Es ist schon verrückt irgendwie. Obwohl sich die Welt da draußen in jeglicher Hinsicht radikal ändert, hat das offenbar noch keine Auswirkungen auf das Agieren in den meisten Unternehmen respektive Personalabteilungen der Republik. Wie sonst ließe sich erklären, dass man mit den gleichen Mitteln (oder weniger) versucht, die Personalbeschaffung in einem enger werdenden Markt sicherzustellen?
Harte Zeiten im Recruiting: wenige Fachkräfte, hohe Vakanzzeiten
Auf Deutschlands Personaler und Recruiting-Verantwortliche kommen harte Zeiten zu. Oder sagen wir: noch härtere Zeiten. Denn wer glaubt, der Arbeitsmarkt würde sich schon wieder entspannen und bald stünden die Bewerber wieder wie in den guten alten Zeiten Schlange, der irrt. Gleiches gilt für die, die glauben, dass die Digitalisierung vorbei geht, wenn man nur lange und fest genug den Kopf in den Sand steckt.
Leider ist dem nicht so: Das Erwerbspersonenpotenzial wird in den nächsten Jahren weiter sinken. Dem gegenüber steht eine stetig zunehmende Nachfrage an Fachkräften. Vakanzzeiten werden weiter steigen. Bis eine Stelle wieder besetzt wird, vergehen heute mitunter schon Monate. Was es bedeutet und was es kostet, wenn diese Stellen unbesetzt bleiben – darüber machen sich die wenigsten Gedanken. Und so staune ich immer wieder nicht schlecht, wenn ich höre, dass man ja nur ein begrenztes Budget habe und daher auf möglichst kostengünstige Personalmarketing-Ansätze setzen müsse. Obwohl sich die Welt da draußen täglich radikal verändert, verändert sich nichts oder zu wenig in den Unternehmen oder auch an der Haltung der für Personalbeschaffung Verantwortlichen.
Wandel des Arbeitsmarkts ist offensichtlich
So dürfte eigentlich klar sein, dass eine steigende Nachfrage in Verbindung mit sinkendem Angebot einen steigenden Preis bedeutet. Das gilt nicht nur für Fachkräfte, die sich in vielen Fällen ihres Marktwertes bewusst(er) werden, das gilt zum Beispiel auch für Jobbörsen. Seit Etablierung der Stellenportale in Deutschland kennen die Preise mit wenigen Ausnahmen eigentlich nur eine Richtung: nach oben. Vom Wachstumswahn getrieben, gehen auch die Bedarfe der Unternehmen steil nach oben. Was hingegen weniger wird, sind die Bewerber, die wirklich aktiv auf der Suche nach einem Job sind. Die machen, betrachten wir den Arbeitsmarkt, gerade mal knapp 20 Prozent aus. Bei Softwareentwicklern sind es sogar nur neun Prozent.
Recruiting-Budget steigt trotz des Bewerbermangels nicht
Was sich nicht verändert – maximal weniger, denn mehr wird – ist das Budget, sind die Ressourcen fürs Recruiting respektive Personalmarketing. Ich frage Sie, wie soll das funktionieren? Wie soll es gelingen, in einem Arbeitsmarkt, der sich stetig weiterentwickelt, der geprägt ist von Digitalisierung, neuen Arbeitsformen, einer selbstbewussteren Generation an Bewerbern, denen die klassische Karriere schon lange nicht mehr so wichtig ist, wie ein selbstbestimmtes Leben und Zeit fürs Privatleben, in dem Bewerbungsprozesse vorwiegend so gestaltet sind, dass sie eher zum Davonlaufen, als von Wertschätzung und einer positiven Candidate Experience gekennzeichnet sind, wenn Personaler Recruiting und Personalmarketing nur nebenher betreiben – wie soll es da gelingen, die passenden Bewerber fürs Unternehmen in verträglicher Zeit zu gewinnen? Wie? Klare Antwort: Gar nicht.
Recruiter müssen sich jetzt strategisch aufstellen
Ein Weiter so im Recruiting kann nicht funktionieren. Es gelingt nicht, mit den gleichen Mitteln und Ressourcen heute in einem fast leeren Bewerbermarkt zu fischen. HR muss sich strategisch positionieren, muss langfristig denken, muss neue Wege in der Bewerberansprache gehen – oder eingefahrene verlassen. Vorausgesetzt, das Unternehmen möchte am Markt bestehen.
Die Recruiting-Denke muss sich ändern
HR muss Kante bekennen, muss sich mit sich immer schneller wandelnden Märkten, mit wachsenden Bewerberansprüchen, mit neuen Technologien und mit dem Potenzial, welches in den Unternehmen schlummert – Stichwort Retention und Talent Management – auseinandersetzen. Es ist ein dringender Sinneswandel erforderlich, weg vom Sachbearbeiter, hin zum aktiven Gestalter. Weg von der Denke des ständig nur Beschaffens, hin zur Denke des Haltens.
Ein "Weiter so" im Recruiting wird zum "Aus" führen
Wer diesen Wandel als Chance ergreift und vorausschauend handelt, wer begreift, dass Stillstand und ein Weiter so zum sicheren Aus des Unternehmens führen, der hat im Wettbewerb um die raren Talent die Nase vorn. Alle anderen werden ins Hintertreffen geraten.
Henner Knabenreich: "Ein Weiter so im Recruiting kann nicht funktionieren. Es gelingt nicht, mit den gleichen Mitteln und Ressourcen heute in einem fast leeren Bewerbermarkt zu fischen." Kolumne #Personalmarketing #Recruiting @pm2null
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Henner Knabenreich ist Geschäftsführer der Knabenreich Consult GmbH. Er berät Unternehmen bei der Optimierung ihres Arbeitgeberauftritts. Zudem ist er Initiator von
www.personalblogger.net und betreibt den Blog
personalmarketing2null.de.