Wann Psychopathen Top-Performer werden können
Vor einigen Jahren machte der britische Psychologe und Buchautor Kevin Dutton mit einer steilen These Furore: Wir sollten einfach alle hin und wieder etwas psychopathischer sein. Denn Psychopathen, so Duttons Argumentation, seien selbstsicher, sie würden nichts aufschieben, sich aufs Positive fokussieren, würden Dinge nicht persönlich nehmen und sich keine Vorwürfe machen, wenn etwas überhaupt nicht geklappt hat.
Gerade in Unternehmen mit starkem Konkurrenzdruck seien psychopathische Züge daher oft angebracht, denn hier gebe es "keine Zeit für Nabelschau. Da muss man schnell und unter Druck entscheiden und manchmal richtig hart sein", sagte Dutton damals im Interview mit der " Wirtschaft + Weiterbildung". Psychopathen würden dies beherrschen: "Sie bleiben cool, wenn sie unter Druck stehen." (Das komplette Interview mit Kevin Dutton lesen Sie in Ausgabe 07-08/2013 der "Wirtschaft + Weiterbildung".)
"Psychopath" ist nach wie vor eine Beleidigung
In den vergangenen Jahren hat sich das Image von Mitarbeitern mit psychopathischen Zügen in deutschen Unternehmen jedoch kaum verbessert. Denn nach wie vor gelten sie als gefährlich fürs Unternehmen, weil sie etwa riskante Entscheidungen treffen und Anweisungen ignorieren. Und auch die Zusammenarbeit mit ihnen wir meist als schwierig eingeschätzt – etwa, weil sie wenig daran interessiert sind, wie ihr Verhalten bei Kollegen und Vorgesetzten ankommt.
Die positiven Eigenschaften von Psychopathen, die Dutton beschrieben hat, und die Tatsache, dass ihre Persönlichkeit ihnen hilft, die Karriereleiter besonders weit zu erklimmen, stehen daher für die meisten Personalentscheider in Unternehmen bislang im Hintergrund: Entdecken Recruiter etwa im Auswahlprozess, dass ein Bewerber psychopathische Züge hat, wird dieser es in aller Regel nicht in die nächste Runde schaffen. Daneben dürften die meisten Mitarbeiter und Führungskräfte es weiterhin als Beleidigung auffassen, als Psychopath bezeichnet zu werden. Wer etwa seinen Chef als "Psycho" bezeichnet, muss hierzulande mit einer Abmahnung rechnen.
Psychopathen lieben das Risiko – und ignorieren Anweisungen
Duttons Plädoyer für mehr psychopathisches Verhalten in Unternehmen hat sich also bisher im Deutschland nicht durchgesetzt. Schützenhilfe bekommt der Brite nun von deutschen Wissenschaftlern. Denn eine Studie von Psychologen der Universität Bonn kommt nun zu dem Ergebnis, dass eine bestimmte Form der Psychopathie zu beruflicher Spitzenleistung führen, ohne dabei andere oder das Unternehmen zu schädigen. Die Studie erscheint Mitte April im Fachjournal "Personality and Individual Differences".
Für ihre Studie luden die Wissenschaftler per E-Mail Angestellte aus Deutschland zur Teilnahme ein. Die Probanden übten ganz unterschiedliche Tätigkeiten aus. Im ersten Schritt testeten die Forscher sie hinsichtlich persönlicher Faktoren, ihrem Bildungsgrad und ihrer Psychopathie-Ausprägung. Als nächstes sollten jeweils zwei Kollegen zu den Arbeitsleistungen und zum Sozialverhalten der Studienteilnehmer Auskunft geben. Insgesamt wurden 161 dieser Angestellten-Kollegen-Beziehungen untersucht.
Toxische und gutartige Form von Psychopathie
Anhand der Studienergebnisse konnten die Autoren zwischen zwei Formen von Psychopathie unterscheiden: einer gutartigen und einer negativen Ausprägung, die die Wissenschaftler als "toxische" Psychopathie bezeichnen. "Die toxische Form von Psychopathie kennzeichnet sich durch antisoziale Impulsivität", sagt Studienautor Professor Gerhard Blickle vom Institut für Psychologie. Solche Personen könnten sich nicht kontrollieren, sie würden einfach nehmen, was ihnen gefällt, würden agieren ohne vorher nachzudenken und würden die Schuld auf andere schieben.
"Die potenziell gutartige Form von Psychopathie wird furchtlose Dominanz genannt", erläutert Mitautorin Nora Schütte. "Sie kann sich zum Schlechten, aber auch zum sehr Guten entwickeln." Menschen mit dieser Eigenschaft würden keine Angst kennen, ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und gute soziale Fertigkeiten haben extrem stressresistent sein, so die Beschreibung der Wissenschaftler.
Mit Blick auf die Studienergebnisse fordern die Autoren, bei Psychopathie künftig genauer zu differenzieren. Denn neben der dunklen Seite der Psychopathie sei nun auch eine helle sichtbar.
Bildung entscheidet über Sozialverhalten
Ob aus einer Person mit furchtloser Dominanz, also der gutartigen Form von Psychopathie, potenziell ein Top-Mitarbeiter wird, hängt nach der aktuellen Studie von einem wichtigen Faktor ab: Bildung. Während Personen mit furchtloser Dominanz und niedriger Bildung Verhaltensweisen an den Tag legten, die Unternehmen schädigen können, würden Psychopathen mit hoher Bildung von ihren Kollegen am Arbeitsplatz als hervorragend tüchtig und in keiner Weise antisozial auffällig beurteilt.
"Diese Befunde bestätigen die bisher wenig beachtete Theorie, dass Psychopathie zwar sehr häufig zu antisozialem Verhalten führen kann, aber eben nicht muss", sagt Blickle. Personen mit hoher furchtloser Dominanz, überdurchschnittlicher Intelligenz und einer erfolgreichen Bildungskarriere könnten auch zu selbstlosen Helden im Alltag werden, wie zum Beispiel Krisenmanager oder Notfallärzte.
Inwiefern das Bildungsniveau die erfolgreiche Sozialisation von Personen mit furchtloser Dominanz beeinflusst, stand bei der aktuellen Studie im Mittelpunkt. In einer Publikation aus dem Jahr 2016 hatten die Psychologen der Universität Bonn bereits herausgefunden, dass ausgeprägte soziale Fähigkeiten Menschen mit psychopathischen Zügen zu hilfsbereiten und kooperativen Kollegen machen.
Link zur Studie:
Die Studie "Trait psychopathy, task performance, and counterproductive work behavior directed toward the organization" wurde vorab online veröffentlicht unter www.aow-bonn.de.
Tipps zum Weiterlesen:
Interview mit Kevin Dutton: Von Psychopathen lernen
Das komplette Interview mit Kevin Dutton zum Thema "Psychopathen" lesen Sie in Ausgabe 07-08/2013 der "Wirtschaft + Weiterbildung".
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