Digitalisierung in der Pandemie: Reaktionen der Betriebe

Die Digitalisierung verändert nicht nur die Arbeitsorganisation der Betriebe in den Bereichen Produktion, Dienstleistung und Logistik, sondern stellt zahlreiche neue Anforderungen an Personalmanagement und Beschäftigte. Um solche Veränderungen zu untersuchen, werden sowohl Daten auf betrieblicher als auch auf individueller Ebene benötigt. Die Langzeitstudie "Betriebe und berufliche Arbeitswelten in Deutschland" der HSU und des DIW Berlin setzt genau hier an.

Das Besondere am Projekt SOEP-LEE2 – einem Kooperationsprojekt des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und des Instituts für Personal und Arbeit (IPA) an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg (HSU) –  ist, dass über einen mehrjährigen Zeitraum Erwerbstätige und Organisationen wiederholt befragt werden und Individual- und Organisationsdaten als  Linked-Employee-Employer-Datensatz zusammengeführt werden. (Detaillierte Informationen zur Studie erhalten Sie unter www.arbeitswelten-in-deutschland.de).

Schwerpunkte der im Winter 2021/2022 durchgeführten ersten Betriebsbefragung "Betriebe und berufliche Arbeitswelten in Deutschland" waren die personalpolitischen Wirkungen und Folgen der Corona-Krise für Betriebe und Arbeitnehmende sowie die personalwirtschaftlichen Implikationen, die sich mit dem Digitalisierungsprozess bereits heute in den Betrieben abzeichnen. Befragt wurden HR-Verantwortliche sowie Mitglieder der Geschäftsführung von 729 Unternehmen, darunter mehrheitlich kleine und mittlere Betriebe mit bis zu 249 Beschäftigten (64,1Prozent).

Fachkräftemangel und Arbeitsbelastung als größte personalpolitische Herausforderung

Auf die Frage nach den aktuell größten personalpolitischen Herausforderungen antworteten zwei Drittel der Betriebe (72,5 Prozent), dass sie die Rekrutierung von benötigten Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt als große oder sehr große Herausforderung einstufen. Die Befragungsergebnisse zeigen auch, dass sich zum Befragungszeitpunkt bereits fast die Hälfte der befragten Betriebe mit einem allgemeinen Personalmangel konfrontiert sah. Ebenfalls verwiesen im Durchschnitt rund die Hälfte der Betriebe (52,6 Prozent) auf eine akut hohe Arbeitsbelastung ihrer Beschäftigten, was möglicherweise den ungedeckten Bedarf an Arbeitskräften widerspiegelt. Vor allem in größeren Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten ist die Arbeitsbelastung besonders ausgeprägt. Betriebe dieser Größenordnung müssen sich im Durchschnitt im erheblich größeren Maß mit Fluktuationen ihrer Mitarbeitenden auseinandersetzen als mittlere und kleine Betriebe. Etwas weniger problematisch wurden dagegen über alle Betriebsgrößen hinweg die Entwicklung der Lohnkosten (26,2 Prozent) und die Überalterung der Belegschaft (18,9 Prozent) eingestuft.

SOEP-Beitrag Abbildung 1

Arbeitszeitreduzierung und Homeoffice-Angebot statt Personalabbau

Ein weiterer Fokus der ersten Betriebsbefragung lag auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Gefragt wurde beispielweise nach den Auswirkungen der Pandemie auf den Personalbestand, auf die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden sowie auf die Nutzung von Remote Work. Die Betriebe wurden gebeten, ihre Situation vor der Pandemie mit der Situation in der ersten Jahreshälfte 2021 zu vergleichen.

Laut den Studienergebnissen haben die meisten Betriebe die Größe ihrer Belegschaft nicht angepasst. Aus den Daten geht hervor, dass in mehr als der Hälfte der Betriebe die gleiche Anzahl an Personen beschäftigt wurde wie vor der Pandemie. Nur knapp 17 Prozent der Betriebe aus allen Größenklassen nannten einen Rückgang ihrer Beschäftigtenzahlen, fast 25 Prozent stockten ihren Personalbestand im ersten Halbjahr 2021 sogar auf.

Dabei steigt der Anteil jener Betriebe, die ihren Personalbestand erhöht haben, mit der Betriebsgröße. Beispielsweise gab in der Betriebsgröße "50 bis 249 Beschäftigte" mehr als jeder fünfte Betrieb an, den Personalstand erhöht zu haben. Bei Betrieben über 1.000 Mitarbeitenden nahm mehr als jeder dritte Betrieb eine Aufstockung des Personalbestands vor. Auf die Pandemie reagierten die Betriebe über alle Betriebsgrößen hinweg mit der Verschiebung von geplanten Aufstockungen der Belegschaft (16,7 Prozent) und der Nichtbesetzung freier Stellen (14,6 Prozent).

