Rz. 84
Aus § 627 Abs. 1 BGB wird allgemein gefolgert, dass sowohl der Auftraggeber als auch der Rechtsanwalt den Anwaltsvertrag grds. jederzeit und ohne Angabe von Gründen kündigen können. Nach § 627 Abs. 1 BGB kann ein Dienstverhältnis, das kein Arbeitsverhältnis i.S.v. § 622 BGB ist, gekündigt werden, ohne dass die Voraussetzungen des § 626 BGB vorliegen müssen. Es wird daher weder ein (wichtiger) Kündigungsgrund vorausgesetzt, noch muss dem Vertragspartner ein solcher mitgeteilt oder die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten werden. Der Vertrag mit einem Steuerberater, der mit den steuerlichen Angelegenheiten des Mandanten und der Fertigung der Finanz- und Lohnbuchhaltung betraut ist, kann von dem Mandanten auch dann fristlos gekündigt werden, wenn der Steuerberater bis zur Kündigung ausschließlich Tätigkeiten auf dem Gebiet der Finanz- und Lohnbuchhaltung entfaltet hat, bei denen es sich (noch) nicht um Dienste höherer Art handelt; maßgeblich ist, dass der Vertrag auf die Erbringung von Diensten höherer Art gerichtet ist (siehe auch Rdn 85).
aa) Dienste höherer Art aufgrund besonderen Vertrauens
Rz. 85
Voraussetzung des § 627 Abs. 1 BGB ist, dass der zur Dienstleistung Verpflichtete Dienste höherer Art zu leisten hat, die aufgrund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen. Der gesetzgeberische Grund für die ggü. § 626 BGB erleichterte, jederzeitige Möglichkeit zur Lösung eines Dienstverhältnisses i.S.d. § 627 BGB liegt in dem besonderen Vertrauen, von dem derartige Dienstverhältnisse getragen werden. Dieses kann schon durch unwägbare Umstände und rational nicht begründbare Empfindungen gestört werden, die objektiv keinen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen. Bei derartigen, auf persönliches Vertrauen ausgerichteten Dienstverhältnissen soll die Freiheit der persönlichen Entschließung eines jeden Teils im weitesten Ausmaß gewährleistet werden.
Ein Anwaltsvertrag oder Steuerberatervertrag wird allgemein als ein Dienstvertrag angesehen, aufgrund dessen der Berater i.S.d. § 627 Abs. 1 BGB verpflichtet ist, Dienste höherer Art zu leisten, die aufgrund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen. Dienste höherer Art können solche sein, die besondere Fachkenntnis, Kunstfertigkeit oder wissenschaftliche Bildung voraussetzen oder die den persönlichen Lebensbereich betreffen. Insoweit können auch nicht dem Steuerberater oder Rechtsanwalt vorbehaltene Tätigkeiten (z.B. Finanz- und Lohnbuchführung) als Dienste höherer Art anzusehen sein, wenn sie Bestandteil eines einheitlichen Dienstvertrages sind, der auch die rechtliche oder steuerliche Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat.
Rz. 86
Dienste höherer Art erfordern, dass die Dienste üblicherweise nur infolge besonderen persönlichen Vertrauens übertragen werden. Ein solches besonderes Vertrauen wird i.d.R. nur Personen, nicht aber Instituten oder Unternehmen entgegengebracht. Die Anwendbarkeit von § 627 BGB auf Berufsausübungsgesellschaften könnte daher zweifelhaft sein. Tatsächlich wird nur die Annahme eines "typisierten persönlichen Vertrauens" in Abhängigkeit von der Art der Dienste den Realitäten gerecht werden können. Eine Vielzahl von Beratungsleistungen wird von Einmann- oder kleinen GmbHs erbracht. Dann wird regelmäßig der oder den Handelnden das erforderliche persönliche Vertrauen entgegengebracht. Gleiches gilt bei der Beauftragung einer Sozietät oder Partnerschaft für den oder die sachbearbeitenden Berufsträger. Um solche eindeutigen Sachverhalte zu erfassen und schwierige bis unmögliche Abgrenzungen zu vermeiden, ist lediglich auf die Art der Dienste abzustellen. Eine solche Abstrahierung ist auch im Gesetz selbst angelegt ("… übertragen zu werden pflegen."). Mit der Interessenlage der Beteiligten ist dieses Verständnis zwanglos vereinbar. Die persönliche Entschließungsfreiheit des Auftraggebers bleibt gewahrt; aufseiten des Auftragnehmers wird die zu schützende Existenzsicherung umso weniger tangiert sein, je größer die Gesellschaft ist. Entsprechend hat die Rechtsprechung § 627 Abs. 1 BGB ohne besondere Begründung auf den Dienstvertrag einer Steuerberatungsgesellschaft angewendet.
bb) Dauerhaftes Dienstverhältnis mit festen Bezügen
Rz. 87
§ 627 Abs. 1 BGB schließt das jederzeitige Kündigungsrecht ausnahmsweise aus, wenn der zur Dienstleistung Verpflichtete zu dem Berechtigten in einem dauerhaften Dienstverhältnis mit festen Bezügen steht. Dahinter...