Was bedeutet eigentlich "nachhaltiges Personalmanagement"?
PERSONALquarterly: Das Thema Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und der Begriff hat auch Einzug in den HR-Bereich erhalten. Was genau versteht man unter nachhaltigem Personalmanagement?
Michael Müller-Camen: Unter nachhaltigem Personalmanagement versteht man grundsätzlich das Bestreben, nicht nur profitorientiert zu denken, sondern auch ökologische und soziale Ziele zu berücksichtigen. Dies ist besonders für die Personalfunktion eine Herausforderung, denn hier hat man sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark auf wirtschaftliche Leistung und Profit fokussiert.
PERSONALquarterly: Und was macht nachhaltiges Personalmanagement für Sie aus?
Müller-Camen: Diese Frage habe ich mir vor 20 Jahren das erste Mal gestellt und versucht, die Antwort in Nachhaltigkeitsberichten, die mittlerweile oft ESG-Berichte genannt werden, zu finden. Diese enthielten damals und auch noch heute ein Kapitel, welches über Aspekte des Personalmanagements der jeweiligen Unternehmen berichtet. Dort wird insbesondere über Diversität und Inklusion, Personalentwicklung sowie Sicherheit am Arbeitsplatz geschrieben. Firmen berichten über die HR-Instrumente in diesen Bereichen, da diese Berichte normalerweise nach GRI standardisiert sind und dort eben diese Inhalte vorgeschrieben werden. Nicht überraschend waren und sind dies auch bis heute Bestandteile des nachhaltigen Personalmanagements, wie es wissenschaftlich definiert wird. Für mein Team und mich ist dieses "sozial verantwortliche Personalmanagement" aber nur ein Baustein.
Wesentliche Bausteine des nachhaltigen Personalmanagements
PERSONALquarterly: Gibt es darüber hinaus noch weitere zentrale Bausteine des nachhaltigen Personalmanagements?
Müller-Camen: Im letzten Jahrzehnt kam das Green HRM als weiterer Baustein dazu. Green HRM versucht aufzuzeigen, welchen Beitrag die Personalfunktion für die Umsetzung von Umweltstrategien leisten kann. Hier steht die Überlegung dahinter, dass ohne die Belegschaft ökologische Anforderungen einer Organisation nicht zu erreichen sind. Daher sollen Personalinstrumente so gestaltet werden, dass Umweltstrategien unterstützt werden. Beispiele wären, die Erreichung ökologischer Ziele bei Bonisystemen zu berücksichtigen und im Rahmen der Personalentwicklung das Umweltbewusstsein der Belegschaft zu stärken.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Begriff Green HRM oder ähnliche Ausdrücke wie ökologisches Personalmanagement bisher in der Praxis nicht verbreitet sind. Es gibt bereits diverse Maßnahmen (wie zum Beispiel Benefits für die Anreise zur Arbeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln), doch eben keinen Begriff, der diese Anstrengungen zusammenfasst und es der Personalabteilung ermöglicht, ihren Beitrag zur ökologischen Transformation systematisch darzustellen. Vielleicht wäre es auch spannend zu erwähnen, dass Green HRM mittlerweile ein stark wachsendes Feld in der Wissenschaft ist und auf allen Kontinenten erforscht wird. Eine der wesentlichen Grundlagen dieser Literatur ist das erste Sonderheft zu diesem Thema, welches in der Zeitschrift für Personalforschung (heute German Journal of Human Resource Management) 2011 erschienen ist.
PERSONALquarterly: Nimmt man das Beispiel Green HRM, so kann neben der Umsetzung konkreter Maßnahmen auch die Information der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit eine Rolle spielen. Wie wichtig sind interne und externe Kommunikation beim nachhaltigen Personalmanagement?
Müller-Camen: Diversität, Inklusion und eine stärkere Umweltorientierung werden derzeit aus den USA kommend immer stärker hinterfragt. Stichwort Woke Kapitalismus! Daher ist es wichtig, sich auch in der internen Kommunikation diesen Themen zu widmen und zum Beispiel herauszustellen, welche wirtschaftlichen Vorteile eine divers zusammengesetzte Belegschaft hat und warum es sich auch finanziell lohnen kann, Umweltschäden zu vermeiden. Ein wichtiges Element der externen Kommunikation ist die bereits beschriebene Nachhaltigkeitsberichterstattung, in der Personalthemen eine große Rolle spielen. Themen des sozialverantwortlichen Personalmanagements und insbesondere Diversität und Frauenförderung werden natürlich auch in den Karrieresektionen der Unternehmen im Internet hervorgehoben. Dies wird immer wichtiger, da heute nur noch ein "sustainable" Employer Branding entsprechende Bewerbungen generiert.
