Vom Buch zur ganzheitlichen Lernerfahrung
Personalmagazin neues lernen: Blinkist bietet seinen Nutzerinnen und Nutzern eine sehr personalisierte Lernerfahrung an. Können Sie uns beschreiben, wie Sie das genau machen?
Holger Seim: Um unseren Nutzern eine personalisierte Lernerfahrung bieten zu können, ist es sehr wichtig für uns, sie kennenzulernen. Hierfür stellen wir in unserem Onboarding einige Fragen zu Zielen und Interessen und leiten aus der Nutzung und Interaktion mit unserem Service weitere Präferenzen ab. All diese Informationen lassen wir dann in ein Modell einfließen, das jedem unserer Nutzer und Nutzerinnen die richtigen Inhalte, im richtigen Format und zum richtigen Zeit empfiehlt. Wir sind diesbezüglich schon weit gekommen, sehen aber noch sehr viel Potential, um uns in beiden Bereichen zu verbessern.
Personalmagazin neues lernen: Welche Rolle spielt die künstliche Intelligenz beziehungsweise Machine Learning für die Personalisierung der Empfehlungen?
Seim: Beides spielt eine zentrale Rolle. Machine Learning hilft uns, basierend auf den Kundendaten, die uns zu Verfügung stehen, die richtigen Empfehlungen abzuleiten. Künstliche Intelligenz, insbesondere generative KI, hilft uns dabei, diese Empfehlungen mit Kontext anzureichern, um die richtigen Inhalte in der richtigen Form zu empfehlen.
Lernpfade werden personalisiert empfohlen
Personalmagazin neues lernen: Welche Herausforderungen gibt es bei der Erstellung personalisierter Lernpfade für Ihre Nutzer und wie gehen Sie mit diesen Herausforderungen um?
Seim: Aktuell bieten wir statische, von Experten und Expertinnen kuratierte Lernpfade, die wir den Usern vorschlagen, die sich für das jeweilige Thema interessieren. Insofern sind die Lernpfade an sich nicht personalisiert, sie werden aber personalisiert empfohlen. Die Erstellung wirklich personalisierter Lernpfade ist deutlich komplexer verglichen mit der Generierung einer konkreten Empfehlung, da hierfür deutlich mehr Inhalte mithilfe von KI generiert werden müssen. Je größer der Anteil von generativer KI ist, desto höher ist das Risiko, dass die Qualität der Inhalte leidet. Aus diesem Grund sind ganzheitlich personalisierte Lernpfade aktuell noch in der Pilotphase.
Personalmagazin neues lernen: Haben Sie Pläne, die Palette der von Blinkist abgedeckten Themen zu erweitern, um mehr Fachbereiche oder Nischeninteressen zu bedienen?
Seim: Wir decken bereits jetzt mit 27 Kategorien ein sehr breites Themenspektrum ab und planen nicht, mittelfristig weitere Themen hinzuzufügen. Wir sehen jedoch viel Potential, tiefer in die bereits bestehenden Themenbereiche einzutauchen, um Nischeninteressen innerhalb dieser Bereiche besser zu bedienen.
Personalmagazin neues lernen: Welche Art von Feedback erhalten Sie typischerweise von Ihren Nutzern und wie wirkt sich dieses Feedback auf die Produktentwicklung aus?
Seim: Die Entwicklung neuer Funktionen und Formate findet immer so nah an den Nutzern wie möglich statt. Wir sammeln in Form des "Net Promoter Score" kontinuierlich Feedback und haben ein eigenes "User Research Team" das qualitative und quantitative "User Insights" für alle Teams generiert. Außerdem fordern wir Nutzer und Nutzerinnen am Ende eines Titels zu direktem Feedback an eine E-Mail-Adresse auf, was sehr gerne genutzt wird.
Personalmagazin neues lernen: Wie messen Sie den Erfolg von Blinkist? Geht es dabei nur um die Nutzerzahlen oder gibt es andere Metriken, die Sie als besonders wichtig erachten?
Seim: Nutzerzahlen und ROI sind sicherlich wichtige Kennzahlen und auch für uns richtungsweisend, aber wir haben über die Jahre auch andere Indikatoren identifiziert, die über den Erfolg unseres Business' Aufschluss geben. Zum Beispiel schauen wir viel auf Engagement, also darauf, wie aktiv unsere Nutzer in der App sind. Engagement ist für uns wesentlich, da nur Kunden, die die App wirklich nutzen, auch ihr Abo verlängern.
