Lerntransfer skalieren


Lerntransfer skalieren - wie kann es gelingen?

Wie lässt sich der Lerntransfer für eine große Zahl von Beschäftigten skalieren? Das ist eine zentrale Frage, die zahlreiche L&D-Profis bewegt. Denn zum einen ist klar, dass sich Schulungsteilnehmende oft schwertun, das Gelernte im Tagesgeschäft umzusetzen. Zum anderen fehlen aber die Ressourcen, um sie individuell zu unterstützen. Kolumnist Axel Koch beleuchtet dieses Dilemma.

"Wir machen schon so viel", erzählt mir die Personalentwicklerin eines Unternehmens für Reinigungstechnik. "Wir bauen Schulungen didaktisch und methodisch so auf, dass sie die Umsetzung des Gelernten fördern. Wir wiederholen Inhalte mit kurzen Learn Nuggets oder setzen Transfermethoden wie Lerntagebücher und auch Reminder ein." Zufrieden ist sie dennoch nicht. Denn all das bringe gefühlt zu wenig. Ja, es gäbe Erfolge. Aber bei all dem Investment bliebe dennoch verhältnismäßig wenig hängen.

So wie ihr geht es vielen. Das höre ich immer wieder. Die L&D-Profis würden liebend gerne das machen, was sich Transfercoaching oder Transferbegleitung nennt. Nämlich die Lernenden ganz individuell und nach deren Bedürfnissen beim Lerntransfer unterstützen. Doch was in der Theorie logisch und sinnvoll ist, scheitert an der praktischen Machbarkeit. "Für die über 1.000 Lernenden bei uns ist eine solche Umsetzungsbegleitung nicht realisierbar", konstatiert die eben erwähnte Personalentwicklerin ernüchtert. Selbst, wenn es die Mitarbeitenden wollten. Sie bräuchte stattdessen "kollektive Regelungen, die angesichts der zur Verfügung stehenden zeitlichen und monetären Ressourcen gangbar sind".

Das Dilemma: Wer soll den Lerntransfer übernehmen?

Leichter gesagt als getan. Wie kann es gehen? Eine Lösung liegt recht nahe. Die Chefs müssten sich um den Lerntransfer ihrer Mitarbeitenden kümmern. Dass dies ein wichtiger Einflussfaktor ist, bestätigen auch immer wieder Meta-Analysen aus der Lerntransferforschung. Im Prinzip könnte man auch annehmen, dass die Chefs großes Interesse daran haben, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gelerntes wirklich umsetzen. Denn Schulungen sollen helfen, die Leistung zu verbessern. Doch Interesse sieht anders aus. Die meisten Chefs tun nichts. Das kommt nicht nur in vielen Fallberichten zum Ausdruck, sondern ist auch in meinen tausenden von eigenen Forschungsdaten sichtbar. Transferunterstützende Vorgesetzte sind eher die Seltenheit.

Warum nur? Eine Personalentwicklerin aus einem Handelsunternehmen meint, dass in den Firmen lieber das Narrativ von der Selbstverantwortung erzählt würde. Mitarbeitende müssten ja aus eigenem Interesse und aus intrinsischer Motivation heraus lernen und umsetzen. Dabei blenden die Vorgesetzten aus, dass die Umsetzung von Lernerkenntnissen anspruchsvoll ist. Es sieht ja auf den ersten Blick auch nicht schwer aus, nach einem Zeitmanagement-Seminar mehr auf eigene Pausenzeiten zu achten oder auch mal "Nein" zu Aufgaben zu sagen, anstatt sich permanent selbst zu überlasten. Nur leider lassen sich gewohnte Denk- und Verhaltensmuster nicht einfach mal wegwischen. Denn Gewohnheiten sind im Gehirn neuronal gut verankert.

Hinzu kommt, dass der Lerntransfer mitunter im Widerspruch zu Arbeitsanforderungen stehen kann, wie die Personalentwicklerin berichtet: "Bei uns im Unternehmen ist Leistung enorm wichtig. Selbst wenn unsere Schulungsteilnehmenden in einem Seminar verstehen, dass sie auf ihre mentale Gesundheit achten müssen, so tun sie es im Arbeitsalltag dann doch nicht. Sie sehen sich gezwungen, 150 Prozent an Leistung zu bringen, um nicht die Anerkennung zu verlieren oder bei einer nächsten Beförderung übergangen zu werden."

