Rz. 203
Wenn ein Haftungssachverhalt eine Verbindung zum ausländischen Recht aufweist, ist vor der eigentlichen Sachprüfung zu ermitteln, nach welcher Rechtsordnung sich die Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines Schadensersatzanspruchs richten (vgl. Art. 3 EGBGB; zu dem auf internationale Sozietäten anwendbaren Recht vgl. Rdn 420 ff.). Denkbar ist ein solcher Auslandsbezug bei einem Anwaltsvertrag, etwa wenn
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eine ausländische Partei beteiligt ist, |
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ein im Ausland zugelassener Anwalt in Deutschland seine Dienstleistung erbringt, |
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ein deutscher Rechtsanwalt vor einem ausländischen Gericht oder einer ausländischen Behörde und/oder |
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von einem ausländischen Büro aus für den Auftraggeber tätig wird und/oder |
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bei der Bearbeitung des Mandats ausländische Rechtsnormen zu berücksichtigen sind. |
Das anwendbare (Sach-)Recht ist nach dem einschlägigen Kollisionsrecht (Internationalen Privatrecht – IPR) zu ermitteln. Das heranzuziehende Kollisionsrecht richtet sich danach, welches Gericht zur Entscheidung berufen ist. Deutsche Gerichte wenden deutsches Kollisionsrecht an, ausländische Gerichte regelmäßig das am Gerichtsort geltende Kollisionsrecht (sog. lex fori). Nach dem anzuwendenden Kollisionsrecht ist zu prüfen, wie die streitentscheidende Rechtsfrage zu qualifizieren ist, also etwa berufs-, vertrags-, delikts- oder gesellschaftsrechtlich. Zu ermitteln ist der kollisionsrechtliche Tatbestand, der die Voraussetzungen für das anwendbare Sachrecht (Statut) enthält.
Rz. 204
Im deutschen Recht sind die Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines Schadensersatzanspruchs des Mandanten gegen den beauftragten Rechtsanwalt vertragsrechtlich zu qualifizieren (zur Qualifikation der sog. Dritthaftungsfälle vgl. § 10 Rdn 19 ff., 80 ff.). Das Vertragsstatut richtet sich im deutschen IPR – vorbehaltlich der Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen und ungeachtet der Regelungen in den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften (vgl. Art. 3 EGBGB) – nach der Rom I-VO. Vorrangig ist gem. Art. 3 Rom I-VO eine Rechtswahl der Vertragsparteien zu beachten. Wenn eine Rechtswahl weder ausdrücklich getroffen worden ist noch Umstände vorliegen, die auf eine konkludente Rechtswahl schließen lassen, ist für das Vertragsstatut grds. auf das Recht desjenigen Staates abzustellen, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, d.h. in dem die mit der Interessenwahrung beauftragte Kanzlei ihren Sitz hat (Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Rom I-VO). Im Einzelfall kann diese Regelanknüpfung verdrängt werden gem. Art. 4 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3, Abs. 4 Rom I-VO. Dazu muss sich aus der Gesamtheit der Umstände ergeben, dass der Vertrag engere Verbindungen mit einem anderen Staat aufweist. Wegen der Unsicherheiten, die bei der Ermittlung des auf einen Anwaltsvertrag anwendbaren Rechts auftreten können, ist bei einem grenzüberschreitenden Mandat eine ausdrückliche Rechtswahl zu empfehlen. Für Verbraucherverträge, d.h. Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen zu einem Zweck, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Auftraggebers zugerechnet werden kann, sind die Besonderheiten des Art. 6 Rom I-VO zu beachten, denen aber wiederum Sonderregelungen in EG-Verbraucherschutzrichtlinien vorgehen können (Art. 23 Rom I-VO). Wenn eine Partei ihrer zum Vertragsschluss führenden Erklärung AGB zugrunde legt, die eine Rechtswahlklausel enthalten, richtet sich die Wirksamkeit nach dem gewählten Recht (Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO).
Rz. 205
Zu beachten ist, dass vorvertragliche Ansprüche aus c.i.c. (§ 311 Abs. 2 BGB) als außervertragliche Ansprüche angesehen und vom Geltungsbereich der Rom I-VO ausgeschlossen werden (Art. 1 Abs. 1 Buchst. i Rom I-VO). Insoweit ist der Anwendungsbereich der Rom II-VO eröffnet, die neben c.i.c. auch unerlaubte Handlungen, Geschäftsführung ohne Auftrag und ungerechtfertigte Bereicherung erfasst (Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO).
Rz. 206
Der internationale Gerichtsstand für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Rechtsanwälte richtet sich innerhalb der Mitgliedstaaten der EU nach der EuGVVO.
Zu dem besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes (Art. 7 Nr. 1 Buchst. b EuGVVO) hat der BGH entschieden, dass für die Erbringung der Dienstleistung und der Gegenleistung einheitlicher Erfüllungsort der Ort der vertragscharakteristischen Leistung ist. Ist die Dienstleistung in mehreren Mitgliedstaaten zu erbringen, ist als einziger Erfüllungsort der Ort zu bestimmen, in dem der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt. Wird ein Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung eines Mandats beauftragt, ist im Grundsatz davon auszugehen, dass er die hierdurch erforderlich werdende Tätigkeit vom Sitz seiner Kanzlei aus erbringt. Hat ein Rechtsanwalt eine Dienstleistung zu erbringen, die auch die Teilnahme an der Verhandlung eines Schiedsgerichts in einem anderen Mitgliedstaat erfordert, ist für die Feststellung des einheitlichen Erfüllungsortes maßgebend, ob der Schwerpunkt der Tätigkeit in ...