Rz. 229
Die Pflichten des beauftragten Rechtsanwalts entfallen mit der Vertragsbeendigung nicht stets in vollem Umfang. Im Einzelfall können einem Rechtsanwalt vertragliche Pflichten auch noch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses obliegen. So kann der Rechtsanwalt ausnahmsweise unter besonderen Umständen bei Vertragsende gehalten sein, die übernommene Angelegenheit des Mandanten wenigstens so abzuschließen, dass dieser infolge der Beendigung keine einem Rechtskundigen erkennbare und vermeidbare Schäden erleidet. Dabei wird es immer eine Rolle spielen, ob gerade die (Un-)Tätigkeit des Anwalts zu der eingetretenen Gefahr beigetragen hat.
An den nachvertraglichen Pflichten des Rechtsanwalts ändert sich nichts dadurch, dass er von der Beendigung des Mandatsverhältnisses (etwa bei Insolvenz des Mandanten) keine Kenntnis hat. § 674 BGB bietet dem Rechtsanwalt keinen weiter gehenden Schutz, als wenn der Anwaltsvertrag nicht erloschen wäre.
a) Gesetzliche nachvertragliche Pflichten
Rz. 230
Nachvertragliche (Neben-)Pflichten werden dem Rechtsanwalt in §§ 203 Abs. 1 Nr. 3, 204 StGB (Schweigepflicht), § 356 StGB (Verbot des Parteiverrats), § 50 Abs. 2 BRAO (Aufbewahrung von Handakten), §§ 675 Abs. 1, 666 BGB (Rechenschaftslegung) oder §§ 675 Abs. 1, 667 BGB (Herausgabe erlangter Gegenstände) auferlegt. Diese Pflichten sind allerdings haftungsrechtlich nicht von vorrangigem Interesse.
b) Nachvertragliche Aufklärungspflichten
Rz. 231
Die Rechtsprechung hat aus § 242 BGB besondere nachwirkende Vertragspflichten zur Aufklärung und Belehrung des ehemaligen Auftraggebers abgeleitet, da kein Beteiligter den Vertragszweck nachträglich vereiteln oder gefährden darf. Hierbei geht es aber i.d.R. nur um Nebenpflichten, nicht um ein Fortdauern der – etwa auf Beratung gerichteten – vertraglichen Hauptpflicht selbst. Zu beachten ist, dass eine nachvertragliche Beratungspflicht des Rechtsanwalts regelmäßig ausscheidet, wenn der frühere Auftraggeber in derselben Sache einen anderen Rechtsanwalt eingeschaltet hat.
aa) Laufende prozessuale Fristen
Rz. 232
So muss der Rechtsanwalt seinen früheren Auftraggeber u.U. weiterhin über laufende prozessuale Fristen belehren, deren Versäumung für diesen nachteilige Folgen haben kann. Der Rechtsanwalt muss den früheren Auftraggeber dann aufklären, welche notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und welche Umstände zu beachten sind. Der Rechtsanwalt kann auch zu einer Belehrung verpflichtet sein, dass nur ein anderer Rechtsanwalt eine nötige Prozesshandlung rechtswirksam vornehmen kann. Der Rechtsanwalt, der beabsichtigt, das ihm erteilte Mandat nach Einlegung der Berufung niederzulegen, muss seinem Mandanten mitteilen, dass in Kürze der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist droht. Beabsichtigt der Rechtsanwalt zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist das Mandat niederzulegen, so muss er zunächst zugunsten des Mandanten eine Fristverlängerung beantragen, um diesem zumindest zu ermöglichen, noch rechtzeitig einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen.
Rz. 233
Gleichermaßen besteht eine nachvertragliche Verpflichtung des Rechtsanwalts, der das Mandat nach Rechtsmitteleinlegung niedergelegt hatte, ggü. seiner Partei vor Ablauf der Begründungsfrist unzweifelhaft zum Ausdruck zu bringen, dass er mit der Einlegung des Rechtsmittels seine Tätigkeit als beendet ansehe und es ablehne, die Einhaltung der Frist zur Begründung des Rechtsmittels weiter zu überwachen. Er muss dann auch darüber belehren, dass mit der Einlegung des Rechtsmittels die Frist zur Begründung dieses Rechtsmittels zu laufen begonnen hat und der Fristlauf auch durch einen etwa noch nicht beschiedenen Antrag auf Gewährung von PKH nicht gehemmt werde. Der Rechtsanwalt hatte während eines schwebenden Verfahrens auf Gewährung von PKH im Auftrag seines Mandanten vorsorglich ein Rechtsmittel eingelegt, die Begründung des Rechtsmittels jedoch von einer Regelung der Honorarfrage, insb. von einer Gewährung von PKH abhängig gemacht. Deshalb war der Anwaltsvertrag auf die Einlegung des Rechtsmittels beschränkt.
Ohne allgemein festzulegen, in welchem Umfang ein Anwalt auch ohne Auftrag seinen Mandanten über die Aussichten eines Rechtsmittels aufklären muss, nimmt der BGH eine Belehrungspflicht hinsichtlich der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels jedenfalls bei einer ohne Weiteres erkennbaren Divergenz zur höchstrichterlichen Rechtsprechung an. Eine entsprechende Pflicht besteht in den Fällen, in denen der Fehler des Urteils darauf beruht, dass der Rechtsanwalt nicht sachgerecht gearbeitet, das unrichtige Urteil also mitverschuldet hat.
Rz. 234
Die nachvertragliche Verpflichtung eines Rechtsanwalts, seinen früheren Auftraggeber u.U. über laufende prozessuale ...