Nachhaltiges Personalmanagement und New Work
PERSONALquarterly: Für ein erfolgreiches Employer Branding und eine hohe Mitarbeiterbindung können Unternehmen neue Arbeitsstrukturen wie zum Beispiel agile Teamarbeit anbieten. Welche Überschneidungen oder gegenseitige Beeinflussung sehen Sie zwischen nachhaltigem Personalmanagement und Trends um New Work?
Müller-Camen: Eine wichtige Voraussetzung von New Work ist die Qualifikation und Motivation der Beschäftigten. Personal- und insbesondere Persönlichkeitsentwicklung sind auch Bestandteile des sozial verantwortlichen Personalmanagements. Für die Motivation ist heute für viele Menschen mehr und mehr die Sinnfrage entscheidend. Was ist der Unternehmenszweck? Besteht dieser allein darin, zum weltweit führenden Unternehmen in einer bestimmten Industrie zu werden oder jedes Jahr den Umsatz und die Gewinne im zweistelligen Bereich zu steigern? Oder möchte die Organisation einen Beitrag zur Lösung sozialer und ökologischer Fragen leisten, wie sie zum Beispiel von den Sustainable Development Goals (SDGs) der UNO vorgegeben werden? Hier haben Unternehmen, die für New Work bekannt sind, wie Upstalsboom in Deutschland oder Sonnentor in Österreich, und mit denen wir uns an meinem Institut intensiv beschäftigen, teilweise sehr innovative Lösungen entwickelt, die eine stärkere Gemeinwohlorientierung vorsehen. Dies war ein wichtiger Grund dafür, dass wir 2020 Common Good HRM beziehungsweise gemeinwohlorientiertes Personalmanagement als weiteren Baustein des nachhaltigen HRM entwickelt haben.
PERSONALquarterly: Welche Chancen und Gefahren für ein nachhaltiges Personalmanagement bergen der Trend zur Digitalisierung und die damit einhergehenden Veränderungen der Arbeitswelt?
Müller-Camen: Der sich in den letzten Jahren verstärkende Trend zur Digitalisierung hat das Green HRM stark befördert. Bereits vor 2020 wurde zum Beispiel im Rahmen des ökologischen Personalmanagement gefordert, Dienstreisen durch Videokonferenzen zu ersetzen und Homeoffice-Möglichkeiten flächendeckend zu ermöglichen, um den Berufsverkehr zu reduzieren. Dies geschah leider nur in geringem Ausmaß, da es zum Beispiel in den meisten Organisationen eine große Präsenzkultur gab und sich das Vorurteil lange hielt, dass Beschäftigte, die Homeoffice machen weniger produktiv sind und kein Interesse an Karriere haben. Wie wir alle wissen, haben sich hier die Einstellungen und dienstlichen Regeln 2020 innerhalb kurzer Zeit geändert. Gefahren der Digitalisierung werden auch immer offensichtlicher. Bspw. ist bekannt, dass der Einsatz von KI-Tools bzw. People Analytics in der Rekrutierung zur Diskriminierung von Minderheiten führen kann. Ein "Sustainable HRM Mindset" könnte helfen, KI-Lösungen zu entwickeln, die Menschen verbinden statt trennen, und Randgruppen wie atypische sowie ältere und Beschäftigte mit Migrationshintergrund zu inkludieren statt auszugrenzen.
"Nachhaltigkeit versteht sich nicht als eine Sammlung von Praktiken, die man einfach implementieren kann, sondern man muss etwas Grundlegendes an der Haltung ändern." – Prof. Dr. Michael Müller-Camen, Wirtschaftsuniversität Wien
PERSONALquarterly: Was würden Sie Unternehmen empfehlen, die nachhaltiges Personalmanagement etablieren möchten? Was sind die ersten, was die wichtigsten Schritte?
Müller-Camen: Es muss erstmal ein Wandel im Bewusstsein geben. Es gilt hier sich in die Lage der Mitarbeitenden hineinzuversetzen und nicht nur einige Änderungen an der Oberfläche vornehmen zu wollen. Nachhaltigkeit versteht sich nämlich nicht als eine Sammlung von Praktiken, die man einfach implementieren kann, sondern man muss etwas Grundlegendes an seiner Haltung und der seiner Belegschaft ändern. Ein realistischer Zeithorizont ist ebenso wichtig. Solche grundlegenden Änderungen geschehen nicht von heute auf morgen. Wenn Sie Bedarf sehen und Lust auf wissenschaftlichen Austausch haben, sind Sie jederzeit herzlich eingeladen, an einem unserer Workshops teilzunehmen.
