KI in Lernanwendungen: Echte Erfolge in Sicht
Die Künstliche Intelligenz ChatGPT hat es geschafft, innerhalb kürzester Zeit mehr als 100 Millionen Nutzer für sich zu begeistern und viel Fantasie freizusetzen, wenn es um Lerntechnologie und die Verwendung von künstlicher Intelligenz (KI) für das digitale Lernen geht. Auch bestehende Anwendungen und Projekte werden mit neuer Aufmerksamkeit bedacht.
Innovationswettbewerb zu KI-Anwendungen in der beruflichen Weiterbildung
Das lohnt sich durchaus, wie zum Beispiel der Innovationswettbewerb "Invite" zur digitalen Plattform für berufliche Weiterbildung des Bundesbildungsministeriums zeigt. Bei dem Wettbewerb werden verschiedene Prototypen mit unterschiedlichen KI-Anwendungen getestet. Die Lernszenarien sind vielseitig. Da gibt es zum Beispiel eine offene Programmierschnittstelle für Learning-Experience-Plattformen, die eine KI-gestützte Kompetenz- und Bedarfsanalyse sowie Buchung von passgenauen Weiterbildungen für kleine und mittlere Unternehmen ermöglichen und Lernenden individuelle Lernempfehlungen geben.
Andere Prototypen beschäftigen sich mit KI für adaptives Lernen, dem Matching von Kurssuche, Weiterbildungsangebot und bereits vorhandenen Kompetenzen, KI-basierten Chatbots, die für Coaching und Feedback eingesetzt werden, und virtuellen "Companions", die Lernende über das konkrete Lernen hinaus beim Erreichen der Lernziele unterstützen sollen. "Ein Szenario kann sein, dass ein virtueller Companion den Lernenden schon morgens beim Zähneputzen fragt, welches Lernziel er sich für den Tag vorgenommen hat oder ihn daran erinnert, das Lernziel für die Woche festzulegen", beschreibt Lutz Goertz, Leiter Bildungsforschung des MMB-Instituts, Essen, das den Innovationswettbewerb begleitet.
Umfrage zu künstlicher Intelligenz in der Bildung
Wenn es um Trends im digitalen Corporate Learning geht, ist das MMB-Institut eine anerkannte Institution in Deutschland. Im MMB-Trendmonitor 2021/2022, der aktuell vorliegenden Ausgabe, hatten die Essener Bildungsforscher die Frage gestellt, welche Facetten von KI in der Bildung in den kommenden drei Jahren besonders wichtig werden. Als wichtig eingestuft wurden Anwendungen, die vor allem das individuelle Lernen unterstützen: individuelle Empfehlungssysteme, "Adaptive Learning" und "Learning Analytics", gefolgt von Machine-Learning-Tools und -Apps, KI-gestützten Prüfungssystemen und intelligente sprachgestützte Assistenten, wie sie Chatbots darstellen. Auffallend an der Umfrage: Die genannten Tools wurden zwar auch schon in den Vorjahren genannt, waren zuvor aber als wichtiger eingestuft worden.
Die Trendumfrage offenbart das Dilemma: Die KI hält nicht immer, was man sich davon verspricht oder auch, was von ihr erwartet wird. Der Begriff wird häufig nicht klar definiert, regelbasierte Systeme werden mit künstlicher Intelligenz gleichgesetzt oder das Verständnis dafür, was damit möglich oder nicht möglich ist, fehlt. Statt sich am Nutzen und dem spezifischen Einsatzzweck zu orientieren, steht die Technik im Vordergrund.
Personalisierung des Lernens verbessern
Die Personalisierung des Lernens in Form von Lernempfehlungen als wichtigen Einsatzbereich von KI beschreiben auch die Autoren des "Fosway 9-Grid Learningsystems 2023". Das Koordinatensystem "9-Grid" soll Unternehmen helfen, sich im breit gestreuten Markt der Anbieter von Lernsystemen zu orientieren. Die Marktübersicht sieht viele positive Entwicklungen, bemängelt aber, dass die Anbieter der Lernsysteme sich auf eine Personalisierung beschränken, die lediglich die Nutzererfahrung einbezieht. Sie sehen Nachholbedarf bei adaptiven Lern-Engines, die den Lernprozess und die Inhalte dynamisch auf die Bedürfnisse des einzelnen Lernenden abstimmen und anpassen.
