach Eintritt in den Ruhestand feststellen, dass sie offen für eine Erwerbstätigkeit sind, müssen Arbeitgeber zwei Dinge sicherstellen.

  1. Für Wiederkehrende ist ein Programm für den Wiedereinstieg ins Unternehmen zu etablieren. Hierbei sind insbesondere die möglichen Arbeitsgebiete zu definieren und arbeitsrechtliche sowie organisatorische Konzepte zu entwickeln.
      
  2. Als Grundlage für Returnships muss vor Beginn des Ruhestandes klar kommuniziert werden, dass ein Wiederkommen aus der Rente erwünscht ist. Hierzu eignen sich Angebote, die Mitarbeitende bei der Gestaltung der nachberuflichen Lebensphase unterstützen und dabei auch die Möglichkeiten für eine Erwerbstätigkeit im Ruhestand beschreiben.

Die Tatsache, dass die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) den Übergang in den Ruhestand zu den "kritischen Lebensereignissen" zählt, macht deutlich, wie notwenig eine Vorbereitung auf den Ruhestand ist. Dies gilt insbesondere für Menschen, die unvorbereitet ihren Ruhestand beginnen. Eine gezielte Vorbereitung auf diese Zeit kann hier den entscheidenden Unterschied machen. Bereits 2017 verwies die BZgA in diesem Zusammenhang auf den Mangel an spezifischen Interventionen, die den Ruhestandsübergang flankieren.

Praxisbeispiel: NASA beschäftigt Rentner für den Weltraum

Eine Organisation, die strategisch die "Ressource Rentner" in Anspruch nimmt, ist die National Aeronautics and Space Administration, kurz NASA. Regelmäßig wird über die pensionierten Experten berichtet. Erst im April 2024 war in "Die Zeit" zu lesen: "Die legendäre Raumsonde Voyager 1 funkt nur noch Datenmüll. Doch die NASA will sie retten und reaktiviert dafür ihre Rentner." Noch im April funkte die Voyager 1 wieder - dank der "Talente in Rente".

Auch die Reparatur und Wartung des Hubble-Weltraumteleskops, das mittlerweile über 30 Jahre alt ist, stellt für die NASA eine fortlaufende Herausforderung dar. Wenn Probleme auftreten, greift die NASA regelmäßig auf ein Netzwerk von pensionierten Experten zurück, die über entscheidendes Wissen und Erfahrungen aus früheren Projekten verfügen. Diese Experten, die oft entscheidende Systeme des Teleskops mitentworfen haben, spielen eine wichtige Rolle bei der Fehlersuche und Problemlösung.

Altersdiskriminierung fördert den Fachkräftemangel

Auch wenn Unternehmen nicht in den "unendlichen Weiten" tätig sind, können ihre Ehemaligen mit Fachwissen unterstützen, bei Produktionsspitzen aushelfen oder im Urlaubs- und Krankheitsfall Vakanzen füllen. Der Erfolg dieser Handlungsoptionen bedingt im Unternehmen ein realistisches Altersbild ohne Altersgrenzen sowie eine klare Haltung gegen Altersdiskriminierung.

Gerade in Sachen Altersdiskriminierung gibt es in Deutschland Handlungsbedarf, wie die Studie "Ageismus - Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland" (Dezember 2022) im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes deutlich macht. Im Kapitel "Konsequenzen von Altersbildern im Bereich Arbeit" ist zu lesen: "Aufgrund der Internalisierung des Stereotyps wird diskriminierendes Verhalten von älteren Arbeitenden häufig nicht als solches bewertet. Ein negatives internalisiertes Altersbild kann dazu führen, dass Arbeitende den Beruf früher verlassen […]".

Arbeitnehmende, die zum Ende ihres Berufslebens Altersdiskriminierung erfahren - sei es offen oder durch die kleinen, subtilen, oftmals auch unbewussten Handlungen von Kollegen oder Vorgesetzten -, werden diesen Betrieb nicht als Option für eine zukünftige Erwerbstätigkeit in Betracht ziehen.

Anreize für das Weiterarbeiten trotz Rente

Unternehmen müssen auch verstehen, worum es den meisten bei einer Erwerbstätigkeit im Ruhestand geht. Die wesentlichen Gründe, warum Menschen nach dem Renteneintritt wieder einem Beruf nachgehen wollen, sind laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Spaß an der Arbeit und das Bedürfnis nach einer sinnvollen Aufgabe sowie soziale Kontakte. Eine weitere Erkenntnis des IAB ist, dass ein hohes Bildungsniveau einen positiven Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Beschäftigung im Ruhestand hat. Bei den Beweggründen geht es mehrheitlich (noch) nicht um das Einkommen. Vielmehr geht es um eine wertige Aufgabe, mit der Ältere, wie bei der NASA, am Teamerfolg teilhaben können.

Flexibilität ist ein weiterer Anreiz für die Rückkehr in den Arbeitsmarkt. Eine qualitative Untersuchung aus der Schweiz zeigt, dass räumlich und insbesondere zeitlich flexible Angebote von Menschen, die im Ruhestand arbeiten (wollen), sehr geschätzt werden. Durch die Bereitstellung von flexiblen Arbeitsmodellen können Unternehmen von der Erfahrung und den Fähigkeiten der älteren Belegschaft profitieren und gleichzeitig deren Bedürfnisse und Erwartungen erfüllen.


Lesetipp: Was Arbeitgeber aus rechtlicher Sicht beachten müssen, wenn sie Mitarbeitende über die Regelaltersgrenze hinaus weiterbeschäftigen wollen, lesen Sie im Beitrag: Arbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus.