Wie wichtig ist die kulturelle Passung bei der Personalauswahl?
Immer mehr Unternehmen setzen bei der Personalauswahl auf "Cultural Fit", das heißt die Passung zwischen Bewerber und Unternehmen. Laut einer Befragung von 424 Personen in HR-Funktionen aus dem Jahr 2016 halten 80 Prozent der Befragten Cultural Fit für wichtig oder eher wichtig, wobei eine steigende Bedeutung des Themas erwartet wird (Athanas et al., 2016, S. 5). Die Unternehmen erhoffen sich durch die Berücksichtigung der Passung sowohl eine höhere Mitarbeiterbindung als auch eine erhöhte Motivation und damit Produktivität.
Unternehmenskultur und kulturelle Passung ist Bewerbern wichtig
Ähnlich sieht es auf der Bewerberseite aus. In einer Studie von Stepstone (2017, S. 16) gaben beispielsweise 93 Prozent der Teilnehmer an, dass ihnen Unternehmenskultur und kulturelle Passung bei der Jobsuche wichtig sind; fast die Hälfte der Jobsuchenden gibt an, Cultural Fit sei der wesentliche Entscheidungsfaktor. Entsprechend verwundert es nicht, dass bereits über 40 Prozent der Unternehmen die Passung der Kandidaten mit der Unternehmenskultur im Bewerbungsprozess überprüfen. Befeuert wird die Diskussion zusätzlich durch neue digitale Angebote von Personaldienstleistern, die die KI-basierte Messung des Cultural Fit versprechen, wobei dazu unterschiedlichste Instrumente zum Einsatz kommen.
Vor dem Hintergrund dieser ersten Befunde wollen wir der Frage nachgehen, welchen Einfluss die kulturelle Passung auf Basis wissenschaftlicher Studien tatsächlich für personalwirtschaftliche Ergebnisgrößen wie Produktivität, Mitarbeiterbindung und Mitarbeiterzufriedenheit hat. Darüber hinaus wollen wir die relative Bedeutung der kulturellen Passung im Vergleich zum Person-Job-Fit, das heißt der Passung zwischen Charakteristika der Bewerber und den konkreten Arbeitsplatzanforderungen näher betrachten: Ist der Slogan "Hire for attitudes and train for skills" tatsächlich die neue Losung für das Personalmanagement? Zunächst wollen wir jedoch näher auf die wissenschaftliche Bedeutung von Cultural Fit eingehen.
Was ist Person-Organisation-Fit?
Im Folgenden verwenden wir für diese kulturelle Passung zwischen Person und Organisation den Begriff "Person-Organisation-Fit" (P-O-Fit) und beziehen uns auf die klassische Definition von Amy-L. Kristof (1996, S. 4-5), die P-O-Fit versteht als "the compatibility between people and organizations that occurs when: (a) at least one entity provides what the other needs, or (b) they share similar fundamental characteristics, or (c) both". Neben P-O-Fit haben sich verschiedene andere Formen der Passung in der Forschung etabliert, hierunter zum Beispiel Person-Job-Fit, Person-Group-Fit oder Person-Supervisor-Fit. Diese begriffliche Unterscheidung ist wichtig, um effektive Personalmaßnahmen planen und einsetzen zu können.
Demgegenüber ist die aktuelle Diskussion zur kulturellen Passung eher durch begriffliche Ungenauigkeiten bestimmt. In der bereits oben zitierten Studie von Stepstone (2017) wird zum Beispiel auf die Frage, über welche kulturellen Aspekte im Bewerbungsprozess Informationen gewünscht werden, an erster Stelle mit circa 75 Prozent der Führungsstil genannt, der eher der Kategorie "Person-Supervisor-Fit" zuzuordnen ist.
Person-Organisation-Fit im Rahmen der Personalauswahl
In der Ausgabe zum 100-jährigen Bestehen der Zeitschrift "Journal of Applied Psychology" im Jahr 2017 wurden verschiedene zentrale Fragestellungen der Arbeits- und Organisationspsychologie in einzelnen Artikeln besprochen. Die Personalauswahl wurde darin als "Supreme Problem", als womöglich bedeutsamstes Problem, bezeichnet, weil Auswahlentscheidungen eine so zentrale Rolle für Organisationen haben (Ployhart/Schmitt/Tippins, 2017).
Über die klassischen Instrumente bei der Personalauswahl wie zum Beispiel das Interview oder das Assessment Center hatten wir bereits vor mehreren Jahren in PERSONALquarterly berichtet ("Methoden der Personalauswahl: Was nützt?", Biemann/Weckmüller, 2012). Methodisch wird die Qualität der verschiedenen Instrumente über die prädiktive Validität erfasst, welche den Zusammenhang zwischen Testergebnis und späterer Arbeitsleistung misst. Wünschenswert ist eine hohe positive Korrelation, dass also hohe Werte im Auswahlinstrument auf eine hohe spätere Arbeitsleistung schließen lassen. Ein Instrument ist ungeeignet, wenn die Korrelation nahe bei null liegt, es also keine Vorhersagekraft besitzt. Dieselbe Logik lässt sich auch für P-O-Fit verwenden. Die Messung der Passung zwischen Individuum und Organisation ist dann bei der Personalauswahl sinnvoll, wenn sie eine Vorhersagekraft zum Beispiel für spätere Arbeitsleistung oder die Bleibewahrscheinlichkeit besitzt. Diese Logik ist für P-O-Fit allerdings weniger direkt.
Klassische Instrumente zur Personalauswahl erfassen Merkmale der Kandidaten, die in der Regel direkt mit der späteren Arbeitsleistung zusammenhängen. Nutzt man beispielsweise ein Rollenspiel im Assessment Center, so ist die dahinterliegende Logik, dass Kandidaten, die das gewünschte Verhalten zeigen, dies auch später im Arbeitsalltag zeigen würden, somit ein direkter Zusammenhang zwischen dem erfassten Merkmal und späterer Arbeitsleistung besteht. Dieser Zusammenhang ist beim P-O-Fit weniger direkt. Hier ist die Annahme, dass Mitarbeiter, die für sich eine hohe Passung mit dem Unternehmen wahrnehmen, positivere Einstellungen gegenüber dem Unternehmen haben, zum Beispiel in Form von höherer Arbeitszufriedenheit, höherem Commitment sowie einer geringeren Absicht, das Unternehmen zu verlassen.
Messung des P-O-Fit durch Abgleich von Organisationscharakteristika
Die Messung von P-O-Fit erfolgt über einen Abgleich von Organisationscharakteristika mit Werten, Einstellungen und Bedürfnissen einer Person. Dieser Abgleich kann erstens durch Einschätzungen einer Person (Kandidat selbst oder anderer Beurteiler) direkt erfolgen, indem nach der wahrgenommenen Passung mit der Organisation gefragt wird (direct–perceived; Arthur et al., 2006). Zweitens können von einer Person Einschätzungen zu einzelnen Aspekten der Organisation sowie zu eigenen Wünschen und Bedürfnissen abgefragt werden (indirect-perceived).
Ein Beispiel wäre, dass ein Individuum die beiden zusammengehörenden Fragen "In dieser Organisation wird Zusammenarbeit belohnt" und "Ich glaube, dass Zusammenarbeit wichtig ist und belohnt werden sollte" beantwortet. Ein starker P-O-Fit liegt dann vor, wenn es wenig Abweichungen bei den jeweils zusammengehörenden Fragen gibt. Drittens können Einschätzungen des Individuums mit einer durch Dritte erfolgten Einschätzung der Organisation erfolgen (indirect-actual). Beim Einsatz von P-O-Fit bei der Personalauswahl erscheinen die Messungen am sinnvollsten, bei denen Kandidaten nicht so leicht eine hohe Passung durch ihr eigenes Antwortverhalten erzeugen können, die letztlich durch strategisches Antwortverhalten der Kandidaten motiviert ist und nicht auf echter Passung beruht.
Sagt der Person-Organisation-Fit die Arbeitsleistung voraus?
