Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage wegen Falschinformation des Betriebsrats. Nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage bei nicht vorwerfbarem Verhalten. Sorgfaltsmaßstab des § 5 Abs. 1 KSchG. Betriebsrat als nicht zur Rechtsauskunft geeignete Stelle
Leitsatz (amtlich)
Versäumt der Arbeitnehmer die Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG für die Erhebung der Kündigungsschutzklage, weil ihm der Betriebsratsvorsitzende sagt, der Kläger müsse sich um nichts weiter kümmern und brauche auch keine Klage einreichen, ist eine nachträgliche Zulassung der Klage nicht möglich.
Normenkette
KSchG § 4 S. 1, § 5 Abs. 1 S. 1, § 7; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Herford (Entscheidung vom 23.06.2021; Aktenzeichen 2 Ca 1208/20) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 23. Juni 2021 (2 Ca 1208/20) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen der Frage einer wirksamen Kündigung über die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage.
Der am 2. Dezember "0000" geborene Kläger war bei der Beklagten, die rund 80 Arbeitnehmer beschäftigt, seit dem 11 Juli 1989 als Maschinenführer gegen eine monatliche Vergütung in Höhe von 3.600 Euro brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW Anwendung. Gemäß § 20 Nr. 4 MTV kann der Kläger aufgrund seines Alters und seiner Betriebszugehörigkeit nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Bei der Beklagten besteht ein erstmals im Jahr 2019 gewählter Betriebsrat.
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2020, dem Kläger per Einschreiben am 29. Oktober 2020 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2021. Hiergegen hat der Kläger mit der am 24. November 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageschrift Kündigungsschutzklage erhoben und mit einem weiteren am 26. November 2020 eingegangenen Schriftsatz deren nachträgliche Zulassung beantragt.
Zuvor war dem Kläger am 30. Oktober 2020 eine Einladung zu einem BEM-Gespräch zugegangen. Dieses sollte am 3. November 2020 stattfinden, fiel jedoch wegen einer Erkrankung des Geschäftsführers der Beklagten aus.
Der Kläger hat behauptet, sich noch am Tag des Zugangs mit dem Betriebsratsvorsitzenden in Verbindung gesetzt zu haben. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass der Betriebsrat am 28. Oktober 2020 per E-Mail über die Kündigung des Klägers informiert worden sei, eine Betriebsratsanhörung aber nicht stattgefunden habe. Der Betriebsrat wolle der Kündigung auch widersprechen. Der Kläger müsse sich daher um nichts weiter kümmern und brauche auch keine Klage einreichen. Nachdem er nicht mehr arbeitsunfähig gewesen sei, habe er sich dann bei dem Betriebsratsvorsitzenden noch einmal persönlich erkundigt, wie es jetzt um die Kündigung stehe. Ihm sei erklärt worden, dass er sich nicht weiter kümmern müsse, der Betriebsrat würde dies klären. Mit Schreiben vom 3. November 2020 habe der Betriebsrat der Kündigung widersprochen. Erst am 24. November 2020 habe der Betriebsrat sich bei der späteren Prozessbevollmächtigten des Klägers nach dem weiteren Vorgehen erkundigt, woraufhin die Kündigungsschutzklage erhoben worden sei. Zur Glaubhaftmachung dieses Sachverhalts hat der Kläger eine eigene sowie eine eidesstattliche Versicherung des Betriebsratsvorsitzenden zur Gerichtsakte (Bl. 34, 35 d. A.) gereicht.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Die Klage sei nachträglich zuzulassen, da er auf die Aussage des Betriebsratsvorsitzenden habe vertrauen dürfen, zumal eine Einladung zum BEM-Gespräch nach Zugang der Kündigung erfolgt sei. Er habe keine Kenntnis von der Dreiwochenfrist gehabt. Ein Verschulden könne ihm nicht zur Last gelegt werden.
Der Kläger hat beantragt,
- die Kündigungsschutzklage vom 24. November 2020 nachträglich zuzulassen;
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Oktober 2020 nicht beendet wird;
- im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Maschinenführer weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigungsschutzklage sei verfristet. Da sich die Gespräche des Klägers mit dem Betriebsratsvorsitzenden der eigenen Wahrnehmung der Beklagten entziehen, müsse der vorgetragene Inhalt mit Nichtwissen bestritten werden. Unabhängig davon sei eine nachträgliche Zulassung nicht gerechtfertigt. Bei einer Falschauskunft über die einzuhaltende Frist treffe den Arbeitnehmer nur dann kein Verschulden, wenn er von der Kompetenz des um Rat Befragten ausgehen könne. Das sei beim Betriebsrat nicht der Fall. Die Rechtsberatung von Arbeitnehmern gehöre nicht zu seinem Aufgabenkatalog. Die Einladun...