Die App als Lösung für fehlenden Lerntransfer

Wenn also die Ressourcen fehlen, um die breite Masse von Schulungsteilnehmenden mit einem Transfer-Coach zu beglücken und die Chefs den Job auch nicht übernehmen wollen, bleibt nur noch eine technische Lösung. Im Zuge der Digitalisierung hat sich da in den vergangenen Jahren auch viel getan. Der Historie zufolge hat im Jahr 2009 die Heidelberger Firma Maxment GmbH die erste Lösung auf den Markt gebracht. Die Kern-Idee war eine web-basierte Software, mit der sich Lerntransferziele definieren und tracken ließen.

Es folgten andere Anbieter mit ähnlichen Gedanken, wie Dranbleiben 2.0, Skillhero  oder Everskill. Um nur ein paar zu nennen, die am Markt ganz gut sichtbar waren. Auch hier konnten sich die Nutzer Ziele setzen, Fortschritte anzeigen lassen und an die Umsetzung erinnert werden. Erweiterungen zielten darauf ab, dass sich die Lernenden im Sinne des Social Learnings gegenseitig am Ball hielten oder es auch kurze vertiefende Impulse zu einem Lernthema gab. Die App als Lösung nahm auch die Weiterbildungsfachzeitschrift wirtschaft + weiterbildung (heute "neues lernen") auf. " Mit einer App nebenbei zum Lerntransfer?" hieß es in der April-Ausgabe von 2018.

Und heute? Alle drei genannten Anbieter sind vom Markt verschwunden. Zuletzt Everskill im Jahr 2022. Irgendetwas hakt noch. Es gibt verschiedene Gründe, wie Datenschutz, Lizenzgebühren oder Nutzermotivation. Offenbar ist es nicht so einfach, den Gordischen Knoten zu durchschlagen, um die breite Masse an Beschäftigten wirksam beim Lerntransfer zu unterstützen.

Ein neuer Ansatz – der KI Coach

Aber aufzugeben ist keine Option. Es muss doch eine Skalierbarkeit des Lerntransfers möglich sein. Seit kurzem ist der Anbieter Day-Off am Start, der durch KI-Unterstützung automatisch und quasi auf Knopfdruck Lerninhalte in eine digitale Lernplattform umwandelt und mit verschiedenen Aufgabentypen verknüpft. Lernende werden dann per App jeden Tag abwechslungsreich animiert, eine Kleinigkeit in ihrem Arbeitsalltag zu lernen und umzusetzen.

Auch wir als Hochschule für angewandtes Management wollen hier einen Beitrag leisten. In einem vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Projekt mit dem Namen KI-Coach-Work-Health wollen wir den Prototypen einer App entwickeln, die weit mehr kann als nur erinnern. Vielmehr soll sie mittels künstlicher Intelligenz vergleichbar wie ein menschlicher Coach dem Nutzer helfen, einen sogenannten "Rückfallplan" zu entwickeln, mit dem es wirksam und nachhaltig gelingt, über den Zeitraum von zwei bis drei Monaten Gewohnheiten zu verändern. Die Psychologie dahinter ist empirisch gut in der Forschung bestätigt, aber bisher nicht technisch umgesetzt. Der Fokus in dem Projekt liegt auf dem Thema "Gesunde Arbeit" und insbesondere dem Problem der Arbeitsintensität. Denn in Zeiten des Fachkräftemangels und der zunehmenden Zahl psychischer Erkrankungen ist dies ein Top Thema. Hier gibt es mehr zum Projekt zu lesen.

Tipp: Aktuell suchen wir noch Führungskräfte, die uns als Probanden bei der App-Entwicklung unterstützen und zugleich ein kostenloses Coaching bekommen. Interessenten melden sich bitte gerne bei mir unter axel.koch@fham.de.


Prof. Dr. Axel Koch ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet als Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning (bei München). In seiner Forschung befasst sich Koch mit dem Thema Lerntransfer und nachhaltige Veränderung. Er hat über 25 Jahre Erfahrung als Personalentwickler, Trainer und Coach. Er steckt hinter dem Pseudonym "Richard Gris", unter dessen Namen 2008 das Buch "Die Weiterbildungslüge" erschien.


Schlagworte zum Thema:  Lernmethoden, Personalentwicklung, Weiterbildung