Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 47
Für einen Kläger ist häufig schwer abzuschätzen, welcher Antrag ihm die größten Erfolgsaussichten bietet, denn er kennt bei Klageerhebung weder zuverlässig die Einlassung des Gegners noch die Rechtsauffassung des Gerichts noch das Ergebnis der Beweiserhebung. So kommt etwa bei Vorenthaltung einer Sache gemäß § 985 BGB ein Herausgabeanspruch des Eigentümers in Betracht, wenn der Gegner im Besitz der Sache ist. Besitzt dieser die Sache nicht oder nicht mehr, mag der Kläger einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten haben.
Rz. 48
Das Gesetz erleichtert dem Kläger für diesen Fall seine Entscheidung insofern, als er gemäß §§ 283 BGB, 255 ZPO mit dem Antrag auf Herausgabe sogleich dem Beklagten eine Frist zur Bewirkung seiner Leistung setzen lassen kann, um dann nach Fristablauf von dem Herausgabeanspruch auf einen Zahlungsanspruch überzugehen. Zu den Einzelheiten vgl. die Kommentarliteratur zu §§ 283 BGB, 255 ZPO.
Rz. 49
Der Kläger kann in dem Beispielsfall aber auch so vorgehen, dass er in erster Linie – "Hauptantrag" – auf Herausgabe, hilfsweise – "Hilfsantrag" – auf Schadensersatz klagt. Der Hilfsantrag gilt nur für den Fall als erhoben, dass das Gericht dem Hauptantrag nicht oder nicht in vollem Umfang entspricht. Das Gericht ist nicht frei darin, in welcher Reihenfolge es sich den Anträgen widmet; es hat mit der Prüfung des Hauptantrages zu beginnen und notfalls auch Beweis zu erheben, ehe es sich dem Hilfsantrag zuwenden darf. Die Möglichkeit Haupt- und Hilfsanträge (auch in anderen Fällen als der Vorenthaltung einer Sache) zu kombinieren, ist grundsätzlich anerkannt. Die die Anträge verknüpfende Bedingung muss allerdings innerprozessualer Natur sein; zulässige Bedingungen sind beispielsweise
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Erfolglosigkeit oder Erfolg des Hauptantrags, |
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fehlende Entscheidungsreife im Berufungsverfahren, |
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nicht aber ein Hilfsantrag unter der Bedingung, dass der Hauptantrag einer Beweisaufnahme bedarf oder |
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Bedingungen, die die Klageerhebung insgesamt selbst in Frage stellen. |
Entspricht das Gericht in vollem Umfang dem Hauptantrag, ist der Hilfsantrag gegenstandslos. Weist es den Hauptantrag ganz oder teilweise ab und entspricht es dem Hilfsantrag, so bringt es das in seinem Urteilstenor zum Ausdruck: "Im Übrigen wird die Klage abgewiesen." Selbst wenn das Gericht dem Hilfsantrag des Klägers in vollem Umfang entsprochen hat, ist dieser beschwert. Er kann das Urteil mit der Berufung oder Revision anfechten, weil er mit seinem vorrangigen Klageziel unterlegen ist.
Werden Haupt- und Hilfsantrag in erster Instanz abgewiesen und hat die Berufung hinsichtlich des Hauptantrags Erfolg, ist die Abweisung des Hilfsantrags ohne Weiteres gegenstandslos.
Rz. 50
Wird über Haupt- und Hilfsantrag entschieden, sind gemäß § 45 Abs. 1 S. 2 GKG die Streitwerte von Haupt- und Hilfsantrag zu addieren, sofern sie nicht denselben Streitgegenstand betreffen. Mit dieser Regelung wird dem Kläger also zumindest für den Fall unterschiedlicher Gegenstände von Haupt- und Hilfsantrag die Möglichkeit genommen, das Kostenrisiko völlig dem Beklagten zu überbürden, wenn er ihn mit einem wenig aussichtsreichen Hauptantrag überzieht und er lediglich mit seinem Hilfsantrag obsiegt.
Sind die Streitgegenstände von Hauptantrag und Hilfsantrag identisch, so wird der Kläger nicht mit Kosten belastet, wenn er mit seinem Hauptantrag voll unterliegt, mit seinem Hilfsantrag aber obsiegt; vorausgesetzt, der Hauptantrag hat keinen höheren Streitwert, § 45 Abs. 1 S. 3 GKG.