Per Eselsohr ins Bewerbungs-Aus


Kolumne: Per Eselsohr ins Bewerbungs-Aus

Warum kommen oft die besten Talente gar nicht ins Unternehmen? Weil sie dank Flecken und Fehlern im Bewerbungsschreiben aussortiert werden. Kolumnist Martin Claßen hat Verständnis: Der Bewerbungsvorsortierer bekommt schließlich Ärger, wenn er das beste Talent mit Eselsohren präsentiert.

Mit einer Studie hat der Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning die Praxis bei der Sichtung von Bewerbungsunterlagen untersucht, veröffentlicht im Personalmagazin 06/2014. Auf vorderstem Platz bei der Vorsortierung im Recruiting steht die Berufserfahrung des Kandidaten. Eine Spiegelung des Bewerbers an zuvor definierten Anforderungen der Stelle, der so genannte "job-person-fit", findet im Rahmen dieser ersten Filterung übrigens erstaunlich selten statt.

Bei den Top-five-Aspekten folgen hingegen vier formale Kriterien. Vorsortierer des Rekrutierungsbereichs fragen sich: Haben die Unterlagen Flecken? Gibt es Tippfehler? Oder etwa Grammatikfehler? Ist der Lebenslauf unübersichtlich? Bei einem Ja wird der Bewerber aussortiert.

"Ist das sinnvoll?" fragt der Professor von der Hochschule Osnabrück und gibt sich seine Antwort selbst: "Nein, aus Sicht der Forschung nicht. Es existiert keine einzige Studie, die belegen könnte, dass auch nur eines der Kriterien eine tiefergehende Aussage über die Persönlichkeit eines Menschen oder seine berufliche Eignung ermöglicht". Kanning plädiert deshalb für eine liberale Sichtung von Bewerbungsunterlagen – samt vorsichtigem Ausmisten.

Kleine rationale Theorie der Vorsortierung der Bewerbungen

Auf dem Schreibtisch – bei papiernen Unterlagen – oder vor dem Bildschirm – bei digitalen Formaten – begegnen sich indirekt zwei Menschen mit einem klaren Machtgefälle: der Vorsortierer im Unternehmen und der Bewerber von draußen. Was der Aspirant möchte ist klar: rein in die Firma. Schauen wir uns lieber den Vorsortierer als erste Klippe und seine Beweggründe vor allfälligen nächsten Schritten mit der suchenden Führungskraft genau an.

Die meisten Vorsortierer möchten partout einen Fehler erster Art vermeiden. Dieser sogenannte Alpha-Fehler passiert ihm dann, wenn er eine positive Einschätzung entwickelt ("Kandidat könnte was sein"), obwohl in Wirklichkeit das Gegenteil zutrifft ("Kandidat ist nichts für uns"). Wie oft haben Vorsortierer aus der Personalabteilung vom Business bereits gehört: "Mensch Meier, wen haben Sie uns denn da wieder zum Gespräch geschickt. Das war pure Zeitverschwendung. Der kann ja nicht mal richtig Deutsch. Und das Eselsohr auf Seite fünf rechts unten. Nächstes Mal möchte ich eine solche Lusche nicht mehr treffen." Ein erfahrener Vorsortierer behält solche Grundmotive seiner internen Kunden im Hinterkopf und sortiert konsequent jeden unordentlichen Bewerber von vornherein aus.

Risikominimierung im Bewerbungsprozess

Viel schlimmer wäre natürlich ein Fehler zweiter Art: Ein Supertalent wird wegen Flecken, Tippern, Fehlern bei der Sichtung fälschlicher Weise aussortiert und verpasst die Chance, seine Vorzüge im Unternehmen live zu zeigen. Doch wegen solcher Fehler wird ein Vorsortierer niemals angeraunzt. Von wem denn auch, da keiner von seinem Irrtum erfährt.

Im Megaseller "Schnelles Denken, Langsames Denken" hat Daniel Kahnemann, Psychologie-Professor und Nobelpreisträger, herausgefunden: "Wir halten uns beim Denken an das Gesetz der geringsten Anstrengung." Für den Vorsortierer von Bewerbungsunterlagen scheint im Recruiting noch ein zweites Gesetz zu gelten – das des geringsten Risikos.

Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talent Management gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.