Wahlvorstandswahl mit zu geringer Wahlbeteiligung – BR-Wahl trotzdem zulässig
Der Getränkelieferdienst „Flaschenpost“ wollte dem Wahlvorstand die für den 02.04.2020 angesetzte Betriebswahl im Unternehmen per einstweiliger Verfügung zu untersagen. Das Unternehmen beschäftigt 512 Mitarbeiter, wobei die dort beschäftigten Fahrer, Lageristen und Staplerfahrer in einem flexiblen Schichtsystem arbeiten.
Schichtsystem und Urlaubsabwesenheiten erschwerten Zusammenkunft zur Wahlversammlung
Ende 2019 teilte die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und drei Mitarbeiter der Arbeitgeberin mit, dass Mitte Januar 2020 eine Betriebsversammlung stattfinden solle, um den Wahlvorstand für die bevorstehende Betriebswahl bestellen zu können. Die Arbeitgeberin wies darauf hin, dass aufgrund urlaubsbedingter Abwesenheit viele der Mitarbeiter von der Einladung nicht rechtzeitig Kenntnis nehmen könnten und regte an, die Wahlversammlung auf frühestens Ende Januar 2020 zu verschieben.
An der Betriebsversammlung nahmen nur 34 der 512 Mitarbeiter teil
Die Betriebsversammlung fand sodann nach streitiger Korrespondenz am 27.01.2020 statt, an welcher lediglich 34 Mitarbeiter teilnahmen. Es wurde der Wahlvorstand gewählt und der Termin für die Wahl des Betriebsrats auf den 02.04.2020 festgelegt. Da der Wahlvorstand nur von weniger als 7 % der Belegschaft gewählt wurde, forderte der Getränkelieferant im Wege des Eilverfahrens, die Durchführung der Betriebswahl zu untersagen.
185 Mitarbeiter und somit 36 % der Belegschaft wären in dieser Zeit aufgrund des Urlaubs und der Ferien durchgängig nicht im Betrieb gewesen und hätten somit auch keine Kenntnis von der nur neun Tage zuvor angekündigten Wahlversammlung gehabt. Dies sei mit dem Grundsatz einer allgemeinen Wahl nicht vereinbar, so die Arbeitgeberin. Der Wahlvorstand hingegen erachtete die Wahl für wirksam. Die Einladungen seien zudem in einer WhatsApp und Facebook-Gruppe geteilt worden.
Mangel muss offenkundig sein und den „Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen“
Nachdem die Arbeitgeberin in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf scheiterte, erlitt sie auch in zweiter Instanz eine Niederlage. Nach Auffassung der Richter des Landesarbeitsgerichts käme nur dann ein Abbruch der Wahl in Betracht, wenn die vom Wahlvorstand eingeleitete Betriebsratswahl nichtig sei. Dies sei jedoch nur in Ausnahmefällen anzunehmen. Es müsse dabei in so hohem Maße gegen allgemeine Grundsätze verstoßen worden sein, so dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliege. Der Mangel müsse offenkundig sein und daher den „Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen“, weshalb der Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl zu versagen sei.
Bloße Anfechtbarkeit der Wahl aufgrund eines Wahlfehlers genügt nicht
Eine bloße Anfechtbarkeit der Wahl aufgrund eines Wahlfehlers genüge hingegen nicht. Daher sei die Wahl auch nicht nichtig, wenn man wie die Arbeitgeberin von einer zu kurzfristigen Einladungsfrist ausgehe und deswegen nicht alle Mitarbeiter davon erfahren hätten. Dies folge schon daraus, dass in einem Betrieb ohne Betriebsrat der Gesamtbetriebsrat einen Wahlvorstand bestellen könne, also auch ohne eine mehrheitliche Beteiligung der Arbeitnehmer. Die Kammer ging auch nicht davon aus, dass die Kurzfristigkeit der Einladungen auf rechtsmissbräuchlichen und machttaktischen Gründen beruhte. Zudem sei es überhaupt schon rechtlich umstritten, ob ein fehlerhaft bestellter Wahlvorstand zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen könne.
(LAG Düsseldorf, Beschluss v. 25.03.2020, 7 TaBVGa 2/20).
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Hintergrund: Nichtige Betriebsratswahl
Die Betriebsratswahl kann nichtig sein mit der Folge, dass eine wirksame Arbeitnehmervertretung nie bestanden hat und dass sämtliche durchgeführten Handlungen und Vereinbarungen ebenfalls ohne Wirkung sind. Eine solche Nichtigkeit, die jederzeit von jedem Betriebsangehörigen, der Gewerkschaft und dem Arbeitgeber geltend gemacht werden kann, führt zur rückwirkenden Feststellung, dass von Anfang an kein Gremium als im Amt befindlich anzusehen war.
Nichtigkeit ist allerdings nur in ganz besonderen Ausnahmefällen anzunehmen. Es muss gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maß verstoßen worden sein, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt. Voraussetzung ist daher sowohl ein offensichtlicher als auch ein besonders grober Verstoß gegen Wahlvorschriften (BAG v. 21.07.2004 ; 7 ABR 57/03; BAG v. 27.07.2011; 7 ABR 61/10).
Beispiele aus der Rechtsprechung: Systematisches Öffnen der Wahlumschläge durch den Wahlvorstand und Abgleich der Stimmzettel mit den schriftlichen Erklärungen durch den Wahlvorstand (und damit grobe Verletzung des Wahlgeheimnisses) begründet die Nichtigkeit (LAG Hessen v. 10.11.2011 – 9 TaBV 104/11).
Tätigkeit eines weiteren Wahlvorstands nur für einen Betriebsteil, nachdem für den gesamten Betrieb inklusive dieses Betriebsteils bereits ein Wahlvorstand tätig war, mit der Begründung, die Bestellung dieses weiteren Wahlvorstands sei nichtig (LAG Hamm v. 16.05.2014 – 7 TaBVGa 17/14: dem Wahlvorstand wurde durch einstweilige Verfügung aufgegeben, alle weiteren Tätigkeiten zu unterlassen).
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