Genau da sieht auch Volker Zimmermann, Gründer und Geschäftsführer der Neocosmo GmbH, Saarbrücken, bislang keinen durchschlagenden Erfolg der KI. Dass einzelne Lernobjekte von der KI zu einem individuellen Lernpfad zusammengestellt werden, um adaptives Lernen zu ermöglichen, "das funktioniert noch nicht so gut", sagt der Wirtschaftsinformatiker, dessen Unternehmen unter anderem an der Nationalen Bildungsplattform, am KI-Campus und am geplanten "Future Skills Campus" des Stifterverbands beteiligt ist. Große Plattformanbieter würden zwar damit werben, aber deren Lernpfade seien nicht wirklich KI-basiert, sondern einfach nur vordefiniert.
Warum es dabei noch Nachholbedarf gibt, hat Gründe: Häufig gebe es noch nicht genügend gute Metadaten und die KI müsse eben auch trainiert werden, was aufwendig sei. Zimmermann betont allerdings das "noch", denn er ist sicher, dass adaptive Tools in absehbarer Zeit so trainiert sein werden, dass sie auch gut funktionieren. Zumal es bereits funktionierende Modelle gibt, etwa beim Sprachenlernen oder auch beim KI-Campus. Hier sind die Voraussetzungen wie eine spezifische Domäne und eindeutige Vorgaben (mit dem europäischen Referenzrahmen oder beim KI-Campus entsprechende KI-Kompetenzen) sowie daraus abgeleitete Curricula, Lernziele und Messverfahren bereits gegeben.
Der Hype um ChatGPT
Großes Potenzial schreibt Volker Zimmermann der KI für die Erstellung von Lerninhalten zu. Für die automatische Übersetzung in verschiedene Sprachen gibt es bereits Lösungen, kognitive Services verschlagworten Inhalte und Bilder. So kann man sie Plattform-übergreifend durchsuchen und automatisch zu neuen Lernmaterialien zusammenstellen. "Da sind wir heute schon auf dem Level der Produktivität, das wird bereits in die Tools integriert", sagt Zimmermann.
Natürlich ist auch an ihm der Hype um den Chatbot ChatGPT nicht vorbei gegangen. Die Abkürzung GPT steht für "Generative Pre-trained Transformer", vortrainierte Sprachmodelle, die selbstständig weiter lernen und Chatbots in Echtzeit ermöglichen, scheinbar menschliche Antworten auf alle möglichen Fragen zu geben. Diese Selbstlernfunktion unterscheidet sie von regelbasierten Chatbots, die nach definierten Erkennungsmustern arbeiten und die bislang häufig eingesetzt werden.
Mittlerweile können auch Dritte von den Möglichkeiten von ChatGPT profitieren. Die Entwickler der Technologie, die Firma Open AI aus San Francisco, stellt Programmierschnittstellen (APIs), zur Verfügung, sodass das Tool in Lernprozesse und Anwendungen integriert werden kann. "Es ist nicht so kompliziert, die APIs anzubinden", meint Volker Zimmermann. "Das Szenario ist durchaus relevant."
KI für Corporate Learning: Effektivitätsgewinne erwartet
Leo Marose, Geschäftsführer des Startups Stackfuel, sieht das Potenzial von KI für Corporate Learning ähnlich: "Ganz futuristisch drauf geblickt, könnte man sich natürlich vorstellen, dass man über Technologien wie ChatGPT Inhalte erstellt und über KI-Avatare oder Deepfake-Videotechnologien auch die Videoproduktion komplett automatisiert. Ich denke allerdings, dass es noch eine Weile dauern wird, bis wir so weit sind. Was aber jetzt schon geht: Die unterschiedlichen Technologien für einzelne Produktionsschritte einzusetzen und daraus einen Mehrwert zu ziehen. Insgesamt können wir in den nächsten Jahren in jedem Fall große Effektivitätsgewinne erwarten." Das bedeutet, davon ist Marose überzeugt, dass sich die Jobs im Corporate Learning schneller verändern (müssen) als erwartet.