Generative KI als Segen für die Weiterentwicklung des Tools
Personalmagazin neues lernen: Wie sehen Ihre Zukunftspläne für Blinkist aus, insbesondere im Hinblick auf die künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen?
Seim: KI ist ja keine Zukunftsmusik mehr und natürlich mussten auch wir umdenken. Wo ich unsere größte Stärke sehe, sind keine Zusammenfassungen von Büchern oder Podcasts, sondern die ganzheitliche Lernerfahrung sowie die Fähigkeit, Nutzer täglich aufs Neue zu motivieren, sich mit Lerninhalten auseinanderzusetzen. Selbstverständlich reicht es nicht, einfach nur Inhalte zusammenzufassen. Wir müssen es schaffen, Bildungsinhalte auf den Punkt passend zu den Lernzielen des Users vorzuschlagen und Inhalte so zu produzieren, dass Unterhaltung und Erinnerbarkeit nicht auf der Strecke bleiben. Deshalb setzen wir mehr denn je auch auf redaktionelle Kuration und "Guided Learning", zum Beispiel durch unsere neuen Guides. Generative KI ist in dieser Hinsicht kein Fluch für uns, sondern ein Segen.
Personalmagazin neues lernen: Wie unterscheidet sich der Einsatz von Blinkist in verschiedenen Kulturen oder Ländern und wie passen Sie sich an diese Unterschiede an?
Seim: Auf lokale Besonderheiten reagieren wir mit einem von uns entwickelten und übrigens KI-getriebenen Tool namens "Blinkist Signal": Dabei werten wir basierend auf dem Wohnort der Nutzer und Nutzerinnen Nachrichtenmedien aus und schlagen so Titel vor, die gerade "Talk of Town" sind, inklusive personalisiertem Text. Einen interessanten Unterschied gibt es in der Motivation: Was wir aus einer Befragung wissen, ist, dass US-Amerikaner und -Amerikanerinnen Blinkist eher nutzen, um in ihrer Karriere voranzukommen, während bei deutschen Kunden und Kundinnen die persönliche Entwicklung im Vordergrund steht.
"Die Erhöhung der Interaktion mit unserer App ist unser wichtigstes Ziel, und wir haben viele Strategien, um dies zu erreichen." – Holger Seim, Mitgründer von Blinkist
Personalmagazin neues lernen: Wie hat die Coronapandemie und der allgemeine Trend zum Homeoffice und Online-Lernen Ihr Geschäft beeinflusst?
Seim: Die Pandemie war für uns die schwerste Zeit seit Businessbeginn, denn der Arbeitsweg war nunmal der wichtigste "Use Case" für uns. Inzwischen profitieren wir aber vom Online-Learning-Trend.
Personalmagazin neues lernen: Haben Sie Pläne, die Interaktion der Nutzer mit der App zu erhöhen, beispielsweise durch Funktionen zur Zusammenarbeit oder Diskussion? Könnten dabei auch die Experten, die "Guides", die durch Themen führen, eine Rolle spielen?
Seim: Die Erhöhung der Interaktion mit unserer App ist unser wichtigstes Ziel, und wir haben viele Strategien, um dies zu erreichen. Ganz konkret setzen wir auf drei Bausteine: Zum einen sehen wir eine starke Korrelation zwischen Personalisierung und Interaktion. Darüber hinaus sind die von Ihnen angesprochenen Guides ein Format, das Kunden hilft, am Ball zu bleiben. Zu guter Letzt glauben wir sehr stark daran, dass die Interaktion mit anderen – Freunde oder Kollegen – ein starker Treiber für Engagement ist. Wir haben deshalb vor einigen Monaten eine neue Funktion namens "Spaces" veröffentlicht, die es Nutzern erlaubt, Inhalte miteinander zu teilen und darüber zu diskutieren, wie in einem Buchclub. Erste Daten bestätigen uns in unserer Hypothese und wir werden alle drei genannten Bereiche weiter ausbauen.
Version für Business- und Privatnutzer unterscheiden sich kaum
Personalmagazin neues lernen: Noch bevor Blinkist von Go1 übernommen wurde, sind Sie in das Geschäft mit Unternehmenskunden eingestiegen. Wie kam es ursprünglich dazu?
