Betriebsratswahl ungültig wegen großer Entfernung mitvertretener Betriebsteile
Alle vier Jahre wieder wird in der Zentrale der Daimler AG der Betriebsrat gewählt – seit Jahrzehnten.
- Aktuell besteht der dortige Betriebsrat
- bei rund 16.000 wahlberechtigten Arbeitnehmern
- aus 41 Köpfen.
- Zuletzt wurde er im Frühjahr 2018 gewählt.
- 22 der Betriebsratsmitglieder gehören zur IG Metall, die damit die absolute Mehrheit innehat.
5 Mitarbeiter fochten die Wahl mit einem IG-Metall-lastigem Ergebnis wegen Manipulation an
Die hohe Repräsentanz der IG Metall in der neuen Arbeitnehmervertretung war fünf Mitarbeitern ein Dorn im Auge. Sie glaubten an eine Manipulation und fochten die Wahl gerichtlich an. Die Begründung: Ihnen und allen anderen wahlberechtigten Angestellten seien kurz vorher E-Mails zugesandt worden, die – so die Behauptung - so verfasst waren, dass sie zugunsten der IG Metall beeinflusst haben. Mit diesem und weiteren Argumenten kritisierten sie die Wahlabläufe und beantragten beim Arbeitsgericht Stuttgart die Annullierung.
Keine unlautere Beeinflussung, aber anderer Kritikpunkt offenbart
Die von ihnen vorgetragenen Vorwürfe stellten sich zwar als falsch heraus, die fünf Antragssteller bekamen am Ende aber dennoch ihren Willen. Die Stuttgarter Arbeitsrichter stießen bei der Prüfung des Falles nämlich auf ein anderes Problem, das die Wahl aus ihrer Sicht unwirksam macht.
- Seit jeher gehören zur Wählerschaft der Zentrale in Stuttgart auch die Betriebsteile Berlin und Gernsbach.
- Im Verhältnis zur Zentrale sind sie winzig mit nur zehn und 26 Beschäftigten.
- Zur Wahl gestellt hatte sich keiner der insgesamt 36 Mitarbeiter, gewählt haben nur sechs.
Hier sahen die Arbeitsrichter ein Vertretungsproblem.
100 oder gar 600 km Entfernung hindert an ordentlicher Vertretung der Mitarbeiter
Die Crux nach Ansicht des Arbeitsgerichts Stuttgart ist die Entfernung der kleinen Betriebsteile von der Zentrale.
- Zwischen ihr und Gernsbach liegen 100 Kilometer,
- nach Berlin sind es gar 600 Kilometer.
- Bei einer derartig weiten räumlichen Trennung sei eine effektive Betreuung der dort ansässigen Mitarbeiter durch den Betriebsrat nicht möglich.
Berlin und Gernsbach seien jeweils selbst betriebsratsfähig und hätten daher eine eigene Arbeitnehmervertretung wählen können, da sie die Schwelle von mindestens fünf wahlberechtigten Mitarbeitern von denen mindestens drei wählbar waren, erreichten (§ 1 Abs.1 BetrVG).
Zugehörigkeitsgefühl reicht nicht
Der einzige Ausweg aus dieser Situation wäre ein Beschluss der Belegschaft gewesen, mit dem sich die Mehrheit dem Wunsch anschließt, an der Betriebsratswahl des Hauptbetriebs teilnehmen zu wollen (§ 4 S.1 Nr.1, S.2 BetrVG). Betriebsrat und Daimler argumentierten, dass genau dies vor rund 20 Jahren so beschlossen worden sei und sich die beiden Standorte seit jeher der Zentrale zugehörig fühlten.
- Nachweise für den Beschluss konnten sie nicht erbringen und hatten darüber hinaus übersehen,
- dass es die Regelung des § 4 BetrVG in dieser Form vor 20 Jahren noch gar nicht gab.
Die jahrelange Handhabung und das behauptete „Gefühl“ der Zugehörigkeit zur Zentrale reichten den Richtern nicht.
Sollte Rechtskraft eintreten, muss neu gewählt werden
Noch ist Zeit für Betriebsrat und Daimler, gegen den Beschluss Beschwerde beim LAG Baden-Württemberg einzulegen. Der Spieß kann also noch einmal umgedreht werden. Ansonsten hilft es alles nicht – die Betriebsratswahl muss wiederholt werden.
(ArbG Stuttgart, Beschluss v. 25.4.2019, 21 BV 62/18)
Hintergrund:
Betriebsratswahl in einem eigenständigen Betriebsteil:
Liegt ein eigenständiger Betriebsteil vor, ist für diesen ein Betriebsrat gesondert zu wählen. Ein Betriebsteil ist auf den Zweck des Hauptbetriebs ausgerichtet und in dessen Organisation eingegliedert.
Erfüllt ein Betriebsteil die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BetrVG (mindestens fünf ständig wahlberechtigte Arbeitnehmer, von denen drei wählbar sind), so fingiert § 4 BetrVG unabhängig von der Frage, ob der Betriebsteil derselben einheitlichen Leitung unterliegt, einen selbstständigen Betrieb, wenn er räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt ist (BAG, Beschluss v. 17.5.2017, 7 ABR 21/15)oder wenn er gegenüber dem Hauptbetrieb eine organisatorische Selbstständigkeit aufweist, d.h. eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende und Weisungsrechte ausübende Leitung vorhanden ist.
Folge ist dann, dass in dem Betriebsteil ein eigener Betriebsrat zu wählen ist, soweit die Arbeitnehmer nicht mit Stimmenmehrheit formlos beschließen, an der Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb teilzunehmen (§ 4 Abs. 1 S. 2 BetrVG).
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