KI erfordert neue Kompetenzen
In der Personalentwicklung sind neue, digitale Kompetenzen gefordert, die sich mit dem Begriff "Data Literacy" zusammenfassen lassen. Leo Marose beschreibt es so: "Fortschritt muss immer objektiv messbar sein. Das gilt natürlich auch fürs Lernen. Wir sind inzwischen viel weiter, als dass man pädagogischen Erfolg nur anhand eines Zertifikats in einer Liste abhakt. Die vielen anderen Parameter wie etwa Motivation, Lerngeschwindigkeit, Etappenzielerreichung vermengen sich am Ende zu einem immer größer werdenden Datensatz. Diesen kompetent auswerten zu können, bedarf einer gewissen 'Data Literacy'. Dafür muss jetzt nicht jede Corporate-Learning-Abteilung nur noch aus 'Data Scientists' bestehen, aber es ist einfach unabdingbar, dass sich alle zumindest eine Basis an Datenkompetenz aneignen. Schon um gut einschätzen zu können, welche Potenziale, aber auch Herausforderungen es bei der Datenanalyse überhaupt gibt, oder auch ob Zahlen, die einem vorgelegt werden, wirklich aussagekräftig sind."
"Trainer werden in zehn Jahren die unternehmensspezifischen Bots trainieren statt die Mitarbeitenden." – Volker Zimmermann, Geschäftsführer Neocosmo
Programmieren lernen muss man dafür nicht, aber auch das Trainieren der KI will gelernt sein. In Volker Zimmermanns Zukunftsprognose kommt das auf Trainer und Trainerinnen in Unternehmen zu, denen er eine neue Rolle zuweist: "Heute trainieren die Trainer in den Unternehmen die Mitarbeitenden. Meine Prognose lautet: Diese Trainer werden in zehn Jahren die unternehmensspezifischen Bots trainieren statt die Mitarbeitenden. Das ist vielleicht ein bisschen extrem polarisiert. Aber dahin wird die Entwicklung gehen."
In dem Szenario, das ihm vorschwebt, übernimmt das Training nicht ein zentraler Bereich, sondern die Trainer mit dem spezifischen Wissen der einzelnen Arbeitsbereiche. "Da wird der HR-Bereich gefragt, der den Bot zu HR-Themen trainieren muss, die IT trainiert den Bot zu IT-Themen, die Arbeitssicherheit den Bot zu Arbeitssicherheit." Was das Training eines Chatbots aufwendig macht, ist demnach, alle möglichen Frage- und Antworttypen zu erfassen, sie zu gewichten, zu bewerten und Feedback zu sammeln, mit dem das System lernen kann. "Unternehmen, die nicht aus der IT-Branche kommen, brauchen Leute, die das können", so Volker Zimmermann.
ChatGPT als Beschleuniger
Das ChatGPT die Entwicklung von KI-Anwendungen im Corporate Learning beschleunigt, ist sicher. Doch der Aufwand ist nicht zu unterschätzen. Zum Trainingsaufwand für eine solche Anwendung, wenn sie intern genutzt werden soll, kommen Fragen des Datenschutzes und der Ethik, die bislang nicht geklärt sind. Aber: "Viele Unternehmen wissen doch längst, dass sie am Thema 'Data Analytics und KI' nicht vorbeikommen. Speziell ChatGPT geht meiner Meinung nach gerade durch einen 'Hypecycle'; das Interesse wird auch wieder abflachen. Jetzt gilt es, die Potenziale solcher Technologien zu erkennen, einzuschätzen und sich dann zu überlegen, was man konkret damit im Arbeitsalltag verbessern kann", rät Leo Marose interessierten Unternehmen.
Dem stimmt auch Volker Zimmermann zu. Der Begeisterungsphase werde sich früher oder später die Phase der Skepsis anschließen. "Danach wird ChatGPT relativ schnell so gut werden, dass es die Welt verändern wird. Darüber brauchen wir nicht mehr zu reden. In zehn Jahren werden wir selbst nur noch korrigieren, die Texte wird die KI schreiben und das wird zu grundsätzlichen Verhaltensveränderungen führen." Er ist überzeugt, dass die KI nicht nur das Modell des digitalen Lernens mit vordefinierten Lernobjekten und Tutorials mit aufwendig aufbereiteten Inhalten verändert, sondern auch das Nutzerverhalten. Die Nutzer könnten sich nämlich zukünftig schlicht fragen, warum sie überhaupt noch lernen sollten, wenn der Chatbot die Antwort auf ihre Fragen fast in Echtzeit liefert.
Dieser Beitrag ist erschienen in neues lernen, Ausgabe 2/2023, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der App personalmagazin - neues lernen.
Quellen:
Hannes Androsch, Wolfgang Knoll, Anton Plimon (Hg. Eds.): KI in der Praxis. Jahrbuch zu den Alpbacher Technologiegesprächen 2022.
Matt Welsh The End of Programming. In: Communications of the ACM, January 2023, Vol. 66 No. 1, Pages 34-35
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