Erhöhung des Mindestlohns als Lösung?
Trotz der guten Konjunktur und der günstigen Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich, laut einer aktuellen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die Schere zwischen den Wohlhabenden und den unteren Einkommensgruppen in den vergangenen Jahren weiter geöffnet. Die Studie hat eine Debatte ausgelöst: Politiker drängen auf mehr staatliches Engagement bei der Armutsbekämpfung. Der Sozialverband VdK Deutschland fordert einen "Mindestlohn von über 12 Euro".
"Immer mehr Menschen sind von Armut betroffen", heißt es in der Studie. Die Zahl der Haushalte, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben und deshalb nach gängiger wissenschaftlicher Definition als arm gelten, sei zwischen 2010 und 2016 von 14,2 auf 16,7 Prozent gestiegen. Während die hohen Einkommensgruppen von den sprudelnden Kapital- und Unternehmenseinkommen profitiert hätten, seien die 40 Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkommen weiter zurückgefallen. Wie die Forscher berichten, hätten die untersten zehn Prozent der Haushalte im Einkommensranking 2016 nach Abzug der Inflation sogar weniger Einkommen erzielt als 2010.
Wachsende Bevölkerungsgruppe verliert bei den Löhnen den Anschluss
Einer der stärksten Treiber der Entwicklung sei die zunehmende Spreizung der Löhne in Deutschland. Eine wachsende Bevölkerungsgruppe am unteren Rand habe den Anschluss an die Lohnsteigerungen in der Mitte der Gesellschaft verloren. Dabei hieß es noch 2016 in einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, der seit Mitte der 1990er Jahren andauernde Trend zu immer weiter auseinanderdriftenden Löhnen in Deutschland sei vorerst gestoppt. Bei den Lohnunterschieden wird im Vergleich zum Einkommen nur die Entwicklung des Arbeitsentgelts berücksichtigt, nicht jedoch zusätzliche Einkünfte aus Vermögen und Sozialleistungen.
Um der wachsenden Ungleichheit entgegenzuwirken, empfehlen die WSI-Experten ein ganzes Bündel staatlicher Maßnahmen: von der Stärkung der Tarifbindung über die Erhöhung des Mindestlohnes, bis hin zu einer stärkeren Besteuerung von Spitzeneinkommen und sehr hohen Erbschaften.
Einkommensschere: Umverteilung durch Erhöhung des Mindestlohns?
Auch Politiker der SPD, der Grünen und der Linken drängen angesichts der Studienergebnisse auf ein Umsteuern der Politik. Die Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Arbeit und Soziales, Kerstin Tack, bezeichnet die aktuelle Entwicklung als ungerecht. "Deshalb müssen Vermögen von oben nach unten umverteilt und geringe Einkünfte erhöht werden", sagt sie. Dazu müssten die Vermögenssteuer wieder eingeführt und der Mindestlohn erhöht werden.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anja Hajduk, nennt die Entwicklung der vergangenen Jahre ein "Armutszeugnis für die regierenden Parteien". Die Bundesregierung müsse endlich aktiv werden und untere sowie mittlere Einkommen entlasten, statt über eine Senkung der Unternehmenssteuer zu sprechen. Der Vorsitzende der Linken-Fraktion im Bundestag Dietmar Bartsch spricht sich für eine "große Steuerreform" aus.
Kritik an der Studie zur Einkommensungleichheit
Unumstritten ist die Studie des WSI aber nicht. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bemängelt, dass die Auswirkung der gestiegenen Zuwanderung der vergangenen Jahre nicht ausreichend berücksichtigt werde. Der jüngste Anstieg der Armutsgefährdungsquote gehe vorrangig auf eine veränderte Zusammensetzung der Bevölkerung zurück, wie die IW-Expertin Judith Niehues unter Berufung auf Daten des jüngsten Mikrozensus betont: "Die Einkommen der jeweils ärmsten zehn Prozent sind im Durchschnitt gesunken, weil viele Menschen mit noch geringeren Einkommen hinzugestoßen sind." Die Entwicklung lasse sich deshalb nicht einer zu geringen staatlichen Umverteilung anlasten.
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Die Erhöhung des Mindestlohn ist keine Lösung.