New Hiring: Neues Narrativ der New Work SE
Der Andrang ist groß am Montagmorgen des 20. Juni in der Elbphilharmonie. Ein Gewusel durch das Treppenlabyrinth, Menschen, die nach Räumlichkeiten suchen oder einfach die atemberaubende Aussicht auf den Hamburger Hafen genießen. Um 11 Uhr geht es auf der Hauptbühne los mit gemeinsamem Einsingen, bevor Marc-Sven Kopka, VP External Affairs und Markenchef von Xing, mit Moderatorin Katty Salié die Begrüßungsworte spricht. "Unternehmenskultur ist kein Nischenthema mehr", so Salié. Vielmehr liege darin die Lösung für aktuelle Recruitingprobleme – Stichwort "Big Quit". Damit ist die Stoßrichtung der Konferenz eingeläutet: massenhafte Kündigungswellen wie sie in den USA zu beobachten sind, kämen nun auch hierzulande an. Markt der Arbeitnehmenden einerseits und andererseits Unternehmen, die sich von ihrer besten Seite präsentieren müssten, um noch Personal zu finden. Da gilt die Unternehmenskultur als das größte Ass im Ärmel.
New Work SE: Storytelling at its Best
Diese Erzählung passt zur geschäftlichen Agenda der New Work SE. Denn hinter den Kulissen ist eine Restrukturierung im Gange. Anfang des Jahres machte das Unternehmen mit Personalabbau Schlagzeilen. Zahlreiche Managementpositionen wurden neu besetzt. Das soziale Netzwerk Xing hat für den Austausch im Job kaum noch eine Bedeutung, viele Profile sind Karteileichen. Deshalb baut die Xing-Mutter nun die Expertise als Recruiting-Company aus. Xing E-Recruiting, Proscreen, kununu oder Honeypot – im Portfolio befindet sich eine Palette von Tools und Lösungen fürs Recruiting, von der Bewerbermanagement-Software über Stellenanzeigen, Matching und Active Sourcing bis hin zu Arbeitgeberbewertung und Employer Branding.
Die Verkaufsstrategie basiert auf einer groß angelegten Content-Initiative unter dem Schlagwort "New Hiring". Die Geschichte dazu geht so: Kulturwandel ist das neue Recruiting. Leadership, Collaboration, Hybrid Work, New Pay, Flexibilität, Selbstbestimmung, Transparenz – all das und noch viel mehr gehöre dazu, wie man im Report "New Hiring" nachlesen kann, der druckfrisch zur NXW präsentiert wurde. In diesem Sammelbecken kann man sich auf beiden Seiten des Recruitingmarktes vielseitig präsentieren – sowohl bei Arbeitgebenden als auch Arbeitnehmenden.
Cultural Fit als Erfolgsrezept
Kulturelle Passung von Bewerbenden und Unternehmen gilt dabei als A und O. Kein Wunder, dass diese These sich wie ein roter Faden durch die New Work Experience zog. "Die Unternehmenskultur-Revolution ist in vollem Gange. Wir stehen in der Arbeitswelt vor einer Zeitenwende, bei der nur Unternehmen erfolgreich sind, die die Beschäftigten finden, die kulturell zu ihnen passen", erklärte Petra von Strombeck, CEO der New Work SE. Viele Speaker – darunter auch einige CHROs – folgten dem Narrativ des Kulturwandels und betonten die Bedeutung des Themas.
"Es geht um die Menschen mit dem richtigen Mindset", sagte etwa Julia Bangerth, Chief Operating Officer der Datev, auf der Konferenz in einem Panel zum Thema New Hiring, das Stefan Keuchel, PR-Direktor der New Work SE, moderierte. "Kulturwandel ist der Umsatz von Morgen", so wiederum Petra Scharner-Wolff, Vorständin Finanzen, Controlling und Personal bei Otto Group. Die philosophisch-geschichtliche Einordnung wagte Philosoph und Autor Richard David Precht: "Wir entwickeln uns von der Arbeits- zur Sinngesellschaft." Früher sei es nur dem Adel vorbehalten gewesen, das zu tun, was er wirklich wolle. Heute dürfe das jeder, sogar die "Brummiefahrer", die sich heute auch teils lieber neue Jobs suchten. Selbst der Ukraine-Krieg könne diese Entwicklung nicht aufhalten, höchstens abbremsen, meinte Precht.
New Hiring für alle – auch für Kritiker
Die Aussagen von Precht blieben auf der Konferenz – zum Glück – nicht ohne Widerrede, auch wenn dies in anderen Slots und Panels geschah. Der Krieg 2.0 in der Ukraine sei "keine Schmeißfliege der Geschichte", wetterte etwa Thomas Sattelberger in seiner Auftaktrede zur Preisverleihung des New Work Award. "Die Maslowsche Bedürfnispyramide macht eine Rolle rückwärts", so der ehemalige Personalvorstand und FDP-Politiker. Existenz- und Sicherheitsbedürfnis würden wieder wichtiger, Selbstverwirklichung gerate in den Hintergrund.
Mit Prof. Dr. Stefan Kühl von der Universität Bielefeld war auch ein bekannter New-Work-Skeptiker eingeladen, der sich kritisch mit dem Narrativ des Kulturwandels auseinandersetzte. "Es wird so getan, als ob Kultur durch Menschen eingespielt wird, durch Führung zum Beispiel", meinte er. Kultur entstehe aber als Reaktion auf die formalen Verhältnisse. "Man kann Kultur nie von der Formalstruktur trennen." Kühl widersprach damit dem Erfolgsfaktor "Cultural Fit", der eine zentrale Rolle im "New Hiring" spielt. Die New Work SE lud ihn trotzdem ein – das zeigt die Offenheit für den Diskurs. Das Gleiche gilt für die Einladung von Wolfgang Grupp, Chef und Inhaber von Trigema. Er ist inzwischen zum Hofnarren vieler New-Work-Debatten geworden, die einen Vertreter brauchen, der ungeschminkt gegens Homeoffice wettert. Der Aufreger ist hier garantiert und damit auch die Clicks und Likes auf Social Media.
Fazit: Gelungener Auftakt einer Content-Kampagne
Als Konferenz-Macher versteht die New Work SE ihr Handwerk. Die Klagen über zu viele Slots, schwer auffindbare Bühnen oder zu wenig gleichzeitige Pausen kennen auch andere Veranstalter. Gute Unterhaltung ist kein einfaches Geschäft. Doch die New Work SE trifft mit ihrem Konzept den Geschmack eines Großteils der rund 2.000 Teilnehmenden. Elite-Veranstaltung, Frontalbeschallung, trennende Location, kaum Teilhabe und Partizipation – das sei alles kein New Work, war zwar auf Social Media zu lesen. Doch das verkennt die Absicht der Veranstaltung.
Sie ist kein Barcamp, sondern soll die Zielgruppe in der Corporate-Welt erreichen. Sie reiht sich ein in den Reigen der Content-Formate wie etwa einem Online-Magazin oder Webinare, die künftig das Narrativ vom New Hiring bespielen sollen. Erstmals folgte auf die NWX am nächsten Tag die neue Themen-Konferenz dazu. Ob die Kampagne auf Dauer trägt, ist gleichwohl noch offen. Es wird spannend, welche Produktlinien die New Work SE im Herbst – zum Beispiel zur Messe Zukunft Personal Europe in Köln –präsentiert.
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