Common-Good HRM: Beitrag von Personalmanagement zum Gemeinwohl
PERSONALquarterly: Im März dieses Jahres haben Sie eine digitale Konferenz zum Thema "Sustainable HRM for the Common-Good" mitorganisiert, an der zahlreiche etablierte Forscher teilgenommen haben. Was sind die neuesten Erkenntnisse aus der Wissenschaft?
Müller-Camen: Ja, vielen Dank für diese Frage. Unsere Konferenz war ein großer Erfolg und konnte eine ganze Bandbreite an unterschiedlichen Forscherinnen und Forschern weltweit anziehen. Das zentrale Ergebnis der Konferenz war, dass obwohl es ein spannendes und wichtiges Forschungsgebiet ist, nachhaltiges Personalmanagement als Fachgebiet einiger Änderungen bedarf. Der große Spalt zwischen Theorie und Praxis und die Schwierigkeiten im Überzeugen von Praxispartnern wurden offensichtlich. Green- und Bluewashing wurde thematisiert und teilweise nachhaltiges Personalmanagement als zu enges Konzept zur Änderung persönlicher Verhaltensweisen am Arbeitsplatz – wie etwa Strom- oder Materialeinsparungen – gesehen. Einige der auf der Konferenz präsentierten Arbeiten haben jedoch gezeigt, dass es mit einem gemeinwohlorientierten Ansatz möglich ist, gleichzeitig ökonomisch erfolgreich zu sein und beizutragen zur Lösung der großen Herausforderungen unserer Zeit. Wiederum scheint eine breite Teilhabe zum Beispiel der Menschen im Betrieb und Strukturen, die diese Teilhabe ermöglichen, ein Schlüssel zu sein, um diese Transformation zu ermöglichen.
PERSONALquarterly: Sie sagen, dass das Forschungsgebiet noch nicht sehr klar umrissen ist und viele Fragen offen sind. Wo innerhalb des nachhaltigen Personalmanagements besteht vor allem Bedarf an weiterer Forschung?
Müller-Camen: Grundsätzlich ist bereits das größere Interesse an nachhaltigem Personalmanagement sehr positiv. In den letzten drei Jahren widme ich mich mit meinem Team vorrangig dem Thema Common-Good HRM, bei dem wir den Beitrag von Personalmanagement zum Gemeinwohl untersuchen wollen. Besonders erfreulich ist, dass sich – auch durch unsere Konferenz – Bewusstsein für dieses Thema entwickelt und wir internationale Forschungspartner gewinnen konnten. Derzeitig baut sich auch ein regulatorischer und ökonomischer Druck über ESG-Standards und die EU Taxonomy auf. Hier wäre es spannend herauszufinden, wie ein gemeinwohlorientiertes Personalmanagement helfen könnte, dass Unternehmen diese Herausforderungen besser meistern können. Für uns unterscheidet sich Common-Good HRM vom nachhaltigen Personalmanagement in drei Punkten. Erstens die gesellschaftliche Verantwortung, die beim gemeinwohlorientierten HRM stärker betont wird. Weiterhin ist es selbstreflektierter, indem es die Probleme der Verbindung von Nachhaltigkeit und Wachstum sieht. Drittens ist dieses neue Konzept für uns multidisziplinär ausgerichtet und weniger stark auf ökonomische Faktoren fokussiert.
PERSONALquarterly: Vielen Dank für diese Einschätzungen. Abschließend die Frage, was Sie persönlich am Thema fasziniert und wie es vielleicht auch Ihr Leben beeinflusst.
Müller-Camen: Ich selbst versuche schon seit vielen Jahren, mein Leben nachhaltig zu gestalten. Das betrifft im Privat- und Berufsleben Aspekte wie etwa Wohnen, Transport und Reisen. So vermeide ich es zum Beispiel zu wissenschaftlichen Konferenzen mit dem Flugzeug anzureisen. Wie viele andere Menschen auch, möchte ich gern in meinem Beruf etwas Sinnvolles tun. Was im Privatleben wichtig ist, sollte schließlich auch im Beruf von Bedeutung sein. Das Ziel meiner Forschung ist es, zum gesellschaftlichen Wandel ein kleines Stück beizutragen.
Dieses Interview ist zuvor erschienen im Wissenschaftsjournal PERSONALquarterly, Ausgabe 3/2023 mit dem Schwerpunktthema "Nachhaltiges Personalmanagement".
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