In einer Meta-Analyse untersuchten Arthur und Kollegen (2006) die Vorhersagekraft von P-O-Fit für Arbeitsleistung und Unternehmenswechsel. Dazu aggregierten sie Ergebnisse aus insgesamt 153 Effekten aus 46 verschiedenen Studien, die Zusammenhänge zwischen P-O-Fit und verschiedenen Ergebnisgrößen untersucht hatten. Als wichtigstes Ergebnis zeigt sich ein eher geringer Zusammenhang zwischen P-O-Fit mit Arbeitsleistung und Unternehmenswechsel (vgl. Abb. 1). Für Arbeitsleistung fanden die Autoren 36 Effekte mit einem durchschnittlichen korrigierten Korrelationskoeffizienten von r = 0,15. Etwas stärker ist der Effekt mit r = -0,24 für Unternehmenswechsel; hat ein Individuum einen hohen Wert beim P-O-Fit, ist die Wahrscheinlichkeit also etwas geringer, dass die Person das Unternehmen verlässt.
Beide Effekte gehen somit in die von Organisationen intendierte Richtung, sind aber nicht besonders stark. Dies ist wichtig zu betonen, da es bereits viel Forschung zu verschiedenen Instrumenten bei der Personalauswahl gibt und im direkten Vergleich die prädiktive Validität von P-O-Fit eher schlecht abschneidet. Bspw. ergibt sich in der sehr umfassenden Zusammenstellung der prädiktiven Validität verschiedener Personalauswahlinstrumente von Schmidt und Hunter (1998), dass strukturierte Interviews (r = 0,51), Intelligenztests (r = 0,51), Assessment Center (0,37) oder auch Tests zur Persönlichkeit (Integritätstest: r = 0,41; Gewissenhaftigkeitstest: r = 0,31) allesamt besser zur Vorhersage von Arbeitsleistung geeignet sind.
Wir hatten oben über den vermutlich indirekten Effekt von P-O-Fit auf die Arbeitsleistung berichtet, dass nämlich eine gute Passung positivere Arbeitseinstellungen beim Individuum entstehen lässt, die dann auf die Leistung wirken können. In einer weiteren Meta-Analyse (Verquer/Beehr/Wagner, 2003) wurden diese Zusammenhänge genauer untersucht. Die Effekte auf die Arbeitseinstellungen sind tendenziell etwas stärker und scheinen die vermuteten Wirkzusammenhänge zu bestätigen. Der stärkste Zusammenhang besteht zwischen P-O-Fit und organisationalem Commitment, gefolgt von Arbeitszufriedenheit.
Arthur und Kollegen (2006) greifen diese Argumentation auf und berechnen die Effekte von P-O-Fit, die über diese Arbeitseinstellungen verlaufen. Sie zeigen, dass der Großteil der (kleinen) prädiktiven Validität von P-O-Fit für Arbeitsleistung über Arbeitseinstellungen erklärt werden kann, da in einem Pfadmodell vom Gesamteffekt für Arbeitsleistung (r = 0,15) nur noch ein Effekt von r = 0,06 übrig bleibt, wenn man die Wirkung über Arbeitseinstellungen herausrechnet. Für Unternehmenswechsel bleibt vom Gesamteffekt (r = 0,24) nur noch der halbe Effekt übrig (r = 0,12), wenn für Arbeitseinstellungen kontrolliert wird. Diese Ergebnisse bestärken also die Vermutung, dass P-O-Fit eher indirekt auf Arbeitsleistung und Unternehmenswechsel wirkt.
Welcher Fit ist am wichtigsten?
Der oben durchgeführte Vergleich mit traditionellen Personalauswahlinstrumenten gibt einen ersten Eindruck über die eher schwache Effektstärke des P-O-Fits. Allerdings liefert dieser Vergleich nur eine Indikation, da Instrumente mit dem Konstrukt P-O-Fit verglichen werden. Beides ist nicht deckungsgleich. Im Interview kann beispielsweise auch kulturelle Passung ermittelt werden und Persönlichkeitsdimensionen sind Teil der Wertebasis.
