Er ist wieder da! Der autoritäre Führer, der alles weiß, alles kann, alles bestimmt. Der stark und entschlossen ist und durchgreift. Jüngste Wahlen weltweit legen das nahe. Seine Erkennungszeichen auf der politischen Bühne sind wahlweise Kettensägen und/oder wilde Frisuren. Und es gibt ihn auch als Frau. Das Bündnis Sahra Wagenknecht mit ihrer Namensgeberin an der Spitze kann als Beispiel dienen.
Erleben wir daher eine Rückkehr zu autoritärer Führung? Einen "authoritarian shift", wie das der US-amerikanische Sozialpsychologe John Jost nennt? Und das womöglich nicht nur in der Politik, sondern auch in den Unternehmen? Aktuelle Studien legen das nahe.
So zeigt die Leipziger Autoritarismus-Studie 2024, dass 21 Prozent der Ostdeutschen und 25 Prozent der Westdeutschen der Aussage zustimmen: "Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert". Gesellschaftliche Unsicherheiten, Klimakrise, wirtschaftliche Umbrüche und geopolitische Spannungen scheinen diesen Wunsch nach klaren und kompromisslosen Führungspersönlichkeiten zu verstärken.
Was sich hinter autoritärer Führung verbirgt
In der Wirtschaft sind ähnliche Tendenzen erkennbar. In der ebenfalls 2024 veröffentlichten Studie "In ungewissen Zeiten: Zuversicht und die veränderte Rolle von Führung im Unternehmenskontext" stellen die Autoren rund um die Münchner Hochschulprofessorin Pia Popal fest: 62 Prozent der Befragten halten autoritäre Führung in Krisenzeiten für notwendig.
Allerdings verweisen die Autoren auf einen wichtigen Unterschied: Mitarbeitende umschreiben hiermit das Bedürfnis nach erhöhter Klarheit, mehr (sozialen) Regeln und Strukturen (cultural tightness), während Führungskräfte mit autoritärer Führung (strong leadership) eher Durchgreifen zu assoziieren scheinen. Ein Phänomen, das auch in psychologischen Studien immer wieder bestätigt wird.
Der Ruf nach starker Hand und autoritärer Führung sind in Krisenzeiten häufig eher eine Kurzschlussreaktion ist als ein Beitrag zur Lösung der anstehenden Probleme. Dieser Reflex wird, worauf John Jost hinweist, in Krisen durch das Bedürfnis nach Schutz und Kontrolle ausgelöst.
Die Illusion von Sicherheit und Kontrolle
Autoritäres Führen kann dieses Bedürfnis kurzfristig betrachtet durchaus befriedigen: Entscheidungen werden klar und effizient getroffen, die Umsetzung erfolgt "generalstabsmäßig" und in Notsituationen wird Handlungsfähigkeit bewahrt. Doch dieser Effekt bewirkt Kollateralschäden: Studien belegen, dass autoritäre Systeme dazu neigen, bei den Geführten Kreativität, Engagement und Eigenverantwortung zu ersticken. Und schlimmer noch: Autoritäre Führung verfestigt Abhängigkeiten, fördert die Resignation und verhindert nachhaltige Innovationen.
Was autoritäre Führung mit Followern macht
In anderen Worten: Autoritäre Leader erschaffen Follower, die eingeschüchtert sind, das Hirn abschalten und mittrotten – auf jedem Holzweg, den man ihnen auftut. So können sich Krisen verschlimmern statt verbessern. Die vermeintlich gewonnene Sicherheit der Geführten ist dann nichts weiter als das wohlige Gefühl, nicht selber denken, entscheiden und handeln zu müssen.
Daher muss auch in Krisenzeiten und angesichts komplexer Herausforderungen gerade das Potenzial von Gruppen aktiviert werden. Unterschiedliche Stärken, unterschiedliche Perspektiven und unterschiedliche Ideen müssen zusammenfinden, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Das kann ein souveräner Führer durchaus anleiten – autoritär durchsetzen kann sie oder er es nicht.
Führung teilen statt Führer überhöhen
Die von mir immer wieder zitierten Ansätze von geteilter und verteilter Führung (shared leadership) leisten dies. Sie binden verschiedene Personen ins Führungshandeln ein, lassen Menschen dort führen, wo sie Erfahrung, Ideen, Wissen und Leidenschaft haben und kalibrieren Führungshandeln in Gruppenprozessen. Es gibt diese Ansätze in Form von Führung, die sich zwei oder mehr Personen auf einer formalen Führungsposition teilen (co-leadership). Aber auch die Spielarten, Führung in unterschiedliche Rollen aufzuteilen, Führung in Gruppen rollieren zu lassen oder sie sich in selbstorganisierten Teams herausschalen zu lassen, sind verbreitet (collective leadership).
All diese Spielarten haben gemein, dass sie der Selbstüberschätzung und dem Machtmissbrauch des Alleinentscheiders entgegenwirken. Die Gefahr, dass dies passiert, ist gerade in autoritären Systemen groß. Und sie erhöhen noch dazu die Resilienz des Systems. Denn wenn der eine große Leader – warum auch immer – wegbricht, sind da noch andere, die Bescheid wissen und bereits führen oder geführt haben. Vor allem halten diese Personen aber den Prozess am Laufen, in dem Gruppen auch angesichts komplexer Probleme und hohen Drucks zu guten Lösungen und hoher Wirksamkeit finden.
Fazit: Führung neu denken – gerade jetzt!
Die Zeiten verlangen daher keine Rückkehr zu autoritärer Führung. Sie verlangen mutige, transparente und kooperative Ansätze. Kooperativ zu führen oder gar Führung zu teilen, ist kein einfacher Weg, aber ein notwendiger. Nur so werden wir in einer dynamischen, vernetzten und krisengeplagten Welt nachhaltig erfolgreich sein.
Lassen Sie uns daher Autorität neu definieren – nicht länger als Macht, andere zu dominieren, sondern als Vermögen, Menschen zu inspirieren und zu stärken. Es liegt an uns allen, Führung angemessen zu gestalten. Und darauf habe ich bereits beim Start dieser Kolumne im März 2018 hingewiesen (Führen heute: 1968 und die Folgen) – zu einem Zeitpunkt, als mir die Welt noch vergleichsweise in Ordnung schien.
Randolf Jessl ist Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er berät, trainiert und coacht Menschen und Organisationen an der Schnittstelle von Führung, Kommunikation und Veränderungsanliegen. Zusammen mit Prof. Dr. Thomas Wilhelm hat er bei Haufe das Buch " Shared Leadership" veröffentlicht.