Seim: Das war eine sehr natürliche Entwicklung, weil bereits seit Jahren Unternehmen auf uns zukamen, um Blinkist für ihre Mitarbeitenden einzukaufen. Lange lag unser Fokus aber ausschließlich auf B2C und das B2B-Geschäft lief eher nebenher. 2021 haben wir uns aufgrund des rasant steigenden Interesses dann entschieden, mehr Fokus auf B2B zu legen, ein auf Unternehmen fokussiertes Marketing- und Vertriebs-Team aufzubauen sowie unser Produkt um Funktionen für Unternehmen zu erweitern.
Personalmagazin neues lernen: Wie unterscheidet sich die Business-Version von der Version für Privatnutzer?
Seim: Aus Nutzersicht unterscheiden sich die Business- und Privatversion so gut wie gar nicht, da wir allen die bestmögliche Erfahrung bieten möchten und die ist Nutzer-zentriert. Die beiden Unterschiede aus Nutzersicht sind, dass in der Business-Version auch vom Unternehmen empfohlene Inhalte angezeigt werden können, und Unternehmen die Möglichkeit haben, bestimmte Kategorien – wie zum Beispiel Politik und Religion – auszuschließen. Letzteres wird vor allem von Unternehmen im amerikanischen Raum angefragt.
Personalmagazin neues lernen: Im privaten Bereich setze ich mir selbst meine (Lern-)Ziele, im Business-Kontext kann es sein, dass Vorgaben erfüllt werden müssen, zum Beispiel um die Anforderungen in einem neuen Job zu erfüllen oder einen Skill-Gap aufzuholen. Gibt es bei Blinkist ein Reporting, sodass Lernprozesse nachvollzogen werden können?
Seim: "Blinkist for Business" ist immer auf die spezifischen Ziele eines Unternehmens zugeschnitten, zum Beispiel indem wir mit unseren Kunden Inhalte zusammenstellen und diese entsprechend hervorheben. Unser Kundenservice hilft den Unternehmen auch dabei, diese kuratierten Inhalte effektiv über ihre internen Kanäle zu verbreiten und somit die richtigen Mitarbeitenden zur richtigen Zeit zu erreichen. Wer "Blinkist for Business" abschließt, erhält ein Dashboard mit Echtzeit-Informationen zum Lernverhalten der Mitarbeitenden. Diese Daten zum Beispiel zu den beliebtesten Kategorien und Titeln und monatlichen Bildungszeiten werden von unserem "Customer Success Team" quartalsweise ausgewertet und als Empfehlungen an die Kunden weitergegeben.
" 'Blinkist for Business' ist immer auf die spezifischen Ziele eines Unternehmens zugeschnitten, zum Beispiel indem wir mit unseren Kunden Inhalte zusammenstellen und diese entsprechend hervorheben." – Holger Seim, Mitgründer von Blinkist
Personalmagazin neues lernen: Die Herausforderung großer Online-Lernplattformen ist, die Motivation der Lernenden hochzuhalten, so dass sie angefangene Kurse auch beenden. Blinkist gilt als Meister des Lerner-Engagements, was demnach auch ein Grund für Go1 war, bei Ihnen einzusteigen. Was macht Blinkist in dieser Richtung besser als andere?
Seim: Als vertikal integriertes Produkt haben wir den Vorteil, dass wir eine starke Symbiose zwischen Inhalten und der Produkterfahrung schaffen können. Darüber hinaus haben wir eine Kultur geschaffen, die sehr Lerner-zentriert ist und in der ständig experimentiert wird, um die besten Lösungen für unsere Kunden zu schaffen.
Personalmagazin neues lernen: Wie ergänzen sich Go1 und Blinkist?
Seim: Durch unseren Fokus auf Endkunden haben wir mit Blinkist viel Expertise aufgebaut, was eben diese wollen, und somit Inhalte und eine Produkterfahrung geschaffen, die es für Kunden einfacher macht, lebenslanges Lernen in ihren Alltag zu integrieren. Zudem haben wir über die Zeit eine bekannte Consumer-Marke aufgebaut. Go1 hat durch seinen Fokus auf B2B und die Aggregation verschiedener Lerninhalte viel Expertise aufgebaut, welche Lernziele für Unternehmen im Vordergrund stehen und welche Inhalte diese Lernziele am besten unterstützen. Zudem hat Go1 über die Zeit durch viele Partnerschaften und einen starken B2B-Vertrieb einen breiten Zugang zu Unternehmenskunden aufgebaut. Beides ergänzt sich sehr gut und wir sehen bereits wenige Monate nach dem Zusammenschluss viele Synergien.
