Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechtigung des Arbeitgebers zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Mitglieds des Betriebsrats aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist (hier: Konsum von Kokain während der Arbeitszeit)
Leitsatz (amtlich)
Der Konsum von Kokain während der Arbeitszeit und in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten dar, der einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB abgeben kann.
Normenkette
KSchG § 15 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 22.05.2023; Aktenzeichen 4 Ca 315/22) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 22.05.2023 - 4 Ca 315/22 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen.
Der am 00.00.1982 geborene und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 01.06.2002 bei der Beklagten als Kommissionierer bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigt. Er war seit 2018 freigestelltes Betriebsratsmitglied. Bei der Beklagten handelt es sich um eine Logistikgesellschaft.
Seit dem 01.02.2015 gilt bei der Beklagten die Gesamtbetriebsvereinbarung zum Umgang mit Suchtmitteln vom 21.01.2015 (im Folgenden: GBV). Hier heißt es auszugsweise wie folgt:
"§ 3 - Suchtmittelverbot
3.1 Unter dem Begriff "Suchtmittel" sind alle substanzgebundenen Mittel mit einer bewusstseinsverändernden Wirkung zu verstehen, wie z. B. Medikamente, Alkohol, Drogen, Opiate etc."
3.2 Innerhalb der Betriebe und an anderen Dienstorten ist jeglicher Konsum von Suchtmitteln wegen der davon ausgehenden Gefahr für Sicherheit und Gesundheit untersagt. Diese Regelung gilt von Arbeitsbeginn bis Arbeitsende einschließlich der Pausen.
...
§ 4 - Maßnahmen
Alle Maßnahmen in Zusammenhang mit dem Umgang mit Suchtmitteln werden in der Regel analog der nachfolgend beschriebenen Interventionskette durchgeführt (Übersicht siehe Anlage 4). Diese bestehen aus den nachfolgend beschriebenen Stufen. Gleichwohl behält sich der Arbeitgeber das Recht vor, bei Vorliegen von Verstößen gegen arbeitsrechtliche Verpflichtungen/Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen.
4.1 Fürsorgegespräch
Entsteht bei der direkten Führungskraft oder deren Vertretung der Eindruck, dass ein Arbeitnehmer unter Suchtmitteleinfluss steht, führt er mit dem Betroffenen ein Fürsorgegespräch. Die Rechte und Pflichten werden klargestellt und die Führungskraft bzw. deren Vertretung hat den Arbeitnehmer daraufhin analog der Regelungen des § 3 dieser Betriebsvereinbarung vom Arbeitsplatz zu verweisen und das entsprechende Protokoll gemäß Anlage 1 zu erstellen. Für den Folgetag wird ein Termin zwischen Führungskraft bzw. deren Vertretung und dem Arbeitnehmer vereinbart.
4.2 Klärungsgespräch
Das Gespräch wird zwischen der direkten Führungskraft oder deren Vertretung und dem Arbeitnehmer geführt. Es erfolgt eine Konfrontation mit den Auffälligkeiten sowie eine Erläuterung der Interventionskette. Zudem wird zwischen Führungskraft und Arbeitnehmer ein Rückmeldegespräch vereinbart. ...
4.3 Erste Interventionsstufe
Ist der Arbeitnehmer wiederholt unter Suchtmitteleinfluss, wird ein weiteres Gespräch zwischen der direkten Führungskraft oder deren Vertretung, dem Arbeitnehmer, einem Mitglied des Betriebsrats, bei schwerbehinderten Arbeitnehmern einem Mitglied der Schwerbehindertenvertretung sowie einem vor Ort für die Thematik zuständigen und geschulten Ansprechpartner geführt. ...
4.4 Zweite Interventionsstufe
..."
Am 17. August 2022 beobachtete das Betriebsratsmitglied B. durch die Scheiben des Betriebsratsbüros, wie der Kläger an seinem Schreibtisch im Betriebsratsbüro ein weißes Pulver mit einer Karte zu einer Linie formte und sodann mit einem Röhrchen durch die Nase konsumierte. Das Betriebsratsmitglied konfrontierte den Kläger noch am selben Tag mit den Beobachtungen. Der Kläger äußerte gegenüber B. sinngemäß, dass er sich keine Sorgen mache müsse und es sich bei der Substanz nicht um Drogen oä. gehandelt habe.
Die Betriebsleitung wurde am 30. August 2022 per E-Mail durch das Betriebsratsmitglied B. über den Vorgang informiert. Wegen des konkreten Inhalts der E-Mail wird auf die Anlage B1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 21.12.2022 Bezug genommen.
Der Kläger befand sich bis zum 04.09.2022 im Urlaub. Am 06.09.2022 wurde er durch den Betriebsleiter S. und einen Personalreferenten M. zu den Beobachtungen am 17.08.2022 angehört. Der Kläger erklärte dabei auf nochmalige konkrete Nachfrage, dass es sich bei der Substanz um Schnupftabak mit Traubenzucker gehandelt habe. Im Nachgang zu dieser Besprechung zeigte der Kläger den beiden Gesprächsteilnehmern eine kleine Flasche mit der Aufschrift Schneeberg, die er zuvor aus seinem Büro geholt hatte. Herr S. roch daran und stellte fest, dass der Inhalt nach Zitrone roch. Von den beiden Gesprächsteiln...