Ein "Zuhause" für das Lernen
Haufe Online Redaktion: Warum hat sich Viessman für eine Lernplattform entschieden?
Steffen Peter: Uns war wichtig, eine möglichst lückenlose Learning Experience zu erreichen. Alle rund 150.000 potenziellen Nutzer und unsere 12.000 Mitarbeiter sollten auf die Plattform zugreifen können, und wir wollten dort alle unsere Lernangebote unterbringen. Zu unserem Angebot gehören klassische Präsenzformate, E-Learnings und Videos. Auf der einen Seite brauchten wir ein Learning Management System (LMS), um das Verhalten der Lernenden reporten zu können. Wichtiger auf der anderen Seite: Die Plattform sollte die Learner Experience so abbilden, dass ein Lernender dort alle Inhalte findet und sie direkt buchen kann, dass die Kommunikation dort stattfindet und er damit ein "Zuhause" rund um das Thema Lernen hat. Was eher einer Learning Experience Plattform (LXP) entspricht. Für uns ist die Lernplattform ein Teil unserer digitalen Services.
Eine Plattform für alles
Haufe Online Redaktion: Sie haben als ein Auswahlkriterium die hohe Verfügbarkeit genannt. Welche technischen und anderen Gründe gab es noch, die Ihre Auswahl entscheidend beeinflusst haben?
Peter: Eines der wichtigsten Auswahlkriterien war, dass Kunden wie Mitarbeiter auf die Plattform zugreifen können. Dann wollten wir mit einem LMS-Anbieter zusammenarbeiten, der sein LMS weiterentwickeln will. Das Produkt sollte schon Out-of-the-Box sehr viel können, aber auch so flexibel weiter zu entwickeln sein, dass konkrete Anforderungen wie neue Features in einem bestimmten Zeitraum umzusetzen sind. Bei der Magh und Boppert GmbH haben uns das Referenzkunden bestätigt. Die Lernplattform Avendoo ist eine Cloud-Lösung, vorher hatten wir ein On-Premise-System im Einsatz. Schnittstellen waren auch ein ausschlaggebendes Kriterium, sodass wir über Scorm-Konnektoren externen Content einbinden können. Uns war eine "seamless"-Lösung wichtig, ein Single Sign On, sodass Lernende von einem digitalen Service zu einem anderen springen können, ohne sich nochmals neu anmelden zu müssen. Für den Lernenden soll es immer so aussehen, als ob er bei uns auf der Lernplattform ist, auch wenn er an Drittanbieter quasi "durchgereicht" wird.
Eines der wichtigsten Auswahlkriterien war, dass Kunden wie Mitarbeiter auf die Plattform zugreifen können." – Steffen Peter
Haufe Online Redaktion: Eine Besonderheit bei Viessmann ist, dass die Lernplattform mehr externe als interne Nutzer hat. Wie haben Sie die Frage der Lizenzierung gelöst?
Peter: Wir haben zwar 150.000 potenzielle User in Deutschland (und eine noch viel größere Zahl nach dem weltweiten Rollout), aber viele davon nutzen die Lernplattform vielleicht nur einmal im Jahr und die nächsten zwei Jahre gar nicht. Für alle eine Jahreslizenz zahlen zu müssen, machte daher aus unserer Sicht wenig Sinn. Dafür wollten wir mögliches anorganisches Wachstum, zum Beispiel durch neue Unternehmensbeteiligungen, einbeziehen. Wir brauchten also ein Lizenzmodell, dass zu unseren Bedürfnissen passt und zum Lernverhalten unserer Lernenden, egal ob Mitarbeiter oder Kunden. Am Ende haben wir uns auf eine Einmalzahlung für die unternehmensweite Anwendung geeinigt und bezahlen eine jährliche Grundgebühr.
Haufe Online Redaktion: Stellen Sie den Kunden die Lernplattform und deren Inhalte kostenfrei zur Verfügung?
Peter: Es gibt das klassische Weiterbildungsangebot, das ist kostenfrei. Wenn ein Kunde oder ein Mitarbeiter des Kunden einen Login hat, dann kann er alle digitalen Services nutzen, die sein Chef freigegeben hat. Ein übergeordnetes Rechtekonzept stellt sicher, dass sich ein Monteur beispielsweise Montage-Videos ansehen, aber nicht in unserem Bestellsystem Bestellungen aufgeben kann. Bestimmte Inhalte bieten wir über unser Kundenbindungsprogramm an. Dort kann unser Kunde seine durch den Verkauf von Viessmann-Produkten oder durch Seminarbesuche erwirtschafteten Punkte entweder für ein weiterführendes Seminar einsetzen oder für eine Marketing-Leistung. Alle Angebote, die einen Event- oder Seminarcharakter haben, werden über die Lernplattform administriert, aber über ein anderes Portal angeboten. Für den Teilnehmer sieht es so aus, als ob er im Kundenbindungsprogramm angemeldet ist. Das ist aber nur das Frontend, technisch ist es die Lernplattform. Dort finden alle Prozesse statt.
Online Lernen ersetzt nicht Präsenztrainings
Haufe Online Redaktion: Mehr E-Learning bedeutet in der Regel weniger Präsenztrainings. Wie war das bei Viessmann?
Peter: Wir haben keine Trainings eingespart, sondern ergänzen sie sinnvoll mit E-Learning und bieten deshalb auch mehr E-Learning an. Ein klassisches Beispiel: In unserem Onboarding-Prozess muss jeder neue Mitarbeiter bei Viessmann lernen, wie eine Heizung grundsätzlich funktioniert. Dieses Grundlagenwissen haben wir in ein E-Learning gepackt. In der Präsenzveranstaltung, die es weiterhin gibt, vertiefen wir das Thema und sprechen über typische Use-Cases.
Haufe Online Redaktion: Welche Rolle spielt die Lernplattform, wenn sich Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens weiterentwickeln wollen?
Peter: Für die systematische Karriereplanung nutzen wir ein Talentmanagement-System, das wir zusammen mit einem Kölner Startup entwickeln. Darin kann der Viessmann-Mitarbeiter seine berufliche Laufbahn bei Viessmann planen und sehen, welche Kompetenzen er für den nächsten Karriereschritt braucht. Diese kann er über Trainings auf der Lernplattform nachvollziehbar erwerben oder über bestimmte Tätigkeiten wie zum Beispiel durch die Mitarbeit an einem Projekt. Damit gehen wir ausdrücklich weg von der Vorstellung, dass sich Kompetenzen nur in Trainings vermitteln lassen und mit Lernerfolgskontrollen bestätigen. Die beiden Elemente - also Talentmanagement und Lernen - sind aber auch seamless miteinander kombiniert.
Unsere Mitarbeiter haben zwei Stunden Vertrauenslernzeit in der Woche." – Steffen Peter
Haufe Online Redaktion: Ist es möglich, die Anforderungen einer bestimmten Position und das Jobprofil eines Mitarbeiters mit seinen Kompetenzen abzugleichen, um einen Lernpfad zu entwickeln und die Empfehlungen im Lernportal abzubilden?
Peter: Genau so ist es gedacht. Die Lernempfehlung wird sowohl im Talentmanagement-System als auch auf der Lernplattform abgebildet. Per API wird das in beide Richtungen dargestellt, sodass es dem Lernenden am Ende egal ist, wo er den Einstiegspunkt für seine Karriere gefunden hat. Er sieht in beiden Systemen das Gleiche und kann per Knopfdruck hin und her wechseln.
Haufe Online Redaktion: Müssen sich die Mitarbeiter ihre ausgesuchten E-Learnings genehmigen lassen?
Peter: Die verpflichtenden Trainings werden entweder automatisiert zugeteilt oder von den HR-Businesspartnern und Vorgesetzten zugewiesen. Andere Kurse können die Mitarbeiter selbst buchen. Wenn ein Mitarbeiter einen Kurs gebucht hat, bekommt sein Vorgesetzter eine Information. Will der Vorgesetzte nicht, dass sein Mitarbeiter den Kurs bucht, kann er die Weiterbildung nicht einfach per Knopfdruck ablehnen. Er muss mit dem Mitarbeiter reden und es erklären. Außerdem haben wir zwei Stunden Vertrauenslernzeit in der Woche. Unsere abgeschlossenen oder aufeinander aufbauenden E-Learnings sind mit rund 20 Minuten relativ kurz. Das passt sehr gut in die Vertrauenslernzeit.
Soziale Medien und Onlinedienste als Vorbilder?
Haufe Online Redaktion: Wird die Lernplattform von den Mitarbeitern als eine Art interne Suchmaschine à la Google genutzt?
Peter: Das passiert noch zu wenig und wenn, dann vor allem im IT-Bereich. Wir nutzen die Google G-Suite und wenn es Fragen dazu gibt, werden die Informationen schon über die Lernplattform gesucht. Im klassischen Heizungsbereich leider noch zu wenig. Da dient sie leider immer noch meistens dazu, sich Wissen auf Vorrat anzueignen. Obwohl wir bereits viele Elemente haben, die Performance-Support anbieten.
Haufe Online Redaktion: Eine LXP zeichnet sich unter anderem auch durch "User Generated Content" aus. Wie gehen Sie damit um?
Peter: Wir haben interne Wissensträger, die Inhalte bereitstellen und kleine Kurse machen. Das freut uns als L&D sehr, denn das haben wir lange gepredigt. Nach dem Motto "Das ist einer von uns, der muss es ja wissen." kriegen wir so weit mehr Akzeptanz als bei den zugekauften Lerninhalten. Wir unterstützen die Mitarbeiter mit Tools wie Slidepresenter oder Tools für den Videoschnitt, die wir lizensiert haben, und kleinen passenden Anleitungen zur Nutzung. Es gibt jederzeit einen Ansprechpartner und wir helfen gerne bei den Lernzielen oder bei der Umsetzung. Der User kann den Inhalt aber nicht selbst hochladen, das läuft immer über uns. So stellen wir sicher, dass wir den Lerninhalt mit einem Minimalset an Informationen und Tags ergänzen können, damit er gefunden und den richtigen Leuten zugewiesen wird.