Personalmagazin neues lernen: In Meldungen zum Kauf war zu lesen, dass im Lauf der Zeit eine stärkere Integration und ein Cross-Selling zwischen den beiden Plattformen geplant ist. Wie genau können wir uns das vorstellen?
Seim: Hierzu erarbeiten wir gerade detaillierte Konzepte und können in den kommenden Monaten mehr Informationen dazu mitteilen.
Effektives Lernen braucht soziale Interaktion
Personalmagazin neues lernen: Vor Kurzem haben Sie Blinkist AI gelauncht. Der Beschreibung nach ist das ein "Lerncompanion", also ein Chatbot, der als persönlicher Lernbegleiter Vorschläge für Blinks macht, wie Sie die Zusammenfassungen nennen. Ist geplant, dass der Lernbegleiter nicht nur Blinks einbezieht, sondern auch Go1-Content?
Seim: Wir möchten die Marke Blinkist auch weiterhin als Marke für Zusammenfassungen und kurze Inhalte führen. Es gibt daher keine Pläne, längere Formate zu integrieren. Wir arbeiten mit Go1 aber sowohl auf der Inhaltsseite, als auch auf der Produktseite eng zusammen und entwickeln verschiedene Funktionen so, dass sie als Komponente mit überschaubaren Anpassungen auch auf der anderen Seite einsetzbar sind.
Personalmagazin neues lernen: Die Frage, ob Sie Blinkist gerade noch rechtzeitig verkauft haben, bevor ChatGPT ihr Geschäftsmodell zerstört, haben Sie noch vor wenigen Monaten unentschieden beantwortet, mit der klaren Tendenz, dass die KI das Geschäft womöglich noch spannender machen kann. Wie sehen Sie das heute?
Seim: Auch wenn sich die Welt aktuell mit rasantem Tempo verändert, hat sich meine Einschätzung hierzu nicht verändert. Ich bin überzeugt davon, dass KI deutlich mehr Chancen als Risiken für uns bietet, und sehe jede Woche aufs Neue viele Beispiele, wie unsere Teams diese Chancen nutzen.
Personalmagazin neues lernen: Als ChatGPT Ende vergangenen Jahres zum Hype wurde, gab es natürlich auch die Frage, welche Anwendungsbereiche es im Corporate Learning gibt, wie sich Corporate Learning damit verändert, welche Jobs die KI unter Umständen gefährdet oder verändert und wie sich damit auch Personalentwicklung verändert. In welchen Bereichen sehen Sie die größten Einflussfaktoren?
"Effektives Lernen bedarf für viele Menschen sozialer Interaktion und Anwendung – und beides kann von KI zwar unterstützt, aber nicht ersetzt werden." – Holger Seim, Mitgründer von Blinkist
Seim: Wir sehen den größten Umbruch bei der Erstellung sowie Kuration von Inhalten. In beiden Bereichen produziert generative KI schon jetzt sehr gute Ergebnisse und es werden immer weniger Menschen gebraucht, um qualitativ hochwertige Inhalte zu erstellen und zu kuratieren. Gleichzeitig sehen wir jedoch, dass effektives Lernen für viele Menschen sozialer Interaktion und Anwendung bedarf – und beides kann von KI zwar unterstützt, aber nicht ersetzt werden.
Personalmagazin neues lernen: In einem Podcast haben Sie Tiktok als Marketing-Vorbild bezeichnet. Tiktok wird mittlerweile auch als Vorbild für kurze Lerneinheiten genannt. Was lässt sich aus Ihrer Sicht von populären Plattformen, sei es Tiktok, Spotify oder Youtube, fürs digitale Corporate Learning adaptieren?
Seim: Wir lernen von den genannten Plattformen vor allem zwei Dinge – und diese sind meines Erachtens auch auf digitales Corporate Learning übertragbar: Zum einen zeigen Tiktok, Spotify oder Youtube sehr anschaulich, welches Potential in Personalisierung und einem tiefen Nutzerverständnis steckt. Um Corporate Learning effektiver zu machen, muss es personalisierter werden. Zum anderen können wir von diesen Plattformen viel darüber lernen, wie Lerninhalte beworben werden müssen, um sie attraktiv zu machen und Lernende zu motivieren, den ersten Schritt zu gehen.
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