SOEP-Beitrag Abbildung 2

Die deskriptiven Ergebnisse zeigen, dass der Großteil der Betriebe zur Kompensation der mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen - beispielweise Schließung der Betriebsstätte oder Verpflichtung der Arbeitgeber zum Angebot von Homeoffice - die Arbeitszeit der Mitarbeitenden reduziert hat. 52,2 Prozent der Betriebe entschieden sich für den Abbau von Überstunden beziehungsweise angesammeltem Arbeitszeitguthaben oder den Aufbau von Minusstunden auf den Arbeitszeitkonten ihrer Beschäftigten. 27,6 Prozent der Betriebe beantragten Kurzarbeit und 24,2 Prozent der Arbeitgeber gaben an, die Inanspruchnahme von Urlaub angeordnet zu haben.

Eine deutliche Auswirkung der Coronapandemie zeigt sich in der Zunahme von Remote Work. Mitte 2021 arbeitete in circa zwei Drittel der Betriebe ein Teil der Belegschaft von zu Hause aus. In fast allen dieser Betriebe (92 Prozent) stieg der Anteil der Beschäftigten, die von zu Hause arbeiten, deutlich an. Vor allem in Betrieben, in denen eine betriebliche Interessensvertretung verankert ist, ist das Arbeiten im Homeoffice um mehr als 20 Prozent verbreiteter als in Betrieben ohne Interessensvertretung.

Digitale Technologien erhöhen den Bedarf an Aus- und Weiterbildung

Die Digitalisierung führt bereits heute – und diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren voraussichtlich noch verstärken – zu Veränderungen der betrieblichen Gestaltung der Arbeitsorganisation, der betrieblichen Arbeitspolitik und der Arbeitsbeziehungen. Für den Erfolg dieser Transformation spielen die Beschäftigten eine entscheidende Rolle. Zum einen geht es darum, wie gut der Wandel in den Belegschaften angenommen wird, zum anderen ist relevant, wie gut das Personal fachlich auf den Einsatz von Digitalisierungstechnologien vorbereitet ist.

In den befragten Betrieben hat sich die Nutzung von unterschiedlichen Digitalisierungstechnologien in den letzten Jahren intensiviert. Rund die Hälfte der Betriebe – unabhängig von ihrer Betriebsgröße –  stimmen der Aussage zu, dass sie sich im Vergleich mit anderen Betrieben ihrer Branche gut in puncto Digitalisierungstechnologien aufgestellt sehen. Dennoch sehen mehr als 30 Prozent aller befragten Betriebe Nachholbedarf bei der Ausstattung mit und Nutzung von digitalen Technologien.

Bezogen auf die Einstellung der Beschäftigten zum Einsatz von Digitalisierungstechnologien zeigen die Ergebnisse der ersten Betriebsbefragung, dass nur ein kleiner Teil der Betriebe (14,2 Prozent) der Aussage zustimmt, dass die Mitarbeitenden der Digitalisierung eher kritisch gegenüberstehen. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse, dass der Einsatz von Digitalisierungstechnologien zu einem hohen Weiterbildungsbedarf bei den Beschäftigten führt: 51,5 Prozent aller befragten Betriebe stimmen dieser Aussage eher oder voll zu.

Insbesondere in größeren Betrieben ab einer Mitarbeiterzahl von 250, aber auch in mittleren und kleineren Betrieben führen neue Digitalisierungstechnologien zu einem steigenden Anpassungsbedarf der Kompetenzen der Beschäftigten an die technologischen Veränderungen. Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass mit der fortschreitenden Digitalisierung neue Anforderungen an die Beschäftigten und die Personalentwicklung in den Betrieben verbunden sind.

SOEP-Beitrag Abbildung 3

Schlussfolgerungen

Die ersten Ergebnisse dieser Betriebsbefragung informieren über Reaktionen der Betriebe im Kontext der Pandemie wie beispielsweise die Zunahme von Remote Work oder einen erhöhten Weiterbildungsbedarf der Beschäftigten infolge der Digitalisierung. Deutlich sichtbar wird zudem, dass in Zeiten eines akuten Fachkräftemangels und einer fortschreitenden Digitalisierung sich nicht nur Veränderungen in der Arbeitsorganisation und in der Personalarbeit fortschreiben werden, die es aus wissenschaftlicher Sicht zu begleiten gilt. Vielmehr bedarf es vor allem einer kontinuierlichen Beobachtung der Veränderungen der Arbeitsbeziehungen sowohl auf Ebene der Arbeitgeber als auch auf Ebene der Beschäftigten.


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Schlagworte zum Thema:  Digitalisierung, Homeoffice, Coronavirus