Einen weiteren Eindruck über die Bedeutung von P-O-Fit erhält man durch den Vergleich mit den eingangs angefügten weiteren Formen der Passung. Amy Kristof-Brown und Kollegen (2005) vergleichen in einer Meta-Analyse den Einfluss von P-O-Fit, Person-Job-, Person-Group- und Person-Supervisor-Fit. Die Ergebnisse sind in Abbildung 2 dargestellt. Interessant ist insbesondere der Vergleich zwischen Person-Organisation- und Person-Job-Fit, wobei Person-Job-Fit bezüglich aller Ergebnisgrößen die stärkeren Effekte aufweist. "Hire for attitudes" sollte somit als Ergänzung und nicht als Ersatz zu etablierten Verfahren, die die Eignung für eine bestimmte Tätigkeit messen, verwendet werden.
Wir hatten eingangs über die hohe wahrgenommene Bedeutung von P-O-Fit für Kandidaten berichtet. Die Messung von P-O-Fit könnte also einen wichtigen Beitrag für eine positive Candidate Experience im Bewerbungsprozess liefern. Auch wenn kein starker Zusammenhang mit späterer Arbeitsleistung bestehen mag, könnte das Instrument helfen, ein positives Bild des Unternehmens beim Bewerber zu zeichnen. Die Studienlage für diese Frage ist zu dünn, um hier ein zuverlässiges Bild zu zeichnen. Die Darstellung der Organisationskultur erscheint aber in jedem Fall hilfreich, den Bewerbern ein vollständigeres Bild der Organisation zu liefern, auch wenn die wahrgenommene Passung unternehmensseitig nur bedingt in Auswahlentscheidungen eingehen sollte.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
- Die kulturelle Passung von Person und Organisation (P-O-Fit) hängt eher schwach mit Arbeitsleistung und Unternehmenswechseln zusammen, sollte also höchstens ergänzend bei Personalauswahlentscheidungen einbezogen werden.
- Der Effekt von P-O-Fit auf Arbeitsleistung verläuft über Arbeitseinstellungen wie zum Beispiel Arbeitszufriedenheit. Diese eher indirekte Wirkung könnte wichtiger Grund für die insgesamt kleinen Effekte sein.
- Im Bewerbungsprozess erscheint es trotzdem sinnvoll, ein umfassendes Bild der Organisationskultur zu vermitteln, weil sie für Bewerber ein wichtiges Kriterium für die Wahl ihres Wunscharbeitgebers ist.
Literaturverzeichnis:
Arthur Jr. W./Bell, S. T./Villado, A. J./Doverspike, D. (2006): The use of person-organization fit in employment decision making: an assessment of its criterion-related validity. Journal of applied psychology, 91(4), 786-801.
Athanas, C./Athanas, P./Friese, E.-M./Pfisterer, N. (2016): Cultural Fit Studie.
Biemann, T./Weckmüller, H. (2012): Methoden der Personalauswahl: Was nützt? PERSONALquarterly, 64(1), 46-49.
Kristof, A. L. (1996): Person-organization fit: An integrative review of its conceptualizations, measurement, and implications. Personnel psychology, 49(1), 1-49.
Kristof-Brown, A. L./Zimmerman, R. D./Johnson, E. C. (2005): Consequences of individual‘s fit at work: A meta-analysis of person-job, person-organization, person-group, and person-supervisor fit. Personnel Psychology, 58(2), 281-342.
Ployhart, R. E./Schmitt, N./Tippins, N. T. (2017): Solving the Supreme Problem: 100 years of selection and recruitment at the Journal of Applied Psychology. Journal of Applied Psychology, 102(3), 291-304.
Schmidt, F. L./Hunter, J. E. (1998): The validity and utility of selection methods in personnel psychology: Practical and theoretical implications of 85 years of research findings. Psychological bulletin, 124(2), 262-274.
Stepstone (2017): Recruiting mit Persönlichkeit. Stepstone People Tech Insights.
Verquer, M. L./Beehr, T. A./Wagner, S. H. (2003): A meta-analysis of relations between person–organization fit and work attitudes. Journal of vocational behavior, 63(3), 473-489.
Dieser Beitrag ist erschienen im Wissenschaftsjournal PERSONALquarterly 3/2019. Die gesamte Ausgabe zu Chancen und Grenzen künstlicher Intelligenz können Sie hier lesen.
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