Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Leiharbeit. Begriff der ‚wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer’. Abgeltung von nicht genommenem bezahlten Jahresurlaub und des entsprechenden Urlaubsgelds bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Normenkette
Richtlinie 2008/104/EG Art. 5 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Buchst. f.
Beteiligte
Luso Temp – Empresa de Trabalho Temporário SA |
Tenor
Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit in Verbindung mit deren Art. 3 Abs. 1 Buchst. f ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Abgeltung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub und das entsprechende Urlaubsgeld, auf die Leiharbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einem entleihenden Unternehmen Anspruch haben, geringer ist als die Abgeltung, auf die sie in einer solchen Situation aus demselben Grund Anspruch hätten, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz und für die gleiche Beschäftigungsdauer eingestellt worden wären.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Judicial da Comarca de Braga, Juízo do Trabalho de Barcelos (Bezirksgericht Braga, Arbeitsgericht Barcelos, Portugal) mit Entscheidung vom 15. Juli 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 10. September 2020, in dem Verfahren
GD,
ES
gegen
Luso Temp – Empresa de Trabalho Temporário SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin I. Ziemele sowie der Richter T. von Danwitz und A. Kumin (Berichterstatter),
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch A. Pimenta, P. Barros da Costa, M. J. Marques, D. Silva und L. Claudino Oliveira als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Recchia und G. Braga da Cruz als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Dezember 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. 2008, L 327, S. 9) in Verbindung mit deren Art. 3 Abs. 1 Buchst. f.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Leiharbeitnehmern GD und ES und einer Gesellschaft, mit der diese einen Leiharbeitsvertrag geschlossen haben, der Luso Temp – Empresa de Trabalho Temporário SA (im Folgenden: Luso Temp), wegen der Höhe der Abgeltung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub und das entsprechende Urlaubsgeld, die ihnen diese Gesellschaft wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses schuldet.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit
Rz. 3
Paragraf 4 („Grundsatz der Nichtdiskriminierung”) der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9) in der durch die Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 (ABl. 1998, L 131, S. 10, berichtigt in ABl. 1998, L 128, S. 71) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit) bestimmt in Nr. 1:
„Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt.”
Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge
Rz. 4
Paragraf 4 („Grundsatz der Nichtdiskriminierung”) der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43) (im Folgenden: Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge) bestimmt in Nr. 1:
„Befristet beschäftigte Arbeitnehmer dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil für sie ein befristeter Arbeitsvertrag oder ein befristetes Arbeitsverhältnis gilt, gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.”
Richtlinie 2008/104
Rz. 5
In den Erwägungsgründen 1, 10, 11, 12 und 15 der Richtlinie 2008/104 heißt es:
„(1) Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und befolgt die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Prinzipien … Sie soll insbesondere die uneingeschränkte Einhaltung von Artikel 31 der Charta gewährleisten, wonach jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitn...