"New Work ist nicht nebenwirkungsfrei"
Haufe Online Redaktion: Herr Schermuly, 2020 haben Sie erstmals das New-Work-Barometer durchgeführt (siehe New-Work-Barometer 2020) und damit dokumentiert, welches Verständnis von New Work in den Anfängen der Pandemie-Zeit vorherrschte. Welche Ergebnisse haben Sie damals besonders überrascht?
Carsten C. Schermuly: Dass das ursprüngliche, von Bergmann geprägte Verständnis von New Work – nämlich Arbeit, die Menschen wirklich, wirklich tun wollen – wenig Akzeptanz im DACH-Raum besitzt. Die meisten Befragten votierten für zwei andere Definitionen: für die der New-Work-Charta – basierend auf den fünf Prinzipien Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn, Entwicklung und soziale Verantwortung – sowie für das Verständnis von psychologischem Empowerment. Wir haben außerdem nach den konkreten Instrumenten gefragt, die zum Einsatz kommen. Die Befragten nannten hier vor allem empowermentorientierte Führung und agile Methoden wie Scrum. Die meisten gingen in der ersten Pandemie-Phase von einem Schub für New Work aus, obwohl aus ihrer Sicht agile Methoden nicht wirklich mit einem Leistungszuwachs einhergingen.
Haufe Online Redaktion: Was ist Ihre Arbeitshypothese: Wie könnten sich die Wahrnehmung von New Work und die dafür eingesetzten Instrumente geändert haben?
Schermuly: In der Praxis beobachte ich häufig, dass New Work eine gewisse Anziehungskraft hat und die Initiativen der Wettbewerber Begehrlichkeit wecken. Mit der zunehmenden Verbreitung des Begriffs New Work könnten die Spitzenreiter aus dem Vorjahr wie etwa agile Methoden weniger stark dominieren, dafür aber Flexibilität von Arbeitszeit und Arbeitsort in den Vordergrund rücken. Wir werden sehen, wie sich hier vermehrtes Homeoffice ausgewirkt hat und was das mit den Anforderungen an Führung macht.
Zahlen New-Work-Maßnahmen auf den wirtschaftlichen Erfolg ein?
Haufe Online Redaktion: Sie meinen, den Begriff New Work könnten viele Unternehmen nun auf Homeoffice oder Remote Work reduzieren?
Schermuly: Um herauszufinden, ob sich da etwas im Verständnis verändert, enthält die Befragung drei Auswahloptionen aus dem Vorjahr. Die am wenigsten akzeptierte Definition – eine Gleichsetzung mit dem Unternehmen New Work SE – werden wir zugunsten einer neuen ersetzen, die sich auf die Arbeitsort- und Arbeitszeitautonomie in Organisationen bezieht. Neben den konkreten Instrumenten zeigt sich das Verständnis und die Bewertung von New Work aber auch in der Frage, wie viel Geld Unternehmen dafür einsetzen. Um Veränderungsprozesse anzustoßen, brauchen Betriebe auch die nötige finanzielle Ausstattung.
Haufe Online Redaktion: Das New-Work-Barometer wird also auch Aussagen über die Wirtschaftlichkeit von New Work treffen können?
Schermuly: Dafür werden wir den Befragungsteilnehmern anbieten, nach sechs Monaten die Fragen noch einmal zu beantworten. Durch diesen zweiten Messzeitpunkt können wir feststellen, ob die eingesetzten New-Work-Maßnahmen zum wirtschaftlichen Erfolg beigetragen haben oder ob es hier keine Korrelation gibt. Außerdem erheben wir noch einmal ganz detailliert, wo die New-Work-Instrumente zum Einsatz kommen – vor allem in Innovationsbereichen oder auch in der Produktion.
Haufe Online Redaktion: In der Studie 2021 sind auch ein paar konkrete Aussagen bezüglich der Veränderungen durch die Coronapandemie formuliert, denen Befragte zustimmen können. Welche Annahmen stecken dahinter?
Schermuly: Letztes Jahr gab es die Tendenz, New Work zu glorifizieren. Wir sahen Bestrebungen von Unternehmen, sich als New-Work-Helden zu stilisieren. Zum Zeitpunkt der ersten Befragung war Deutschland erstmals im Lockdown – das bestand quasi noch die Anfangseuphorie durch die Möglichkeiten im Homeoffice. Inzwischen fördert vermutlich die andauernde Pandemie-Situation Lücken und Fehler von New-Work-Initiativen zutage, sodass sich einige Unternehmen auch schon wieder davon abwenden und sich alte Machtstrukturen wieder durchsetzen. Andere haben dagegen die Krisensituation genutzt, um sich in Sachen New Work noch besser aufzustellen.
New Work ist im Mainstream angekommen
Haufe Online Redaktion: Es könnte sich also eine Zweiteilung der Arbeitswelt in New-Work-Vorreiter und Abgehängte auftun ...
Schermuly: Ja, genau. Die Frage ist nur, in welchem Maß ist das so. Wir werden hier explizit die Unternehmensgröße fokussieren. Denn häufig wird die Vermutung laut, dass sich New Work nur auf kleine Betriebe, Eliten oder Inseln in großen Unternehmen beschränkt. Es ist ziemlich klar, dass New Work nun im Mainstream angekommen ist. Dadurch hat es eine zunehmende gesellschaftliche und politische Relevanz. Dann ist es aber auch wichtig, genauer hinzuschauen: Stellen nur kleine Unternehmen oder Startups die tiefergehenden Fragen oder befreien sich auch große Betriebe und Konzerne von alten Strukturen?
Haufe Online Redaktion: Mit der zunehmenden Verbreitung von Homeoffice und Remote Work zeigen sich auch Schattenseiten des selbstbestimmten Arbeitens: psychische Belastungen etwa, die durch die Entgrenzung von Arbeit entstehen. Wie nimmt das New-Work-Barometer diese Entwicklung in den Blick?
Schermuly: New Work ist nicht nebenwirkungsfrei. Selbstorganisation und Autonomie kann für manche Menschen auch zu viel sein. Wir nennen das in der Psychologie das Autonomie-Paradox: Eigentlich wirkt Autonomie durch die Einflussmöglichkeiten auf die Arbeitsumgebung stressmindernd, aber es gibt einen Kipppunkt, an dem eine gewisse Grenzenlosigkeit oder fehlende Orientierung das Gegenteil hervorbringt. Es kommt darauf an, mit welcher Haltung Unternehmen New Work betreiben. Sie können offene Bürostrukturen, Vertrauensarbeitszeit oder ähnliches auch dazu missbrauchen, um Menschen noch besser auszubeuten. Deswegen fragen wir auch nach der Haltung zum Thema New Work in Unternehmen.
Haufe Online Redaktion: Der Gesetzgeber formuliert verschiedene Schutzrechte für Beschäftigte, die bisweilen als Hindernisse für New Work angeführt werden. Da im September Bundestagswahlen anstehen: Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen braucht es denn aus Ihrer Sicht für New Work?
Schermuly: Das ist eine vielschichtige Frage, die bislang viel zu unterbelichtet ist. Aus der New-Work-Szene heraus wird es da kein einheitliches Bild geben. Aktuell gibt es aber Bestrebungen von New-Work-Akteuren, politische Forderungen zu formulieren. Ich vermute, dass dabei für alle demokratischen Parteien etwas dabei ist. Deshalb prüfen wir gerade, wie in der nächsten Befragungswelle des New-Work-Barometers mögliche Forderungen an die Politik mit einfließen können – nach Möglichkeit noch im September in der Längsschnittbefragung.
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