Pro-Kontra Karenztag: Warum wir den Karenztag brauchen

Der hohe Krankenstand in Deutschland kostet Wirtschaft und Sozialsysteme jährlich Milliarden - und eine Besserung ist nicht in Sicht. Wo bisherige Mittel und Maßnahmen versagen, könnte ein Karenztag für Veränderung sorgen. In jedem Fall wäre dieser eine wirksame Methode, um die Kosten zu senken. Ein Pro zum Karenztag aus unserer Redaktion.

Der Buhmann heißt jetzt Bäte, Oliver mit Vornamen. Der Vorstandsvorsitzende der Allianz sorgte mit seiner Forderung nach einem Karenztag für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für eine leidenschaftliche Debatte und empörte Gegenreaktionen. Kapitalistisch, unsozial, ungerecht oder zynisch lauten nur einige der zahllosen Reaktionen in den sozialen Netzwerken. "Die Deutschen sind keine Drückeberger und Faulenzer", stellte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD klar und warnte davor, Arbeitnehmende im Land unter Generalverdacht des Blaumachens zu stellen. Ein Karenztag käme demnach einer Kollektivstrafe für alle tatsächlich Kranken gleich.

Karenztag: Entlastung für gebeutelte Unternehmen

Fakt ist: Im Jahr 2023 mussten Arbeitgeber in Deutschland 76,7 Milliarden Euro für die Entgeltfortzahlung ihrer Beschäftigten aufbringen. Diese Kosten haben sich binnen 14 Jahre verdoppelt, wie eine Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt. Der Studie zufolge ließen der hohe Beschäftigungsstand, Lohnerhöhungen und nicht zuletzt der unverändert hohe Krankenstand keine Trendumkehr erwarten. Gleichzeitig weist eine Recherche des ZEW (Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) auf einen signifikanten kausalen Zusammenhang zwischen der Großzügigkeit der Lohnfortzahlung und der Zahl der Fehlzeiten hin. Heißt: Je großzügiger die Regelung, trotz Krankheit Lohn zu erhalten, desto höher die Fehltage.

Tipp: Lesen Sie auch den Kommentar Kontra Karenztag: Karenztage erhöhen langfristig den Krankenstand

Fakt ist auch: Der hohe Krankenstand in Deutschland – je nach Quelle werden 15 bis 20 Tage im Jahr genannt – verursacht massive Kosten. Bei den Unternehmen in Form von steigenden Lohnnebenkosten und Folgekosten aufgrund sinkender Produktivität. Bei den Krankenkassen in Form steigender Ersatzleistungen. Mit Bätes Vorschlag ließen sich nach seiner Rechnung jährlich rund 40 Milliarden Euro einsparen. Das ist kein Pappenstiel! Entlastet würden dadurch die Unternehmen, die ohnehin mit steigenden Kosten für Energie, Rohstoffe, Löhne, Bürokratie zu kämpfen haben. Es wäre also eine Maßnahme, um die Betriebe wirtschaftlicher und damit wettbewerbsfähiger zu machen.

Studienaufruf: Was können Unternehmen tun, um gesunde und zukunftsfähige Arbeitsplätze zu gestalten? Das möchten IFBG, TK und Personalmagazin mit #Whatsnext-BGM 2025, der größten Arbeitgeberstudie zum betrieblichen Gesundheitsmanagement, herausfinden. Jetzt mitmachen und individuellen Feedback-Report erhalten!

Zahl der Krankheitstage auf Rekordhoch

Die Gegenargumente sind bekannt: Die hohen Krankenzahlen seien im Wesentlichen dem Meldeeffekt durch die elektronische Krankschreibung zuzuschreiben. Soll heißen: Früher waren die Leute genauso viel krank, nur wurde es eben nicht erfasst. Gleichzeitig seien an einem tatsächlichen Anstieg der Krankheitstage die Unternehmen direkt oder indirekt selbst schuld. Schlechte Führungskräfte, schlechte Arbeitsbedingungen oder wirtschaftliche Unsicherheiten trügen dazu bei, dass die Beschäftigten häufiger ausfielen. Die Lösungen lauten dann: mehr betriebliches Gesundheitsmanagement, bessere Führung, mehr Mitarbeiterorientierung.

Mit einer strauchelnden Wirtschaft und überlasteten Sozialsystemen zahlen wir alle die Zeche." – Matthias Haller, Kommentar Pro Karenztag

Das mag im Kern nicht falsch sein, doch verkennt diese Betrachtung eine Realität: All diese Maßnahmen stehen seit Jahren zur Verfügung und werden in vielen Betrieben auch großzügig genutzt. Dennoch steigt die Zahl der Krankheitstage. Die entstehenden Kosten gehen zulasten der Wirtschaft, die immer weiter an Wettbewerbsfähigkeit verliert, und zulasten der Sozialsysteme, die immer mehr an ihre Grenzen geraten. Also bleibt nur ein Ausweg: Kosten runter!

Auch unbeliebte Entscheidungen können notwendig sein

Das ist schmerzhaft für alle, keine Frage. Und tut Geringverdienern mehr weh als Spitzenverdienern, auch das ist wahr. Und doch ist es notwendig. Die letzte Regierung, die sich an dieser Maßnahme versucht hat (damals unter Kanzler Helmut Kohl), verbrannte sich gewaltig die Finger und zog den Zorn der Wählerinnen und Wähler auf sich – und dabei wurde die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag lediglich auf 80 Prozent gekürzt und nicht etwa vollständig gestrichen. Die Folgeregierung unter Gerhard Schröder kassierte die Regelung daraufhin wieder.

Die Lektion daraus scheinen alle Parteien gelernt zu haben: Finger weg von der Lohnfortzahlung. Doch möglicherweise ist sie falsch. Denn manchmal ist die unbeliebte Entscheidung eben die notwendige - zumindest mittelfristig, bis das Land wirtschaftlich die Kurve bekommt. Denn mit einer strauchelnden Wirtschaft und überlasteten Sozialsystemen zahlen wir alle die Zeche.

Deshalb: Ja zum Karenztag. Und Ja zu betrieblichem Gesundheitsmanagement und guter Führung. Denn dies ist keine Frage des Entweder-oder, sondern des Sowohl-als-auch.


Das könnte Sie auch interessieren:

Kontra Karenztag: Karenztage erhöhen langfristig den Krankenstand

Was tun bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit

Methoden der Fehlzeitenanalyse