Die Lernplattform selbst bietet ein bisschen Social Learning mit an. Das hat aber noch zu wenig Social-Learning-Charakter, da wollen wir noch mehr erreichen." – Steffen Peter
Haufe Online Redaktion: Wie sieht es mit Social Learning über die Lernplattform aus?
Peter: An einem Konzept, wie wir ein Enterprise Social Network in die Lernplattform integrieren, arbeiten wir noch. Die Lernplattform selbst bietet ein bisschen Social Learning mit an. Es gibt zu jedem Kurs eine Community, sodass sich die Lernenden in dem Kurs und zu dem Thema austauschen können. Das hat aber noch zu wenig Social-Learning-Charakter, da wollen wir noch mehr erreichen.
Betriebsrat und Unternehmensleitung stehen hinter der Strategie
Haufe Online Redaktion: Wie und wann haben Sie den Betriebsrat eingebunden?
Peter: Der Betriebsrat wird bei uns bereits vor der Planung eines neuen Tools integriert und ist bei der Umsetzung eng eingebunden. So stellen wir sicher, zu jeder Zeit im Sinne der Mitarbeiter zu entwickeln.
Haufe Online Redaktion: Wie hat die Unternehmensleitung die Einführung unterstützt?
Peter: In der Unternehmensstrategie steht das Element "Bringing out the best in all of us". Das hat uns unglaublich geholfen. In dem Moment, als diese Strategie verabschiedet wurde, war klar, dem Thema Weiterbildung kommt eine viel größere Bedeutung zu. Das hat uns in die Lage versetzt, nicht nur in Inhalten zu denken, sondern in Learner Journeys. Wir können bestimmte Dinge nur erreichen, wenn der ganze Prozess stimmt. So haben wir unser eigenes Selbstverständnis komplett auf links gedreht. Das bedeutete, deutlich mehr Marketing zu machen, deutlich mehr in Prozessen zu denken, viel mehr unsere Lernenden einzubeziehen. Zum Beispiel in kontinuierlichen Kundenpanels, bei denen wir unsere Kunden fragen, wie wir ihnen weiterhelfen können.
Auch bei Themen, die sie noch gar nicht als problematisch erachten oder die sie noch gar nicht im Fokus haben. Wenn wir das Problem erkennen, können wir daran arbeiten, mögliche Lösungen mit Weiterbildung zu begleiten. Es war eine ganz klare Vorgabe der Unternehmensleitung, dass alles was wir machen, seamless sein muss. Wir müssen dafür sorgen, dass der Kunde oder der Teilnehmer oder der Lerner einfach von einer Anwendung in eine andere wechseln kann und dass die Inhalte zueinander passen. In der klassischen pädagogischen Diskussion heißt das, den Teilnehmer da abholen, wo er steht. Zum Beispiel auch mit reisenden Referenten, die direkt beim Kunden eine Schulung anbieten. Seamless heißt also nicht nur, wir haben jetzt eine aufeinander abgestimmte Online-Welt. Das kann genauso gut offline passieren. Geholfen haben uns auch die neuen Prozesse im Rahmen der digitalen Transformation, kollaboratives Arbeiten, Transparenz, die Einführung von OKRs, die uns einen großen Geschwindigkeitsschub gebracht haben, crossfunktionales Arbeiten. Ein Produktmanager, der früher nur in Produkten gedacht hat, denkt jetzt auch in Lerninhalten. So konnten wir das ganze Thema Lernen neu definieren und auf ein ganz anderes Level heben.
Haufe Online Redaktion: Es wurden also alle Erwartungen erfüllt?
Peter: Die Plattform ist seit drei Jahren live. Wenn ich eine Note vergeben sollte, dann wäre es eine sehr gute Zwei. Wir sind super zufrieden. Der einzige Pferdefuß ist, dass wir mit den Weiterentwicklungen, die wir gerne hätten, nicht hinterherkommen. Wir möchten das User Interface noch attraktiver machen und den Funnel interessanter gestalten, da geht es um Algorithmen. Es gibt noch Potenzial, das wir heben wollen. Wenn ich die Mitarbeiterseite betrachte, sind wir super zufrieden. Bei den Kunden gibt es noch Luft nach oben. Sie sind oft noch nicht gewohnt, digital zu lernen und wir müssen ihnen den Einstieg leichter machen.
Lesen Sie dazu auch den Schwerpunkt "Digitales Lernen - Vom Seminarkatalog zur Erlebnisplattform" in Personalmagazin 02/2020. Die Ausgabe bietet eine Marktübersicht über die wichtigsten Anbieter von Lernplattformen und behandelt Themen wie Learning Analytics und User Generated Content im Detail. Lesen Sie die gesamte Ausgabe auch in der Personalmagazin-App.
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